Das Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich
2 MEDIEN: BEWUSSTSEIN UND ÖFFENTLICHKEIT
Medien
Altes Testament
Das Wissen ist für den Gebildeten ein stärkerer Schutz als zehn Machthaber zusammen. (Kohelet 7,19)
Neues Testament
Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein. (Matthäus 5,37)
DIE DYNAMIK DER MEDIENWELT
(43) Unsere Wahrnehmung von Wirklichkeit und unser Bewusstsein von gesellschaftlichen Vorgängen werden wesentlich von den Medien geprägt. Information und Kommunikation laufen über Medien.
Entscheidende Vorgänge in der Gesellschaft finden im öffentlichen Raum statt. Demokratie lebt von öffentlicher Auseinandersetzung, die vor allem über die Medien geführt wird. Demokratie bedarf auch der Kontrolle von Macht, wie sie wesentlich von Medien geleistet wird.
So spielen Medien in ihrer Vielfalt, Fernsehen und Radio, Zeitungen und Zeitschriften - aber auch die elektronischen Medien - eine fundamentale Rolle für das gesellschaftliche und politische Leben.
Weltweite Informationsgesellschaft
(44) Die vergangenen zehn Jahre haben einen grundlegenden Wandel in der weltweiten Medienlandschaft gebracht. Fernsehen, Radio und die so genannten neuen Medien, allen voran das Internet, ermöglichen es, nie gekannte Informationsmengen in kürzester Zeit überall hin zu verbreiten. Mit Chatrooms wurden neue globale Kommunikationsnetze geschaffen und dazu neue Sprachformen entwickelt. Das Internet hat neue Möglichkeiten der politischen Partizipation eröffnet.
(45) Viele Menschen haben das Gefühl, von der Fülle des Informationsangebots überfordert zu werden. Sie finden es nicht leicht, auszuwählen und sich eine eigene Meinung zu bilden, zu unterscheiden zwischen Wahr und Falsch, zwischen echten und fiktiven, zwischen umfassenden und aus dem Zusammenhang gerissenen Bildern und Berichten.
LEBEN IN DER MEDIENGESELLSCHAFT
(46) Die Bilder des Fernsehens bestimmen, was als wichtig gilt. Wenn internationale Nachrichtensender Bilder eines Ereignisses um die Welt schicken, werden diese in nationale und lokale Sendungen als Spitzennachricht übernommen. Das bedeutet automatisch das Zurückdrängen anderer Informationen, weil nicht nur die Sendezeit und die Ressourcen der Sender beschränkt sind, sondern auch die Aufnahmefähigkeit der Seher und Hörer.
Wenn täglich über Krieg in einem bestimmten Land berichtet wird, entschwinden alle anderen Kriege in anderen Erdteilen aus unserem Bewusstsein. Wenn Erdbeben und Hungersnot ein Land heimsuchen, wird darüber in allen Medien berichtet und die Hilfsbereitschaft geweckt. Wenn anschließend ein neues Thema in den Mittelpunkt der Berichterstattung tritt, geraten die früheren Katastrophen rasch in Vergessenheit.
So bedeutet Fernsehzeitalter einerseits, dass Menschen weltweit, mit Satellitenempfang bis hinein in die entlegensten Gebiete, sofort dieselben Bilder und Informationen bekommen. Und es bedeutet andererseits, dass der weitaus größte Teil dessen, was in unserer Welt geschieht, kaum ins allgemeine Bewusstsein dringt. So kann das Fernsehen nur ein unvollständiges, manchmal einseitiges oder verzerrtes Bild der Welt vermitteln.
Politik und Öffentlichkeit
(47) Wenn Weltdeutung und Weltwahrnehmung wesentlich über die Massenmedien verlaufen, dann findet in einer demokratischen Öffentlichkeit die politische Auseinandersetzung vorrangig in den Medien statt.
Fernsehen ist zu einer zentralen politischen Plattform geworden. Damit Politik für die Seher interessant ist, muss sie entsprechend aufbereitet und inszeniert werden. Aussehen von Politikerinnen und Politikern, ihre Art zu reden und eine leicht verständliche Darstellung programmatischer Inhalte entscheiden weithin über Erfolg oder Misserfolg von Politikern, Politikerinnen und Parteien.
Um Wählerinnen und Wähler zu überzeugen, wird oft zu häufiger Wiederholung vereinfachter Botschaften gegriffen.
(48) Politik und Medien sind aufeinander angewiesen. Parteien brauchen eine möglichst hohe Medienpräsenz, die Sender möglichst hohe Zuschauerquoten. Deshalb müssen alle Meldungen immer neu und dramatisch sein. Es muss rasch verkündet, schneller berichtet, sofort entschieden werden, die Opposition muss sofort reagieren.
