Bedingungsloses Mitgefühl, aber kritische Solidarität auf beiden Seiten
Seit dem 7. Oktober ist nichts mehr wie es war. Die Vorstellung, dass einfache Dorfbewohnerinnen, die gerade ihr Tagwerk beginnen, dass ausgelassen feiernde Jugendliche, die den ersten Sonnenstrahlen entgegentanzen, im wahrsten Sinn des Wortes abgeschlachtet wurden, versetzt wahrscheinlich alle, auch wenn wir dies nur medial erfahren, in einen seelischen Ausnahmezustand.
Das Wissen, dass mehr als 200 Menschen Geiseln dieser brutalen Täter waren, bzw. noch sind, ist kaum auszuhalten. Ich weiß nicht, wie man damit umgehen kann, Angehörige und geliebte Menschen unter den Opfern zu wissen. Ich weiß nur eins: Hass bringt keine Erlösung. Rache bringt keinen geliebten Menschen mehr zurück.
Es gibt keinen Grund, auch nicht das größte erlittene Unrecht, die Taten der Hamas zu verteidigen, aber es gibt sehr viele Gründe sich nicht auf die gleiche Ebene des Hasses zu begeben. Deshalb erschüttert es mich, wenn angesichts dieser Gräuel die einzige Antwort vordergründige Rache ist. Es erschüttert mich auch, wenn Verantwortung tragende sich einer brutalen, gewaltsamen Sprache bedienen, die nur neue Gewalteskalation hervorruft.
Dass bei Jüdinnen und Juden angesichts der erlebten Gräueltaten tiefe, unverheilte Wunden und Traumata aufbrechen, liegt auf der Hand. Dass sich bei palästinensischen Menschen, die mittlerweile auch überall auf der Welt leben, auf Grund ihrer Erfahrung von Vertreibung und Unterdrückung der Blick verengt, ist auch nachvollziehbar, wenngleich das Gewalt nie legitimiert.
Dass diese in einen schier aussichtslos erscheinenden Konflikt verstrickten Menschen jetzt selbstgerecht und erbarmungslos gegenüber den anderen agieren, kann man sogar verstehen. Dass aber viele nicht unmittelbar Betroffene, die einen weiteren Blick haben müssten, im gleichen Fahrwasser segeln, macht alles viel schlimmer.
Es scheint nur mehr die Kategorien gut und böse zu geben und eine bedingungslose Solidarisierung mit einer Seite wird gefordert. Aber die Aufgabe der Regierungen, der Medien und der Bevölkerungen all jener Staaten, die nicht unmittelbar in diesem Konfliktfeld gefesselt sind, wäre es, für und wider abzuwägen, Hass, von wo immer er kommt, zu delegitimieren und Sichtweisen Richtung Objektivität zu verschieben. Nicht „from the River to the Sea“ und auch nicht „Samaria und Judäa sind unser“, dürfen unwidersprochen bleiben.
Sich mit den Juden und Jüdinnen in aller Welt zu solidarisieren und massiv gegen den grassierenden Antisemitismus aufzutreten, heißt nicht, dies auch mit der rechtsextremen, fundamentalistischen Regierung Netanjahu zu tun, in deren Reihen Menschen sitzen, die gegen die Gesetze des Landes verstoßen haben.
Dem Antisemitismus muss entschieden entgegengetreten werden, aber auch der Hetze gegen muslimische Menschen, die in der westlichen Welt weit verbreitet ist.
Die meisten von uns sind erschüttert über das, was den Menschen in Israel widerfährt, aber genauso tief geht das Mitgefühl mit den Kindern, Frauen und Männern im Gaza Streifen. Wer eins gegen das andere ausspielt, ist nur mehr selbstgerecht und empathielos.
Es wäre wahrscheinlich zu viel, von Jüdischen und Palästinensischen Menschen in dieser Situation zu verlangen, das Leid der jeweils anderen wahrnehmen zu können, aber wir, die wir nicht in diesem Streit gefesselt sind, müssen deren verschobenes Weltbild immer wieder versuchen zurechtzurücken, sonst machen wir uns mitschuldig.
Uns österreichischen (und deutschen) Menschen steht dabei allerdings die eigene gesellschaftlich-historische Schuld im Wege. Wie sollen wir damit umgehen, dass unsere Vorfahren es waren, die das jüdische Volk beinahe ausgerottet haben?
Von uns ist eine besondere Sensibilität bezüglich jeglicher antisemitischen Tendenzen gefordert. Das heißt aber nicht, jegliche Politik, jegliche Kampfhandlung des Staates Israel gut zu heißen. Mir scheint, je wenig gefestigt Menschen in ihrer Haltung gegen Antisemitismus sind, desto bedingungsloser stellen sie sich an die Seite Israels, so unter dem Motto „sicher ist sicher“.
Politiker und Politikerinnen; Journalisten und Journalistinnen tragen in dieser aufgewühlten Zeit mit der Wahl ihrer Worte und Handlungen eine besondere Verantwortung, sind sie doch für das Meinungsklima im Land verantwortlich.
Jedes selbstgerechte und erbarmungslose Partei-Ergreifen verschärft scheinbar ausweglose und gewalttätige Konfliktsituationen. Aus denen müssen wir aber herauskommen, wenn wir unsere mühsam erworbenen zivilisatorischen Errungenschaften nicht verlieren wollen.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.