FairWandeln zum Nachmachen:
Ein Initiativantrag ist ein Instrument der direkten Demokratie, das in der
Niederösterreichischen Gemeindeordnung (nach Initiativrecht § 16 NÖGO) und im Niederösterreichischen Stadtrechts-Organisationsgesetz (nach Initiativrecht § 6 NÖ STROG) verankert ist. Jede*r Bürger*in kann einen Initiativantrag einbringen oder unterstützen.
Damit dieser im Gemeinderat behandelt werden muss, müssen ihn mindestens so viele Bürger*innen unterschreiben, wie es Stimmen für ein Mandat im Gemeinderat braucht. Als Bürger*innen gelten Personen, die im Gemeindegebiet wahlberechtigt sind und mindestens 16 Jahre alt waren, als die Unterschriftensammlung begonnen hat. Außerdem EU-Bürger*innen, wenn sie sich in das Wahlregister eintragen haben lassen. Sobald ein Initiativantrag genügend Unterschriften erhalten hat, kann er beim Gemeindeamt/ Magistrat der betroffenen Gemeinde eingereicht werden. Nachdem der Antrag nach formalen Kriterien geprüft wurde, muss die Wahlbehörde die Gültigkeit und Anzahl der Unterschriften innerhalb von 4 Wochen nach der Einreichung kontrollieren. Dann muss der Gemeinderat den Antrag in der nächsten Gemeinderatssitzung behandeln und über dessen Inhalte abstimmen.
Team Initiativantrag: 3.v.l. Valentin Krauss, Pia Lutterschmid, Sophie & Anna Gatschnegg, Dave Kock (ganz rechts)
Die Praxis: Herausforderungen und Tipps am Beispiel vom Initiativantrag „Freie Felder – Bodenschutz in Wiener Neustadt“
Wie diese theoretischen Rahmenbedingungen eines Initiativantrags in der Praxis aussehen können, zeigt unser Initiativantrag „Freie Felder – Bodenschutz in Wiener Neustadt“ von einer Gruppe junger Wiener Neustädter*innen.
Behandelt wurde er am 12. 12. 2022 im Gemeinderat der Stadt. Die zentralen Forderungen, die mit der Unterstützung von 1800 Menschen in den Gemeinderat gelangten (eigentlich wären nur ca. 500 nötig gewesen!), lauteten, große landwirtschaftliche Ackerflächen am Stadtrand nicht als zusätzliche Betriebserweiterungsgebiete auszuweisen. Im Stadtentwicklungsplan 2030+ von Wiener Neustadt, der im Frühjahr 2022 beschlossen wurde, sind diese Äcker als mögliche Betriebserweiterungsgebiete vorgesehen, obwohl große Mengen an Baulandreserven, Brachflächen und Leerständen in Wiener Neustadt vorhanden sind.
1. Im Vorfeld
Wichtig ist zunächst, den zeitlichen Aufwand eines solchen Initiativantrags zu bedenken und eine Gruppe zu finden, die ihn von Beginn bis Ende begleiten kann und will. Zum Prozess gehören das Formulieren und Verbreiten des Antrags, das Sammeln von Unterschriften bis zum Erreichen der notwendigen Anzahl, Treffen mit Politiker*innen und begleitende Medienarbeit.
Im Falle von Wiener Neustadt entstand die Idee der Initiative im Frühjahr 2022 bei einer FairWandeln-Klimakonferenz. Erst durch diesen Austausch wurde uns bewusst, dass die Möglichkeit, einen solchen Antrag an den Gemeinderat zu bringen, überhaupt besteht. Bald darauf entstand die Kerngruppe unseres Initiativantrags. Bis eine finale Version gedruckt war vergingen mehrere Wochen. Einerseits möchten wir bekräftigen, dass jeder Schreibprozess eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt und Initiator*innen sich auch die Zeit nehmen sollten, Feedback einzuholen, um zu einem leicht lesbaren und überzeugenden Antrag zu kommen. Andererseits möchten wir dazu ermutigen, sich nicht zu lange in Feedbackschleifen zu begeben und in das zu vertrauen, was selbst gut durchdacht wurde.