Politik unterwirft sich damit der auf kurzfristige Neuigkeitsproduktion festgelegten Eigengesetzlichkeit der Medien.
Demokratische Prozesse beanspruchen jedoch Zeit, um zu guten Ergebnissen zu kommen. Wenn politische Prozesse, Dialog und Entscheidungsfindung unter dem wachsenden Druck, in den Medien rasche Ergebnisse zu präsentieren, abgekürzt werden, steigt die Fehleranfälligkeit des politischen Systems.
Zivilgesellschaft und Medien
(49) Politik besteht nicht nur aus den Aktivitäten politischer Parteien, Verbände, Organisationen und Vereinigungen. Die Kirchen und die immer mehr an Bedeutung gewinnenden Netzwerke - etwa gegen Armut oder für die Bewahrung der Umwelt - brauchen ebenso die Medien, um ihre Anliegen in die Öffentlichkeit zu bringen.
Neben deren eigenen Medien sind es vor allem Fernsehen, Rundfunk, Printmedien und die „neuen Medien“, die als Kommunikationspartner entsprechende Möglichkeiten zur Verfügung stellen können. Das Interesse ist dabei gegenseitig: Vertreter und Vertreterinnen von Kirchen und nichtstaatlichen Organisationen sind für die Medien interessant, weil deren Vertreter und Vertreterinnen gesellschaftliche Veränderungen oft früher erkennen und damit Trends und Zukunftsentwicklungen aufzeigen.
Medienkonzentration und Ökonomisierung
(50) Weltweit sind in den letzten Jahren starke Konzentrationsprozesse der globalen, kontinentalen und regionalen Medienunternehmen zu beobachten. Einige wenige Konzerne beherrschen die großen globalen Netze. Sie dominieren gleichzeitig Fernsehanstalten, Hörfunk und die meinungsbildenden Printmedien.
Dazu kommt die zunehmende Ökonomisierung der Medien - auch in Österreich. Private Medienbetreiber müssen Gewinne erzielen, verlegerisches oder weltanschauliches Bemühen tritt zunehmend hinter die kommerziellen Interessen zurück.
(51) Allerdings werden auch Ansätze eines Dritten Sektors - nicht gewinnorientierte Medien wie freie Radios - sichtbar. Ihre wichtige demokratie- und gesellschaftspolitische Funktion wird finanziell noch kaum von der öffentlichen Hand unterstützt. Offene Kanäle als Bürgerfernsehen könnten in Zukunft neue Chancen für unterschiedliche Gruppen und Vereinigungen eröffnen, sich zu Wort zu melden.
Medienfreiheit
(52) Medienfreiheit ist eine der Voraussetzungen für Medienvielfalt. Konzentrationsprozesse, wie sie auch in Österreich vor allem im Bereich von Zeitungen und Zeitschriften stattfinden, beeinträchtigen die Medienvielfalt und erschweren die Meinungsbildung.
Medienfreiheit ist ein Recht, das fairer Zugangschancen bedarf. Die Ökonomisierung der Medienlandschaft schließt schwache Mitspieler ohne große finanzielle Ressourcen oder Vertreter von Minderheiten zunehmend aus. Medienfreiheit bedeutet daher auch in Österreich, dass Minderheiten Zugang zu den Medien haben müssen. Medien sind für Minderheiten notwendig.
(53) Auf globaler Ebene sind die Unterschiede von Macht und Einfluss der Medien zwischen den großen Industriestaaten und kleineren und ärmeren Ländern enorm. Die reichen Gesellschaften haben ungleich mehr Möglichkeiten zur weltweiten Meinungsbildung und zur Propagierung ihrer Kultur und Lebensweise. Mit ihren Informationen und Filmen verbreiten sie Bilder eines Lebensstils, die allenfalls einen Teil der Realität darstellen, aber für viele Arme zum Trugbild guten Lebens werden.
Der erschwerte Zugang der armen Länder zu globaler Kommunikation kann auch durch die wachsende Inanspruchnahme des weltweiten Informations- und Kommunikationsnetzes des Internet nicht ausgeglichen werden, weil Zugangsmöglichkeiten und Ressourcen beschränkt sind.
Medien-Ethos
(54) Medien sind grundsätzlich einer sachgerechten Information verpflichtet. In der gegenwärtigen Unübersichtlichkeit und Meinungsvielfalt ist der verantwortliche Umgang mit Macht und Einfluss durch Information von höchster Bedeutung.
