Demokratie braucht mündige Bürgerinnen und Bürger
Die Demokratie brauche mit ihrer Streit- und Diskussionskultur „mündige Bürgerinnen und Bürger; Daran müssen wir arbeiten“, sagte die Erwachsenenbildnerin Traude Novy, auch langjähriges Vorstandsmitglied von „Fairtrade Österreich“, beim zweiten Teil der 32. Weinviertelakademie zum Thema „Ist Demokratie das, was ich will?“, die am 6. Mai 2021 online stattfand.
Mit viel Arbeit auf rationale Entscheidungsfindung und Inhalte schauen
Mit dem Sozialphilosophen Oskar Negt bekräftigte Novy: „Demokratie ist die einzige staatlich verfasste Gesellschaftsordnung, die gelernt werden muss – immer wieder, tagtäglich und bis ins hohe Alter hinein“. Ihr „Lernort der Demokratie“ war in der Kirche, betonte sie, und hier speziell in der Katholischen Frauenbewegung. Demokratie lebe auch von der „politischen Bildung, … von starken Individuen, die auch gemeinschaftsfähig sind, sich einmischen wollen“. Dazu brauche es allerdings genügend „Räume und Zeit“. Für beides schaue es heute „nicht gut aus“. Notwendig seien „der Blick über den Kirchturm hinaus“ und „Räume für den politischen Diskurs“. Sie resümierte mit Karl Valentin: „Demokratie ist schön, macht aber viel Arbeit“.
„Die Demokratie geht von einem optimistischen Menschenbild aus, von der Idee der Selbstbestimmung und der Verantwortlichkeit der Menschen“, betonte der langjährige Präsident des Verfassungsgerichtshofes in Österreich, Ludwig Adamovich in seinem Statement. Sie setze eine „rationale Entscheidungsfindung“ voraus und solle „nicht auf Wahlergebnisse, sondern auf die Inhalte schauen“. Es gehe darum, „das Verantwortungsbewusstsein bei den Menschen zu wecken“. Dazu brauche es auch eine „verstärkte Bildung im Hinblick auf die Staatsbürger-Rechte und Staatsbürger-Pflichten“. Adamovich beklagte den „Missbrauch“ des Begriffes „Volk“ bei den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen in Form der Parolen „Wir sind das Volk“ und „Das Recht geht vom Volk aus“. Der gegenwärtige „gegenseitige Hass“ zerstöre die Grundlagen der Demokratie, zu der an sich „Pluralismus und politische Gegnerschaft“ gehören, allerdings nicht ausschließlich im „Freund-Feind-Schema“. Die oft hasserfüllte Sprache in den sozialen Medien ist für Adamovich „eine der gefährlichsten Entwicklungen“ der Gegenwart. Hier gebe es „kaum Möglichkeiten, wirksam einzugreifen“.
Allianzen bilden und im Kopf Grenzen überschreiten
Weihbischof und Bischofsvikar Stephan Turnovszky formulierte drei Fragen hinsichtlich der Mit-Gestaltung von Demokratie: „Wie kann es der Demokratie gelingen, dass Minderheiten vor der Willkür der Mehrheit geschützt werden? Wie kann es gelingen, dass sich Politik an inhaltlichen Überzeugungen und nicht an Meinungsumfragen orientiert?“ Und hinsichtlich der Debattenkultur und des Journalismus gefragt: „Wie kann es gelingen, dass man sich fundiert über Sachfragen austauscht?“ Turnovszky verwies auch auf den bedenklichen „Umgangston in den sozialen Medien“. Die Verwendung von Nicknames, also Pseudonymen in diesen Chats und Foren, würden „die Aushöhlung unserer Demokratie“ beschleunigen, weil jede und jeder alles anonym schreiben könnte. Der Weihbischof lud auch dazu ein, „Allianzen zu suchen und zu bilden“ mit dem „Ziel des nachhaltigen Gemeinwohls“. Es gehe darum, an einer zukunftsfähigen Gesellschaft „mitzubauen“.
Für den Soziologen Martin Stifter wiederum braucht es eine Rückbesinnung auf den „Wert der Transzendenz“, den die oft antikirchlich auftretende Aufklärung seit ihren Anfängen über Bord geworfen habe. Es gehe darum, „auch im Kopf Grenzen zu überschreiten“, so Stifter. Auch er übte Kritik an der Sprache in den sozialen Medien und der oft manipulierenden „Sprache der Politik“. Diese sei bisweilen eine „Sprache des schönen Scheins“. Hinsichtlich der Digitalisierung warnte Stifter vor der „heimlichen Manipulation“, der die Benutzerinnen und Benutzer oft ausgesetzt seien. Stifter, der auch Vorsitzender des Vereins Weinviertelakademie in Schleinbach ist, sprach sich für ein Miteinander aus und ein „gutes sinnvolles Leben in Würde“ mit global Denken und regional Handeln.
Momente des Durchatmens
Franz Knittelfelder, Direktor der Bildungsakademie Weinviertel, und Johann Schachenhuber, der Vorsitzende der Katholischen Aktion im Weinviertel, freuten sich rund 50 Teilnehmer*innen begrüßen zu können. Darunter waren die bereits erwähnten Referent*innen, der stv. Vikariatratvorsitzende Walter Flack, mehrere Vikariatsräte, der ehemalige Bischofsvikar Matthias Roch, Bezirkshauptmann a.D. Gerhard Schütt, KA-Generalsekretär Christoph Watz und eine Reihe von Persönlichkeiten aus der Zivilgesellschaft. Marion Wisinger von Writers in prison moderierte die Begegnung. Am Ende lud Direktor Knittelfelder zu „Momenten des Durchatmens“ ein. Nach dem Segen von Weihbischof Stephan Turnovsky, liessen der Vorsitzende der Katholischen Jugend im Weinviertel Jonas Schwungfeld und seine Worship-Band aus Laa an der Thaya den Abend mit gefühlvollen Liedern ausklingen.
Die „Weinviertelakademie“ ist eine Veranstaltung der Katholischen Aktion im Vikariat Nord. Sie findet regelmäßig seit 1988 in Großrußbach statt. Getragen wird sie von der kfb, KMB, KAB, KJ, KJS, Bildungsakademie Weinviertel/Schloss Großrußbach, dem Katholischen Bildungswerk Wien und dem „Sonntag“, der Zeitung der Erzdiözese Wien.
Stefan Kronthaler, Franz Vock