Es ist wichtig, sich fachlich und rechtlich mit den Inhalten des eigenen Initiativantrags auseinanderzusetzen, weil dieser im Laufe der Zeit auf den Prüfstand gestellt wird. Dazu gehört nicht nur Recherche der relevanten Unterlagen, auf die man sich bezieht, sondern im besten Fall auch der konstruktive Austausch mit anderen Gruppen, die in der Umgebung bereits politisch aktiv sind und waren. Diese Vernetzung und Solidarisierung ist sehr wertvoll und kann auch in schwierigen Situationen Rückhalt geben.
2. Unterschriftensammlungen
Beim Sammeln der Unterschriften selbst ist es wichtig, verschiedenste Reaktionen auf den eigenen Antrag und das Sammeln von Unterschriften zu erwarten. Viele Personen bedanken sich für das Engagement. Manche reagieren (zunächst) mit Zweifel oder Unmut auf Unterschriftensammlungen, wovon man sich nicht persönlich entmutigen lassen darf. Von unseren Unterschriftensammlungen können wir allerdings auch sagen, dass die positiven Reaktionen bei weitem überwogen.
Die Inhalte des Antrags sollte man Passant*innen in aller Kürze erklären können. Kartendarstellungen haben in unserem Fall das Vermitteln des Anliegens erleichtert. Es ist empfehlenswert, einige Kopien des Antrags dabeizuhaben, um ihn Interessierten mitgeben zu können. Da Personen die Angabe von Wohnadresse und Geburtsdatum verunsichern kann, sollte man außerdem erklären, dass diese Daten nur deshalb gefragt sind, weil die Unterschrift sonst nicht auf ihre Gültigkeit im Sinne des Initiativrechts geprüft werden kann und nicht gezählt werden würde.
Mitten in der Unterschriftensammlung erfuhren wir in Wiener Neustadt Gegenwind. Bei der Anmeldung der dritten oder vierten Unterschriften-Sammelaktion forderte das Magistrat Wiener Neustadt plötzlich Gebühren und drohte bei Nichterbringung eine Verwaltungsstrafe an. Diese völlig unübliche Auslegung des Versammlungs- und Veranstaltungsrechts wurde schlussendlich nicht in die Tat umgesetzt. Trotzdem verursachte sie Unsicherheit und erschwerte die politische Teilhabe maßgeblich. Für unser Team war das eine Situation, in der uns der Rückhalt durch erfahrenere Aktivist*innen bestärkt hat, vom Sammeln in der Öffentlichkeit nicht abzuweichen.
3. Gespräche mit Magistrat und Politiker*innen
Initiator*innen eines Initiativantrags müssen und sollten früher oder später mit dem Gemeinderat/ Magistrat und Politiker*innen ihrer Gemeinde in Kontakt treten. Beim Gemeindeamt/Magistrat müssen die Unterschriften vorangemeldet zur Prüfung abgegeben werden. Telefon oder E-Mail der Ämter und Amtsinnehabenden einer Stadt sind gewöhnlich im Internet zu finden.
Bei diesen Gesprächen gilt es, vor allem respektvoll und lösungsorientiert zu bleiben, auch wenn die am Tisch sitzenden Personen unter Umständen anderer Meinung sind. Das wichtigste Ziel der Gespräche mit Politiker*innen ist, über die Forderungen des Initiativantrags in Dialog zu treten – nicht, grundsätzliche Meinungen zu ändern. Es ist wichtig, offene und konkrete Fragen an Politiker*innen zu stellen und gegebenenfalls auf widersprüchliche Aussagen hinzuweisen. Bei offiziellen Gesprächsterminen können wir empfehlen, die Unterlagen, auf die man sich bezieht, dabei zu haben, eine Person, die mitschreibt zu bestimmen und sich im Team vorab auf die Punkte zu einigen, auf die man sich im Gespräch konzentrieren will.
