„Die Grenzen Europas sind dort, wo Intoleranz beginnt“
„Europa ist eine christliche Wertegemeinschaft und hat den Humanismus. Es hat versucht, die Probleme mit der Ratio zu lösen und nicht mit der Waffe. Die Grenzen Europas sind immer dort zu ziehen, wo Intoleranz beginnt; Auch das ist eine europäische Grenze“, sagte Univ. Prof. Stefan Karner bei seinem Festvortrag zum Thema „Friedensprojekt Europa“ an der 25. Weinviertel-Akademie am 20. März 2014 im Bildungshaus Schloss Großrußbach auf Einladung der Katholischen Aktion Wien.
„Lasst uns die Förderprogramme auffüllen“
„Dass wir heute ohne eisernen Vorhang leben können ist eine Gnade“, betonte Karner. „Wir müssen die positiven Leistungen des Friedensprojektes sehen, die Nationalitätengegensätze abbauen. Wir haben schwierigste Gräben überwunden. 1989 war eine Euphorie und Europabegeisterung spürbar. Die müssen wir weiter tragen. Heute ist sie im Sinken. Wir müssen eine Europabegeisterung haben, um sie selbst weiter geben zu können“, bekräftigte Karner. Europa gehöre heute „zu den reichsten Gegenden der Welt“, verliere aber an Gewicht und Einfluss und „ist auf dem absteigenden Ast“, so Karner. Asien sei im Aufwind. „Wir steigen im Moment im Weltmaßstab ab. Das ist keine Entwicklung der letzten Jahre, sondern eine langzeitige Verschiebung der Kräfteverhältnisse in der Welt“, erläuterte der Historiker. Das sei auch an den sinkenden Bevölkerungszahlen ersichtlich, die 2050 7,6 Prozent der Weltbevölkerung betragen werden. Es heiße heute im Pentagon „Eurasien“.
Am Beginn der Neuzeit, im Europäischen Jahrhundert von 1840 bis 1940, war der „Anteil Europas am Brutto-Sozialprodukt doppelt so hoch wie das der Weltbevölkerung. Es gab einen Humanismus und viele Bildungsinitiativen, auch der Kirche“, so Karner. Es sei „entscheidend in die Bildung zu investieren. Die Kirche hat dafür viel gemacht im späten Mittelalter, hat sich reformiert im Inneren, sie war vernetzt; Es war selbst verständlich, in Berlin, Prag oder sonst wo zu studieren. Lasst uns die Förderprogramme auffüllen. Wenn sie heute Bildungsausgaben machen, werden sie davon erst in drei Generationen ernten. Diese Fragen müssen politisch außerhalb kurzfristiger Interessen gestellt werden“, sagte er zu den anwesenden Politikern und Verantwortlichen aus Gesellschaft und Kirche.
„Wir brauchen mehr Leadership, die von Visionen getragen ist, wo man alle einbindet“
„Der erste Weltkrieg forderte 10 Millionen Tote und zusätzlich weltweit 25 Millionen Tote durch die Spanische Grippe, die eine Folge des Weltkrieges war“, so Karner. Es seien „Tabus gebrochen“ worden. „Es gab Massenheere, den Einsatz von Giftgas, Genozide. Er hat nichts gelöst. Alles schrie nach Revision.“ Auch der zweite Weltkrieg habe „viele Opfer gefordert. Danach wurde Westeuropa auf die Beine gestellt, auch weil wir es geschafft haben, die Nationalismen zu überdecken. Nach dem 2. Weltkrieg spielte Europa keine Rolle mehr. Europa wurde aufgeteilt in Interessenssphären. Russland und Amerika entschieden, in Wien wurde über die Welt verhandelt. Wir spüren die Auswirkungen der bipolaren Welt. Wir haben 1956 und 1968 viele aufgenommen, wo es uns noch nicht so gut gegangen ist. Wir leben und lebten als Österreicher ganz gut, haben uns arrangiert. Letztlich hatten wir das Glück auf der Seite des Eisernen Vorhangs zu sein“, sagte Karner.
Heute fehle es „vielfach die Begeisterungsfähigkeit“, woran „die jungen Menschen nicht selbst Schuld sind. Dass junge Studenten unbedingt weiter kommen wollen, sehe ich nicht mehr“, so Karner. Doch „wir müssen aufpassen, dass wir die Erwartungshaltungen in unser Land nicht enttäuschen“, sagte Karner im Blick auf die Studenten aus osteuropäischen Ländern. Der Jakobsweg führte im Mittelalter über ganz Europa, begann im Dom zu Riga. Da wurde viel ausgetauscht. „Letztlich hat Europa eine christliche Verfasstheit“, resümierte Karner. Er betonte abschließend: „ Wir haben in Europa wenig Leadership, wenig Persönlichkeiten, die Zukunftsvisionen haben. Wir brauchen mehr Leadership, die von Visionen getragen ist, wo man alle einbindet. Das muss abgestimmt sein mit Osteuropa. Ich muss heute säen, um übermorgen zu ernten. Das gilt in der Katholischen Aktion, in der Kirche, in der Familie. `Nur der hat das Leben wirklich verstanden, der Bäume setzt, unter deren Schatten er niemals mehr sitzen wird“, schloss er mit den Worten des Oberrabbiners David Herzog der 1938 von den Nazis bedroht wurde in der Mur ertränkt zu werden.
