Zur kommenden Nationalratswahl ist schon alles gesagt – nur noch nicht von mir, so könnte das abgewandelte Zitat von Karl Valentin lauten, angesichts der vielen Wortmeldungen und Warnungen vor einer Übernahme der Republik durch undemokratische Akteure.
Dennoch versuche ich, zu dem überwürzten medialen und verbalen Gericht, das uns da ständig serviert wird, zur besseren Verdaulichkeit ein Stück handfestes Landbrot anzubieten.
Ich bin 1940 geboren und habe die Schrecken des Krieges und die entbehrungsreiche Nachkriegszeit tief in meiner DNA verankert, deshalb frage ich mich immer wieder, woher die große Unzufriedenheit jener gefühlten Mehrheit kommt, die in einem der reichsten Ländern der Welt mit einem der besten Sozialsysteme lebt. Natürlich ist das industriegetriebene Wohlstandssystem das uns die kapitalgetriebene globale Ungleichheit beschert hat, nicht zukunftsfähig, aber die Mehrheit in unserem Land kann eine andere Gewichtung ihres Ressourcenverbrauchs und eine Veränderung des Steuersystems gut vertragen, ohne merkbare finanzielle Einbußen und mit mehr Rücksichtnahme auf die Umwelt und die armen Menschen in unserem Land. Der Weigerung Tempo 100 auf Autobahnen zu akzeptieren, steht derzeit die katastrophenbedingte Unerreichbarkeit vieler Orte gegenüber, die zwangsläufig hingenommen werden muss. Statt eines minimalen Verzichts auf Ackerflächen, die für die Renaturierung gebraucht werden, müssen viele Bauern die Vernichtung der landwirtschaftlichen Lebensgrundlagen durch die Flut hinnehmen. Sicherheit und Wohlstand sind keine Selbstverständlichkeit.
Die Flutkatastrophe, mag viele Ursachen haben, aber der Anteil der Klimakrise, der Versiegelung der Böden und die Besiedelung von prekären Gebieten ist nicht zu leugnen. Derzeit reagieren aber viele so darauf, wie sie auch auf die Zuwanderung von Menschen aus Kriegs- und Hungerregionen reagieren. Sie bauen in einem Fall Mauern und Zäune und im anderen Fall Dämme gegen das Hochwasser, beides hält im Ernstfall oft nicht. Nicht umsonst sprechen viele von der Flüchtlingsflut, so als ginge es in diesem Fall nicht um Menschen und ihre Not.
Die Flutkatastrophe hat aber noch etwas anderes gezeigt, nämlich dass wir zu großer Solidarität fähig sind, wenn die Not deutlich sichtbar wird. Es wäre also ein Leichtes, die Not armer Menschen und von zugewanderten Personen in empathischer Weise medial zu äußern, statt Neid und Abwehr zu stimulieren. Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar. Wir werden nie mehr ein Land sein, das Dank des Eisernen Vorhangs abgeschottet von Zuwanderung und globalen Vernetzungen die Illusion von einer sich selbst genügenden Gesellschaft leben konnte.
Niemand meiner Generation und auch niemand der nachfolgenden hätte sich träumen lassen, dass wir einmal die ganze Welt bereisen könnten, dass wir Lebens- und Genussmitteln aus allen Teilen der Erde in den Verkaufsregalen finden, dass Bekleidung vom Gebrauchs- zum Verbrauchsgut werden würde. Die Mehrheit der Älteren von uns lebt in einem Wohlstand, der für sie in ihrer Jugend undenkbar war und dennoch diese große Unzufriedenheit.
Ich habe in meinem ersten Schuljahr noch mit Griffel auf kleine Tafeln schreiben gelernt, weil es weder Papier noch anderes Schreibmaterial gab. Ich hatte drei Kleider, die ständig mit der Hand gewaschen werden mussten und ein Paar Sommer- und ein Paar Winterschuhe, aber ich hatte nach dem Krieg eine schöne Kindheit. Unsere Eltern mussten sich an die Nachbarschaft der russischen Kommandantur und an amerikanische GIs gewöhnen, aber das aufgezwungene Fremde wurde hingenommen.
Wieso schaffen wir es nicht, dankbar zu sein für alles, was unser Leben so positiv verändert hat und alle notwendigen Schritte in eine gute, friedvolle und nachhaltige Zukunft zu gehen? Können wir nur Veränderungen hinnehmen, die uns aufgezwungen werden und solche, die von uns kein aktives Engagement erfordern?
Niemand sage, man hätte nicht gewusst, dass Klimakrise, soziale Ungleichheit und Militarisierung unser Leben nachhaltig verändern werden und wir dagegen halten müssen. Das kann doch nicht so schwer sein, wenn wir statt den Blick auf die Defizite und Versäumnisse zu richten, dankbar dafür sind, dass wir in einem reichen Land mit so vielen Möglichkeiten leben können, die wir nur solidarisch nützen und gestalten müssen.
Wir haben die Wahl, auch dafür müssen wir dankbar sein.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.