4. Die Behandlung des Initiativantrags
Sobald die abgegebenen Unterschriften geprüft wurden, muss der Gemeinderat den Initiativantrag in der nächsten Gemeinderatssitzung behandeln und über dessen Inhalte abstimmen. Gemeinderatssitzungen sind öffentlich. Initiator*innen und Unterstützer*innen können also als Publikum durch ihre Anwesenheit ihren Forderungen Nachdruck verleihen und das Ergebnis der Behandlung direkt erfahren. Allerdings dürfen sie sich grundsätzlich in der Sitzung nicht zu Wort melden. Das Initiativrecht garantiert derzeit auch nicht, dass Initiator*innen bei der Behandlung im Gemeinderat selbst sprechen dürfen. Bürgermeister*innen können als Vorsitzende des Gemeinderates nach § 30 NÖ STROG „sachkundigen Personen“ außerhalb des Gemeinderats das Wort erteilen. Es gibt Gemeinden, in denen Sprecher*innen von Initiativen aus der Bevölkerung im Gemeinderat zu Wort kommen dürfen. In Wiener Neustadt wurde unsere Bitte, selbst im Gemeinderat unseren Initiativantrag vorzustellen mit einer anderen Rechtsauslegung abgelehnt. Vorgestellt wurde der Antrag durch einen Beamten der Stadt. Nach der Vorstellung folgten die Diskussion unter den Gemeinderät*innen und schließlich, die Abstimmung über die Forderungen.
Hier ist zu beachten, dass im Zuge der Diskussion durch Gemeinderät*innen Abänderungsanträge eingebracht werden können. Die Forderungen eines Initiativantrags müssen nicht einheitlich angenommen oder abgelehnt werden. Im Falle von Wiener Neustadt wurden unsere ursprünglichen Forderungen abgelehnt und ein Abänderungsantrag beschlossen. Maßnahmen aus dem Stadtentwicklungsplan wurden nicht wie gefordert aus der Verordnung genommen, sondern ein Verordnungszusatz eingefügt.
Dieser beinhaltet das Bekenntnis der Stadtregierung, die vorhandenen Baulandreserven für Betriebe nutzen zu wollen, bevor in die Fläche erweitert wird. Felder mit hoher Ackerwertigkeit sollen dabei an letzter Stelle stehen. Ausgenommen werden sie aber nicht. Damit hält die Stadtregierung an den möglichen Erweiterungsgebieten für Betriebe am Stadtrand fest. Durch Beibehaltung der Maßnahmen bereitet sie der Verbauung der Felder für Betriebsgebiete den Weg, verschiebt aber die Entscheidung darüber weiter in Richtung zukünftiger Entscheidungsträger*innen. Wir können das als Teilsieg verbuchen, auch wenn unsere tatsächlichen Forderungen unerfüllt blieben. Die Bewohner*innen der Stadt behalten die weiteren Entwicklungen dementsprechend kritisch im Blick.
5. Die Bedeutung der Medien
An dieser Stelle ist es wichtig, die Rolle von lokalen und überregionalen Medien zu erwähnen. Unser Initiativantrag hätte nicht so viel Unterstützung erfahren und Aufmerksamkeit bekommen, wenn wir nicht regelmäßig mit lokalen, regionalen und auch überregionalen Medien Kontakt aufgenommen hätten. Bei Gelegenheiten wie dem Sammelstart, dem Erreichen von über 1 000 Unterschrif-ten, im Vorfeld der Gemeinderatssitzung und nachdem das Ergebnis feststand, haben wir zum Beispiel, mit der Bitte um Veröffentlichung, Presseaussendungen an eine Reihe von Medien geschickt. Dabei gilt es, die Relevanz des Themas deutlich zu machen. Bei Presseaussendungen und auch eventuellen Interviews muss man bedenken, welche Informationen die jeweiligen Lesenden und Zuhörenden vermutlich brauchen, um den aktuellen Stand der Dinge nachvollziehen zu können.
Durch Berichterstattung wissen Politiker*innen, dass ihre Entscheidungen nicht unbemerkt bleiben und an die Öffentlichkeit kommuniziert werden. Medialer Druck wirkt sich auf politische Entscheidungen aus, wie auch auf den Umgang von Politiker*innen mit Initiativen.
6. Schlussworte
Der Initiativantrag „Freie Felder – Bodenschutz in Wiener Neustadt“ wurde in seinen Forderungen abgelehnt, doch es gelang uns, öffentliche Aufmerksamkeit auf unser Anliegen zu richten und dabei dessen Bedeutung weit über die Gemeindegrenze hinaus deutlich zu machen. Unser Initiativantrag leistet einen Beitrag dazu, was andere schon lange fordern: Klimawandel und Bodenschutz ernsthaft zu begegnen.