Weihbischof Turnovszky: „Das Friedensprojekt Europa ist unverzichtbar“
Weihbischof Stephan Turnovszky gratulierte zur 25. Weinviertel-Akademie und sagte: „Kirche und Europa, das hat viel miteinander zu tun. Die Gründung der Europäischen Union hat mit katholisch geprägten Menschen zu tun. Heute schauen viele Katholiken mit Sorge auf die EU. Werden wir Katholiken noch gewollt? Ist noch ein Platz für gläubige Menschen in diesem Friedensprojekt? Wir müssen miteinander reden, miteinander ringen um Standpunkte. Die Kirche hält das Friedensprojekt für unverzichtbar“, bekräftige Turnovszky vor den rund 130 BesucherInnen aus dem gesamten Weinviertel und Wien. Zudem wies er darauf hin, Europa ist größer als die EU.
Auch Landesrat Karl Wilfing gratulierte zur 25. Weinviertelakademie und sagte: „Das ist ein starkes Zeichen der Katholischen Aktion, ein starkes Zeichen des Bildungshauses Großrußbach und der Kirche.“ Er betonte: „Mit den Fragen des Friedens müssen wir uns immer auf der Höhe der Zeit auseinandersetzen. Wir müssen Frieden mit uns selbst halten, Frieden in der Familie, Frieden mit Gott, mit der Welt. Das ist eine Aufgabe, an der wir tagtäglich zu arbeiten haben.“ Gleichzeitig erinnerte er daran, von Großrußbach aus sei die ukrainische Grenze näher als Bregenz. Beim Friedensprojekt Europa, in der Europäischen Union, gebe es in Schottland oder Katalonien auch Trennungsabsichten, doch „niemand denkt dort mit der Waffe in der Hand tätig zu sein. Das ist das, was die Europäische Union gebracht hat. Faktum ist, das in der Europäischen Union trotz mancher Schattenseite die Sonnenseiten weit besser vertreten sind. Wir müssen alles dafür tun, dass unsere Kinder und Kindeskinder weit bessere Voraussetzungen dafür vorfinden“, schloss Landesrat Wilfing.
Die Vorsitzende der Katholischen Aktion im Weinviertel, Barbara Müller, konnte zusammen mit dem Direktor des Bildungshauses, Franz Knittelfelder, unter den zahlreichen Festgästen aus Kirche und Gesellschaft Weihbischof Stephan Turnovszky, Landesrat Karl Wilfing, den Präsidenten des Katholischen Laienrats, Theo Quendler, den Präsidenten der Katholischen Aktion (KA) der Erzdiözese Wien, Walter Rijs, die Vorsitzende des Fördervereins Bildungshaus Großrußbach, Cäcilia Kaltenböck, den St. Vorsitzenden des Vikariatsrats, Ferdinand Faber, den Geistlichen Assistent der KA, Willibald Steiner, Bischofsvikar a.D. Matthias Roch, LAbg. a.D. Karl Litschauer und natürlich den Festredner des Abends, Univ.-Prof. Stefan Karner, begrüßen. Müller erinnerte daran, es sei nicht selbstverständlich, dass wir in Frieden leben können. Schon Berta von Suttner wies darauf hin: „Nicht unseren Vorvätern wollen wir trachten, uns würdig zu zeigen, sondern unseren Enkelkindern.“
Anschließend konnten die TeilnehmerInnen in vier Arbeitskreisen ihre Erfahrungen zum Friedensprojekt Europa vertiefen. Sie wurden geleitet von Univ. Prof Stefan Karner, der Politologin Margit Appel, zum Thema „Erst das Fressen, dann die Politik“, von Barbara Müller und Doris Hartl, über „Berta von Suttner“ und vom Toni Kalkbrenner zum biblischen „Shalom“. Und das Bläserensemble Weinviertel Mitte unter der Leitung von Karl Schöffmann sorgte für die feierliche musikalische Umrahmung, wo sich bei der Europahymne das gesamte Auditorium erhob.
Die Veranstaltung der KA im Vikariat Nord findet seit 1988 regelmäßig in Großrußbach statt und wird getragen von: kfb, KMB, KAB, KJ, KJS, Bildungshaus Schloss Großrußbach, Katholisches Bildungswerk und „der Sonntag“ - die Kirchenzeitung der Erzdiözese Wien
Franz Vock