Enzyklika „Evangelii Gaudium“ ist „radikal den Ausgeschlossenen gewidmet
Die Enzyklika „Evangelii Gaudium“ von Papst Franziskus ist „radikal den Ausgeschlossenen, den Marginalisierten gewidmet“, sagte der Univ.- Prof. für Theologische Grundlagenforschung, Kurt Appel, beim Symposion zum Apostolischen Schreiben von Papst Franziskus, vor rund 75 TeilnehmerInnen, das auf Initiative des KAV gemeinsam mit „Kirche brennt“, der Studierendenvertretung der Katholischen Fakultät der Uni Wien, am 28. März im Otto Mauer Zentrum stattfand.
„Eine Kirche, die sich inkarnieren muss ... - Das ist nicht verhandelbar.“
Appel wies darauf hin, es gäbe auf der Welt eine ungeheure „Urbanisierung, die stattgefunden hat. Seit einigen Jahren leben 50 Prozent der Weltbevölkerung in den Städten.“ Wenn die Leute in die Stadt kommen, sei die „erste Erfahrung die Erfahrung einer radikalen Entwurzelung.“ Sie erleben ein „Verlassen der sozialen Kontakte. Die Identitätslosigkeit ist eine Haupterfahrung unserer Zeit. Das Priestertum und die geschlechtlichen Identitäten sind in der Krise. Es gibt einen Erosionsprozess der Kulturen. Die Kirche selbst hat massive Schwierigkeiten in diesen Städten“, erläuterte Appel.
Der Papst habe sich dieser „pastoralen Herausforderung gestellt“, betonte Appel. Und er fragte: „Was bedeutet das, wenn die Ausgeschlossenen im Zentrum sind. Das ist radikal durchzudenken.“ Es gehe darum, „Kirche neu als Netzwerk zu definieren von Freude und Liebe, neue Beziehungen zu knüpfen, eine neue Offenheit zu leben“, so Appel. Ebenso sei wichtig, dass die „Netzwerke zum Subjekt ihrer eigenen Geschichte werden.“ Zu fragen sei aber auch, „wo liegen die Verwundungen und Verletzungen vor Ort, die es verunmöglichen, zum Subjekt der eigenen Geschichte zu werden.“
Papst Franziskus sei auch der „Moment der Freude wichtig. An dieses Netzwerk der Liebe und Freude knüpft sich ein sozialer Auftrag an“, führte Appel weiter aus. Es brauche eine „Neuschöpfung von religiösen und sozialen Beziehungen. Kirche ist immer eine Kirche, die sich inkarnieren muss. Das ist nicht verhandelbar.“ Zudem erlebe Kirche eine “dramatische Entwicklung ihrer zunehmenden Virtualisierung“. Auf diese Entwicklung müsse „Kirche als radikales Netzwerk vor Ort Gegenentwürfe schaffen“, so Appel.
„Europa ist eine säkulare Gesellschaft, hat Potential“
Der Dogmatiker Univ.-Prof Jan Heiner Tück wies darauf hin, Papst Franziskus verstehe sich als „Bischof von Rom, der stärker auf kollegiale Beratung setzen und den Petrusdienst stärker in das Kollegium der Bischöfe einbinden“ wolle. Für den Papst sei das „Volk Gottes aktiver Träger der Evangelisierung und die kulturelle Diversität wird als Chance wahrgenommen“, so Tück.
Der Univ.-Prof für Christliche Philosophie, Hans Schelkshorn, sagte zum Verständnis des Papstes, „das ganze Volk Gottes verkündet das Evangelium.“ Das schließe die „Volkskultur und die Volksfrömmigkeit mit ein. Die Volkskultur ist etwas, wo sich immer Neues ereignet. Das Volk evangelisiert sich fortwährend selbst. Die Volksfrömmigkeit ist primär eine Kultur der Armen.“ Der Papst fordere eine „Inkulturation des Christentums in jede Kultur. Das bedeutet, sich der säkularen Realität moderner Gesellschaften zu stellen. Europa ist eine säkulare Gesellschaft, aber jede Kultur, die einmal christianisiert worden ist, hat Potential. In die Volkskultur ist Europas ein gewisses Vertrauen zu setzen. Das ist kein steiniger Boden, wo wir nur auf Ablehnung stoßen.“ so Schelkshorn.
