Möglicherweise ist es für eine Frau meiner Generation nicht ganz mainstream, aber ich habe viel Zeit meiner Kindheit und Jugend auf diversen Fußballplätzen verbracht. Auf der Pfarrwiese, dem damaligen Rapidplatz, im Stadion im Prater, auf der Hohen Warte, zu der ich damals noch zu den Spielen auf den offenen Trittbrettern der überfüllten Stadtbahn stehend durch die Tunnels gerauscht bin. Ja, ich bin Rapid sogar auf die gefürchtete Simmeringer Heide nachgereist.
Am besten in Erinnerung sind mir allerdings Spiele, die ich nur über das Radio verfolgen konnte, kommentiert von dem unvergesslichen Heribert Meisel. Das ist jetzt genau 70 Jahre her. 1954 nahm Österreich mit sehr guten Chancen an der Fußballweltmeisterschaft in der Schweiz teil. Nach atemberaubenden Spielen wurde Österreich Dritter, weil wir uns gegen die gar nicht favorisierten Deutschen einen Totalausfall mit 1:6 leisteten.
Unsere Helden von damals waren Schmid, Ocwirk, Happel, Hanappi usw., die von ihren Fußballkünsten keineswegs leben konnten. Sie waren Angestellte in öffentlichen Betrieben und Banken, die ihnen allerdings die nötige Freizeit zugestanden. Hanappi studierte nebenbei Architektur. Einige von ihnen haben die großen Umwälzungen noch erlebt, als aus ihrem Sport ein Milliardengeschäft wurde und gefeierte Fußballidole zu einer millionenschweren Handelsware.
Als vor kurzem Real Madrid die Champions League gewann, waren auch Emirates und Rheinmetall - einer der weltweit größten Rüstungsbetriebe - mit am Platz. Ohne diese, oft fragwürdigen Konzerne ginge im Fußball gar nichts. Die FIFA schafft es, mit ihren Knebelverträgen bei Großereignissen, wie der jetzt beginnenden Europameisterschaft in Deutschland, die Marktwirtschaft und teilweise auch die staatliche Souveränität außer Kraft zu setzen. Es fließt soviel Geld in die Übertragungsrechte der Spiele, dass es sich der ORF nicht mehr leisten kann, seinem öffentlich rechtlichen Auftrag gerecht zu werden und die Spiele zu übertragen.
Dennoch, Fußball hat seine Anziehungskraft nicht verloren und auch ich gehe noch begeistert auf den Rapidplatz, wenn mein Enkelsohn mich mitnimmt. Der heißt jetzt allerdings Allianz-Arena und ist im Inneren einer Fressstraße nicht unähnlich.
Da es zu meiner Zeit noch keinen Frauenfußball gab, wechselte ich in meiner Jugend dann doch sehr bald vom passiven Fußballschauen zum aktiven Basketball – und da kommt für mich die Kirche ins Spiel.
Die Pfarrjugend Gumpendorf im 6. Wiener Bezirk hatte nämlich neben einem hervorragenden Tischtennisteam auch eine gute Basketballmannschaft - und viele organisatorisch begabte Jugendliche. Die schafften es nicht nur, sich hinter der Kirche einen kleinen Basketballplatz zu bauen, sondern auch, die Diözesansportgemeinschaft zu initiieren.
Mein späterer Mann wurde mit 13 Jahren das Mitglied Nr. 2 dieser Teilorganisation der Katholischen Aktion. Den Mitgliedsausweis bewahre ich noch immer als ein sehr wichtiges Dokument seines Lebens auf. Die Pfarre war nicht nur im Gottesdienst Zentrum, sondern auch in der Freizeitgestaltung dieser Nachkriegsjugend und die Älteren lernten auf die Jüngeren zu schauen, übten sich im Organisieren und in der Gestaltung des Vereinslebens. Es ist kein Wunder, dass viele der Jugendlichen von damals dann beruflich reüssieren konnten, denn sie haben die Voraussetzungen für Leitungsaufgaben von der Pike auf gelernt. Aber die Pfarre war eine ganzheitliche Lebensschule, sie ermöglichte auch erotische Annäherungen im „geschützten Rahmen“. Die Pfarrjugend und der Sport waren somit eine Einübung auf das Leben in Gemeinschaft.
