Bibel und Ungehorsam - wie (un)gehorsam war Jesus?
Das innere Hinhören
Was heißt es eigentlich, „gehorsam“ zu sein? Wikipedia versteht darunter das Befolgen von Geboten oder Verboten. Aber es steckt noch mehr dahinter! Geht man den Ursprüngen des Wortes auf den Grund, dann wird relativ schnell klar, dass „gehorchen“ etwas mit dem „Horchen“ und damit mit dem „Gehör“ zu tun hat. Es geht also ganz ursprünglich wirklich ums „Hinhören!“.
Deshalb gilt es, zuerst einmal den inneren Widerstand zu überwinden, der uns einholt, wenn von uns Gehorsam gefordert wird. Anstatt grundsätzlich eine Haltung der Ablehnung einzunehmen und sich dem Gehorchen zu widersetzen, sollte man zuerst hinhören, worum es eigentlich geht. Was ist der Hintergrund der an uns gerichteten Forderung? Gibt es vielleicht einen größeren Zusammenhang, den wir noch nicht erkannt haben und durch unseren eventuellen Ungehorsam zerstören würden?
Versteht mich nicht falsch, ich bewerbe hier keinen blinden Gehorsam, sondern will in den Vordergrund stellen, das wir beim Gehorsam – wie auch in jedem anderen respektvollen Gespräch – zuerst einmal hinhören sollten auf das, was unser Gegenüber von uns möchte und ob / wie wir helfen können. So stellen wir nicht unseren eigenen Willen vor den des anderen, sondern wir bleiben aufgeschlossen und bereit, neue Perspektiven zu gewinnen, von denen wir vielleicht selbst profitieren können.
Wir sind bestimmt nicht die ersten auf unserer Welt, die sich mit dem Gehorsam manchmal schwer tun. Ja, es gibt einen Unterschied zwischen einem gerechten und einem falschen, oft blinden Gehorsam.
So denke ich zum Beispiel an den zweiten Weltkrieg, der bis hinein in unsere Familien tiefe Wunden hinterlassen hat, weil Menschen „einfach Befehle ausgeführt“ haben. Niemand von uns ist davor geschützt, Fehler zu machen oder seine (große oder kleine) Macht über andere zu missbrauchen. Oder doch? Es gab einen Menschen, dem ist es gelungen, gerecht zu bleiben: Jesus Christus.
Er hat immer wieder von sich selbst behauptet, den Willen seines Vaters zu tun, also mit anderen Worten: seinem Vater gehorsam zu sein. Und dadurch ist er zum Segen für viele Menschen geworden, die ohne ihn verloren gewesen wären. Es scheint also, als habe Gott einen guten Plan für uns Menschen. Und damit dieser Plan aufgehen kann, braucht es uns alle. Schauen wir einmal in die Bibel, um zu erfahren, welche Rolle der Gehorsam in diesem großen Plan Gottes vielleicht spielt und warum es wichtig ist, ein hörender Mensch zu sein!
Warum der Ungehorsam zum Menschsein gehört
Die Bibel ist zwar ein dickes Buch, aber fängt man an, darin zu lesen, dann dauert es nicht lange, bis man zum ersten Mal auf das Thema von Gehorsam bzw. Ungehorsam stößt. Eine der wohl spannendsten Geschichten in dem Zusammenhang ist die von Adam und Eva. Wir lesen sie ziemlich am Anfang der Bibel, im Rahmen der Schöpfungsgeschichte. Adam und Eva leben glücklich im Garten Eden. Alles ist wunderbar, aber Gott hat ihnen eine Regel gegeben, die sie befolgen sollten.
Er hat zu ihnen gesagt: „Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; denn am Tag, da du davon isst, wirst du sterben“ (Gen 2, 16 – 17). Soweit so gut. Adam und Eva waren gehorsam und haben getan, was Gott von ihnen verlangt hat. Doch dann passiert etwas Spannendes: eine sprechende Schlange will die beiden dazu bringen, das Gebot Gottes zu brechen.