Deshalb bedarf es kritischer Auseinandersetzung, wenn Medien Stereotype und Vorurteile verbreiten, Menschen als Mittel der Unterhaltung benützen, manchmal in entwürdigender Weise. Zu kritisieren ist auch Werbung, wenn sie besonders Frauen als Objekte benutzt und Klischees verbreitet.
Je größer der Einfluss eines Mediums, umso strenger sind Kriterien der Menschenwürde und der Achtung von Minderheiten einzuhalten. Wenn ganze Gruppen wie Arbeitslose, nationale Minderheiten oder Menschen mit anderer Hautfarbe als Außenseiter dargestellt werden, werden sie auch dazu gemacht. Dadurch wird die Menschenwürde verletzt, und der gesellschaftliche Zusammenhalt gefährdet.
Umso notwendiger ist die Beachtung journalistischer Standards und Qualitätskriterien für korrekte Berichterstattung. Für deren Nicht-Beachtung sollten entsprechende Sanktionen vorgesehen sein.
Medienerziehung
(55) Der kompetente Umgang mit Medien ist ein wichtiges Bildungsziel.
Besonders groß ist der Einfluss der Bilderwelt auf junge Menschen, die heute schon sehr früh mit Medien konfrontiert werden. Kindern sind fiktive Gestalten des Fernsehens oft vertrauter als reale Menschen, die Werbung beeinflusst ihre Wünsche und ihre Weltsicht. Fernsehen und andere Medien prägen die persönliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen mitunter stärker als die Erziehung durch Eltern und Schule.
Den selbstverständlichen und unvoreingenommenen Gebrauch der Medien durch die jüngere Generation zu nützen und für alle - auch die Erwachsenen - in Richtung eines verantwortungsbewussten Umgangs weiterzuentwickeln, ist Aufgabe von Medienpädagogik und Erwachsenenbildung.
Medien und Kirchen
(56) Mit der Vermittlung von Weltbildern, Werten und Lebenskonzepten haben die Medien Funktionen der Sinnstiftung übernommen und treten in Konkurrenz zu Kirchen und Religionsgemeinschaften. Medien sind so selbst „religiöse“ Institutionen geworden.
Die Antwort der Kirchen muss eine kompetente Auseinandersetzung mit den in den Medien vermittelten Sinn-Angeboten sein.
Durch eine offene Informationspolitik und aktive Medienarbeit sollten die Kirchen versuchen, ihren Auftrag in der Gesellschaft wahrzunehmen.
KONSTRUKTIVER UMGANG MIT MEDIEN
Aufgaben für die Kirchen
- Die Kirchen sollen mit den Medien im Wissen um deren Eigengesetzlichkeit kooperieren, um ihre Stimme in der Gesellschaft zu Gehör zu bringen. (57)
- Die Kirchen treten ein für die Erhaltung des öffentlich-rechtlichen Auftrags des ORF, um dessen demokratiepolitische Funktion zu sichern. (58)
- Die Kirchen wollen mit ihrer Medienarbeit auch den Stimmlosen, den Minderheiten eine Stimme geben. Sie schaffen auch Kommunikationsmittel für Gruppen, die sonst keine Beachtung finden. (59)
- Die Kirchen fördern in ihrer Bildungsarbeit das kritische Bewusstsein im Umgang mit Medien. (60)
- Die Kirchen beteiligen sich an der medienpolitischen Debatte und fördern die Entwicklung und Umsetzung medienethischer Kriterien. Dazu bedarf es auch im Bereich der Kirchen geeigneter professioneller Institutionen und entsprechend qualifizierter Personen. (61)
MEDIEN IM DIENST DER MENSCHEN
Aufgaben für die Gesellschaft
- Die Kirchen erwarten von den politisch Verantwortlichen, Maßnahmen gegen eine weitere Medienkonzentration in Österreich zu ergreifen. (62)
- Die Kirchen fordern von der Politik, kleine und alternative Medien zufördern und zu stärken. (63)
- Die Kirchen erwarten von den Medien, dass sie ihre demokratiepolitische Funktion durch unabhängige Berichterstattung verstärkt wahrnehmen und den Austausch mit zivilgesellschaftlichen Gruppen fördern. (64)
- Im Sinne einer demokratischen und offenen Gesellschaft fordern die Kirchen alle Beteiligten zur Entwicklung einer Kultur kritischer Auseinandersetzung auf, in der auch Andersdenkende respektvoll behandelt werden. (65)
- Um die Medienkompetenz zu fördern, erwarten die Kirchen eine Auseinandersetzung und Einübung des Umgangs mit Medien in Schulen und den Einrichtungen der Erwachsenenbildung. (66)