Ich weiß, diese für heute anachronistischen Reminiszenzen rufen meist nur mehr gelangweiltes Gähnen hervor, aber dennoch erfüllt es mit besonderer Freude, dass meine Enkeltöchter jetzt in einem Frauenverein der Diözesansportgemeinschaft Fußball spielen, zeigt es doch, dass es auch unter veränderten äußeren Rahmenbedingungen Kontinuität gibt.
Bei den Verantwortlichen in der Kirche vermisse ich allerdings das Bewusstsein dafür, wie wichtig diese auf den ersten Blick nicht zu den religiösen Kernaufgaben zählenden Aktivitäten sind. Sie sind es aber, an denen sich die reale Substanz des Christentums zeigt. Hier steht unser Glaube auf dem Prüfstand des Alltags. Befähigt er uns, miteinander und füreinander Verantwortung zu übernehmen und Gesellschaft zu gestalten? Schaffen wir es, dem sich breit machenden individualisierten egozentrischen Einzelgängertum, Gemeinschaftsgeist entgegenzusetzen?
Es wäre ein Kampf gegen den Zeitgeist, den zu kämpfen es sich für die Kirche lohnen würde. Mediale und wirtschaftliche Rahmenbedingungen machen es allen so leicht, sich aus der Gesellschaft zurückzuziehen und das Miteinander gar nicht erst zu lernen. Kirche müsste nicht den digitalen Angeboten, die viel potentere Akteure vielfältig anbieten, hinterher zu laufen.
Ihre Aufgabe ist es, Menschen ganz altmodisch analog zusammenzubringen. Sie hat alle Voraussetzungen dafür. Sie hat noch immer mehr Zugang zu Kindern und Jugendlichen als jede andere Organisation. Sie wird noch immer von engagierten Frauen getragen. Sie hat ein unerschöpfliches Potential an solidarischen Menschen. Worüber sie allerdings nicht mehr verfügen kann, ist diesen Menschen vorzuschreiben, in welcher Form sie ihre christliche Spiritualität leben wollen – aber gerade darauf scheinen sich viele Amtsträger zu konzentrieren.
Nach den Wochen eines europäischen Wahlkampfs, der alle Aspekte des untergriffigen Gegeneinanders in sich vereint hat, scheint die kommende Fußball-Europameisterschaft so etwas zu werden wie eine Erholungspause. Weil sie die unterschiedlichsten Menschen zusammenbringt, weil die Nationalteams alle so bunt aussehen, wie Europa eben geworden ist und allen Migrationsphobien damit in Wirklichkeit der Boden entzogen sein müsste. Ist doch derjenige, der für die österreichische Nationalmannschaft sogar als Verletzter unentbehrlich ist, der Sohn eines Afrikaners und einer Philippina.
Und obwohl die UEFA alles tut, auch diese Bastion des transnationalen Wettbewerbs in ein kapitalistisches Spektakel zu verwandeln, am Spielfeld gelten dann doch andere Regeln, denn der Ball und unser Planet sind beide rund. Einen unerfüllbaren Wunsch habe ich allerdings: bitte bei den Hymnen, nicht die Hand auf‘s Herz legen, auch wenn diese Geste eines dunkelhäutigen Österreichers schon wieder etwas Rührendes an sich hat. Denn die Spiele sind Wettbewerbe der bunten europäischen Länder und Nationalismus haben wir derzeit gerade genug.
Schön wäre es, auch so manchen kirchlichen Würdenträger beim Public Viewing auf diversen öffentlichen Plätzen zu sehen – da könnten sie den Menschen und ihren Bedürfnissen ganz nahe sein.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.