Um ihr Ziel zu erreichen, geht sie sehr clever vor! Im Gespräch mit Eva versucht die Schlange nicht, Gottes Gebot für ungültig zu erklären, sondern sie unterstellt Gott, dass er damit einen bösen Hintergedanken verbindet. Sie behauptet, die beiden würden gar nicht sterben, wenn sie von dem Baum essen würden, stattdessen würden sie genauso weise und mächtig wie Gott werden – und eben das würde Gott verhindern wollen…
Die Schlange säht also Zwietracht und Zweifel. Mit Erfolg. Plötzlich ist Gott in den Augen von Adam und Eva nicht mehr der fürsorgliche Vater, sondern der eifersüchtige Unterdrücker, der ihnen etwas Tolles vorenthalten will. Merkt ihr, was passiert ist? Die Forderung nach Gehorsam hat sich nicht verändert, aber die Menschen haben ihr eine neue, zerstörerische Bedeutung gegeben und ihr Vertrauen in Gott verloren.
So kommt es, wie es kommen musste: die beiden Menschen aßen vom Baum, der für sie eigentlich tabu sein sollte, und wurden auf frischer Tat ertappt. Am Ende der Geschichte werden sie zur Strafe für ihren Ungehorsam aus dem Garten vertrieben und müssen nun ein wesentlich schwierigeres Leben führen.
Adam und Eva gelten in der Bibel als die „ersten Menschen“ – sie stehen bildhaft für alles, was uns als Menschen bis heute ausmacht und definiert. So gesehen gehört der Ungehorsam von Anfang an zu uns Menschen dazu, er hat unsere Entwicklung mitbestimmt und beeinflusst.
Der neue Weg: Jesus von Nazareth
Wenn aber der Ungehorsam zum Menschen dazugehört, und wie bei Adam und Eva letztlich dazu führt, dass wir etwas verlieren, wie sollen wir dann noch Hoffnung haben können? Befinden wir uns nicht in einer Spirale des ewigen Falls? Nein. Denn zum einen wollen wir nicht übertreiben: der Mensch definiert sich ja nicht durch Ungehorsam allein, sondern auch durch viele andere Eigenschaften. Zum Anderen haben wir einen starken Helfer an unserer Seite: Gott selbst.
Im Neuen Testament, in den Evangelien, bekommen wir es mit Jesus von Nazareth zu tun. Er ist Teil des Plans, den Gott für uns Menschen hat. Weil Gott wusste, dass wir Menschen Hilfe auf unserem Weg brauchen, und nicht wollte, dass wir wie Adam und Eva von ihm getrennt bleiben, hat er sich selbst auf den Weg zu uns Menschen gemacht. Und so ist Gott als kleines, verwundbares Baby auf die Welt gekommen. Der Name des Kindes war Jesus. Er war kein Halbgott, sondern ganz Mensch und ganz Gott zugleich.
Anfangs habe ich gesagt, dass Jesus in seinem späteren Leben immer wieder betont hat, den Willen seines Vaters zu tun. Wie ist ihm das gelungen? Hier kommen wir wieder zum „Hören“. In einer der Geschichten über Jesus hören wir von einer Begegnung zwischen Jesus und einem blinden Mann. Der Blinde ruft laut um Hilfe, denn aufgrund seiner Sehbehinderung geht es ihm sehr schlecht.
Was tut Jesus? Er heilt ihn nicht sofort, obwohl ihm bestimmt klar ist, das der Blinde wieder sehen will. Doch Jesus hört zuerst hin – in allen Dingen! Also fragt er den Blinden: „Was willst du, dass ich dir tue?“ (Lk 18, 41). Erst, nachdem der Blinde seinen Wunsch klar ausgesprochen hat, wird Jesus aktiv und schenkt ihm sein Augenlicht.