Wir sehen darin auch einen Beitrag zu der Forderung, dass politische Teilhabe noch zugänglicher werden muss. Die genauen Umstände sind von Gemeinde zu Gemeinde verschieden. Bürger*innen sollten sich aber darauf verlassen können, dass sie für ihre Anliegen gebührenfrei in der Öffentlichkeit Unterschriften sammeln können und bei der Behandlung ihrer Forderungen auch selbst zu Wort kommen dürfen. Am Beispiel von Wiener Neustadt zeigt sich, dass es dafür auch beteiligungsfreundlichere Gesetzesvorgaben braucht.
Nicht zuletzt hoffen wir durch den Initiativantrag dazu zu ermutigen, dass politische Teilhabe gelebt wird. Mit unserem Beispiel möchten wir Bewusstsein schaffen für die Möglichkeiten, die ein Initiativantrag als Instrument direkter Demokratie dafür bietet.
Sophie Gatschnegg, Team Initiativantrag „Freie Felder – Bodenschutz in Wiener Neustadt“
Hard facts: Der Antrag im Detail
Bevor Unterschriften gesammelt werden können, muss ein Initiativantrag formuliert werden.
Enthalten muss er:
Bei den Unterschriftenlisten ist zu beachten, dass die unterschreibende Person, neben ihrer Unterschrift, ihren Vor- und Nachnamen, ihre vollständige Adresse und ihr Geburtsdatum angeben muss. Außerdem gilt die Unterschrift nur dann, wenn alle Angaben leserlich niedergeschrieben wurden. Vor- und Nachname so wie die vollständige Adresse sind notwendig, damit die Verwaltung überprüfen kann, ob die Person einen Hauptwohnsitz in der betroffenen Gemeinde hat. Das Geburtsdatum dient zur Prüfung, ob die Person wahlberechtigt ist. Die Unterschrift bestätigt die Unterstützung des Antrags.
Es sollte angegeben werden, bei welcher Adresse der Initiator*innen jene Personen, die den Antrag unterstützen und in ihrem Umfeld eigenständig Unterschriften dafür sammeln wollen, ausgefüllte Listen an die Initiator*innen übergeben können. Listen können auch persönlich vorbeigebracht werden an den Terminen, an denen öffentlich Unterschriften durch die Initiator*innen und Unterstützer*innen gesammelt werden. Auf diesem Weg konnten erfahrungsgemäß viele Unterschriften erreicht werden.
Öffentliche Unterschriftensammlungen müssen 48 Stunden vor der Sammlung bei der Polizei mit Bekanntgabe von verantwortlicher Ansprechperson, Datum, Uhrzeit, Ort, benötigter Fläche und Inhalt angemeldet werden. Öffentliches Sammeln ist im Normalfall kostenfrei möglich, im Rahmen einer Kundgebung gemäß des Versammlungsgesetzes. |
P.S. - ein Nachtrag:
6 Wochen nach der Gemeinderatssitzung - just in der Woche vor der Landtagswahl 2023 - hat Bürgermeister Schneeberger an die Adressen der Personen, die den Initiativantrag unterschrieben haben, einen Brief geschickt. Darin versichert er, dass er die Initiative und ihr Anliegen unterstützt – gleichzeitig streitet er ihre Kritik an der Baupolitik der Stadt ab und wirbt mit einem zusätzlichen Blatt für weitere Maßnahmen aus seinem Stadtentwicklungsplan.
Wir waren ehrlich gesagt fassungslos, als wir den Brief bekommen haben. Nicht zuletzt, weil die Unterschriftenlisten eines Initiativantrags nicht für solche Zwecke verwendet werden sollten! Personen, die ein Anliegen durch ihre Unterschrift unterstützen, müssen sich darauf verlassen können, dass mit den Daten, die sie angeben, verantwortungsvoll umgegangen wird. Wenn der Bürgermeister die Personen, die unterschrieben haben, über seine Beschlüsse informieren will, hätte er andere Möglichkeiten dazu (z.B. in der Gemeindezeitung, allgemeines Ausschreiben …).
Über diese Thematik wurde medial intensiv berichtet:
NÖN
Der Standard
Kronenzeitung
WN 24
Der Datenschutzverein epicenter.works hat denen, die einen Brief bekommen haben, empfohlen, die eigenen Datenschutzrechte einzufordern.