Die Sozialethik Assistentin Maria Ladenhauf erlebte die „ansteckende Freude, die erfrischende Sprache und die Wertschätzung der Pluralität“ als Elemente, die sie im Apostolischen Schreiben besonders ansprachen. Für die Studentin Edith Speiser habe beim Papst „die Wirklichkeit Vorrang vor der Idee. Und er erteilt den Götzen eine Absage.“ Den Geschäftsführer von JAKOB, dem Jugendapostolat der Katholischen Orden und Bewegungen, Benedikt Michal, sprach der Papst Hinweis an, „den Krieg in der Kirche hintan zu stellen“. Und er fragte: „Haben wir genügend Repertoire an Kreativität für die Evangelisierung.“ Für den Jugendzentrum-Mitarbeiter Emanuel Huemer ist die Enzyklika ein „Schreiben für alle, nicht nur die Theologen“, der den Papstaufruf: „Lassen wir uns das Ideal der Bruderliebe nicht nehmen“, unterstrich.
„Evangelii Gaudium“ ist „marktkritisch aber nicht marktfeindlich“
In der abschließenden Podiumsdiskussion nannte der Chefredakteur der Wirtschaftswoche, Christian Ortner, die Enzyklika eine „harte Abrechnung mit dem Kapitalismus, mit der Welt der freien Märkte“, die er „schrecklich, inhaltlich falsch und Menschen verachtend“ finde. Er wies darauf hin, durch die freie Marktwirtschaft seien „in den letzten 20 Jahren eine Milliarde Menschen in bescheidenen Wohlstand geraten. Das ist das größte Projekt der Armutsbekämpfung, das es jemals gegeben hat. Dieses Faktum ist unbestreitbar.“
Der Gründer der Vinzigemeinschaft, Pfarrer Wolfgang Pucher, sagte, Es geschieht zu wenig für eine gerechte Gestaltung der Welt.“ Vielmehr sei es heute eine Tatsache: „Mit wachsendem Besitz wächst die Gier. Die in den Besitz zu bekommen wären alle Religionsgemeinschaften aufgerufen. Leider schaffen wir es nicht.“ Er erlebe heute einen „Untergang der Menschenwürde, eine Globalisierung der Geleichgültigkeit. Die freie Marktwirtschaft lebt davon, dass der Stärkere den Schwächeren austrickst“. Die stärkste Unterstützung erlebe seine Gemeinschaft „von den kleinen Spendern“.
Der Hochschuldozent Klaus Gabriel vom Verein zur Förderung von Ethik und Nachhaltigkeit bei der Geldanlage sah sich in der Diskussion zwischen zwei Stühlen sitzen. Für ihn sei „Evangelii Gaudium“ ein „Dokument zur Evangelisierung, kein wirtschaftsethisches Dokument, das ein klares Bekenntnis zum Wirtschaftswachstum“ enthalte. Es sei „marktkritisch aber nicht marktfeindlich. Das Solidaritäts-, Subsidiaritäts- oder das Gemeinwohlprinzip waren alle schon in anderen Dokumenten vorhanden. Es ist inhaltlich nichts Neues, ist aber von der Sprache her klar und wohltuend formuliert“. So sage der Papst klar „Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung, Nein zur neuen Vergötterung des Geldes, Nein zu einem Geld, das regiert, statt zu dienen und Nein zur sozialen Ungleichheit, die Gewalt hervorbringt“. Gabriel resümierte: „Ich kenne kein besseres System als das Prinzip der freien Marktwirtschaft. Und gleichzeitig gibt es himmelschreiende Ungerechtigkeiten.“
Franz Vock