Genau das ist der Punkt. Aus dem Blickwinkel Jesu hat auch der Gehorsam immer damit zu tun, hinzuhören! Hinhören auf diejenigen, die etwas von uns wollen. Das können Menschen sein, das kann aber auch Gott sein.
Und so hat sich Jesus immer bemüht, zunächst einmal hinzuhören, ins Gespräch zu kommen, nicht nur mit Menschen, sondern auch mit seinem Vater. Er ist oft auf einen einsamen Berg gestiegen, um dort zu beten und mit Gott allein zu sein. Das Gebet war für Jesus das persönliche Gespräch mit seinem Vater. Aus dieser engen, liebevollen Beziehung konnte er auch die Kraft gewinnen, seinen Lebensweg zu gehen. Könnte Jesus uns darin nicht Wegweiser und Vorbild sein?
Gotteswille und Menschenwille
In unserem Alltag muss jeder von uns viele Regeln und Gebote beachten. Anders würde unser Miteinander nicht funktionieren. Dabei kann es passieren, dass wir in eine Zwickmühle geraten. Was, wenn eine Regel einer anderen widerspricht? Dieses Problem hatte schon Jesus. Also traf er eine Entscheidung: um sich selbst und seinem Vater treu zu bleiben, hat er manches Mal den Ungehorsam gegenüber Menschen in Kauf genommen.
Ob es nun seine Wunderheilungen am Sabbat waren, durch die er zwar vielen geholfen hat, zugleich aber gegen geltende Gesetze verstoßen hat, oder ob es die Streitigkeiten mit religiösen und staatlichen Machthabern waren… Jesus war ein Revolutionär, der sich nicht zurückgenommen hat, wenn es um das Wohl der Menschen und das Reich Gottes ging.
Es war ihm egal, ungehorsam gegen menschliche Maßstäbe zu sein, wenn diese ungerecht waren… ganz nach dem Leitspruch: „Das Gesetz ist für den Menschen da, nicht der Mensch für das Gesetz“. Jesus hat immer zuerst hingehört auf das, was Gott von ihm wollte, und sich davon leiten lassen. Denn er wusste: Gott will das Beste für uns Menschen, er will, dass wir ein „Leben in Fülle“ (Joh 10, 10) haben.
Das ist die andere Seite, auch so kann sich Gehorsam anfühlen: auf das zu hören und das zu tun, was einem tief ins Herz geschrieben ist. All das, woraus man lebt, was einem Sinn im Leben gibt und das nicht zum Nachteil anderer ist, sondern zu ihrem Vorteil!
Da geht es auch und gerade darum, durch Gehorsam oder Ungehorsam – je nachdem, was es gerade braucht – so manche Ungerechtigkeit zu bekämpfen und neue Wege zu gehen, damit sie künftigen Generationen zur Gewohnheit werden!
Mut zum (Un)Gehorsam
Nach alledem scheint klar zu sein: nicht jeder Gehorsam ist gut und nicht jeder Ungehorsam ist schlecht. Es kommt immer ganz auf die Situation an, und darauf, ob wir gut genug hingehört haben. In Anlehnung an die Geschichte von Adam und Eva scheint es mir wichtig, dass wir uns immer wieder aufs Neue fragen, auf wen wir gerade hören: auf Gott, oder doch auf eine „sprechende Schlange“, die Tatsachen verdreht…
Letztlich sollten wir der Botschaft Gottes, der Botschaft Jesu den Vorrang einräumen und uns daran orientieren. Das kann helfen, die Dinge auseinanderzuhalten und zu unterscheiden. Haben wir Mut zu Gehorsam, wo er sinnvoll ist, und Mut zum Ungehorsam, wo er nötig ist. Und vor allem: suchen auch wir die Nähe zum Vater im Gebet, dann wird uns manches klarer sein.
Diese Artikel erschien erstmals im kumquat "Jetzt wird´s politisch!" - 1/2019
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