Laudate Deum: Ein Papst schreit auf – man hört jedoch nur einen Teil davon.
In Kommentaren zum neuen Dokument „Laudate Deum“ (LD) von Papst Franziskus zur Klimakatastrophe wird leider selten erwähnt, dass es hier eine klare Kritik des Papstes an der Logik und Dynamik der weltweit dominierenden ökonomischen und gesellschaftlichen Ordnung, des Kapitalismus, gibt. Diese Kritik setzt die Linie des Vorgängerdokuments „Laudato Si‘“ und anderer Erklärungen von Papst Franziskus fort, ja verschärft sie.
Zum Thema der menschlichen Ursachen der globalen Klimakrise stellt der Papst sehr direkt fest: „Bedauerlicherweise ist die Klimakrise nicht gerade eine Angelegenheit, die die großen Wirtschaftsmächte interessiert, die sich um den höchstmöglichen Profit zu den geringstmöglichen Kosten und in der kürzestmöglichen Zeit bemühen.“ (LD Nr. 13)
Franziskus bekräftigt seine Kritik am „technokratischen Paradigma“ in der Enzyklika „Laudato Si“, indem er das Dokument zitiert: Es bestehe darin „so zu denken, als gingen die Wirklichkeit, das Gute und die Wahrheit spontan aus der technologischen und wirtschaftlichen Macht selbst hervor‘ (LS Nr. 105). ‚Von da aus gelangt man‘ – als logische Konsequenz – ‚leicht zur Idee eines unendlichen und grenzenlosen Wachstums, das die Ökonomen, Finanzexperten und Technologen so sehr begeisterte‘ (LS Nr. 106).“ (LD Nr. 20)
Der Zwang zu ständigem Wachstum ist ein Kernprinzip des kapitalistischen Systems, das an die Grenzen der Belastbarkeit der natürlichen Lebensgrundlagen aber auch der sozialen Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenlebens stößt. Dass die Grenzen bereits überschritten sind, wird besonders am massiven Artensterben und am Kollaps des planetaren Klimasystems deutlich.
Die kapitalistische Ordnung ist Teil des umfassenden Paradigmas, das in Europa in den letzten Jahrhunderten entwickelt und von dort aus seinen weltweiten Siegeszug angetreten hat. Zu diesem Paradigma gehört die Reduzierung der Natur auf ein Objekt, auf eine Ressource, die nur der menschlichen Macht zu Diensten ist (vgl. LD Nr.22). „Alles, was existiert, hört auf, ein Geschenk zu sein, das man würdigt, schätzt und pflegt, und wird zum Sklaven, zum Opfer einer beliebigen Laune des menschlichen Geistes und seiner Fähigkeiten.“ (LD Nr. 22)
Papst Franziskus wendet sich gegen eine solche Haltung gegenüber der nicht-menschlichen Wirklichkeit: „Entgegen dieses technokratischen Paradigmas sagen wir, dass die Welt um uns herum kein Objekt der Ausbeutung, der ungezügelten Nutzung und unbegrenzter Ambitionen ist.“ (LD Nr. 25) Der Spaltung „Mensch“ und „Natur“ gegenüber wiederholt er die Tatsache, die sich bereits durch „Laudato Si‘“ gezogen hatte: „Alles ist miteinander verbunden.“ (LD Nr. 19)
Die französischen Historiker Christophe Bonneuil und Jean-Baptiste Fressoz („The Shock of the Anthropocene“, 2016) haben herausgearbeitet, dass diese Reduktion, die künstliche Schaffung einer externen, passiven Natur, von Vertretern des frühen Industrialismus gezielt intendiert war, als ideologische Voraussetzung für den Aufschwung der kapitalistischen Wirtschaft. Naturverständnis und Wirtschaftsform sind also eng verzahnt.
Papst Franziskus wiederholt den Befund aus „Laudato Si‘“, dass der Mensch der Macht, die mit dem Versuch der technologischen Naturbeherrschung verbunden ist, ethisch und kulturell nicht gewachsen ist. „Es ist nicht verwunderlich, dass eine so große Macht in solchen Händen in der Lage ist, Leben zu zerstören, während die Denkmatrix des technokratischen Paradigmas uns verblendet und uns nicht erlaubt, dieses äußerst ernste Problem der gegenwärtigen Menschheit wahrzunehmen.“ (LD Nr. 25)
Diese Verblendung versucht der Papst zu durchbrechen, indem er auf die Tiefendimension der ablaufenden Katastrophe hinweist, u.a. auf die Logik des Wirtschaftssystems und ihre zerstörerischen Folgen für die natürlichen Lebensgrundlagen und das soziale Zusammenleben: „Die Logik des maximalen Profits zu den niedrigsten Kosten, verschleiert als Rationalität, als Fortschritt und durch illusorische Versprechen, macht jede aufrichtige Sorge um das gemeinsame Haus und jede Sorge um die Förderung der Ausgestoßenen der Gesellschaft unmöglich.“ (LD Nr. 31)
Auf diese Betonung der tieferen, systemischen Ursachen der gegenwärtigen Katastrophen – die „Krisen“ zu nennen, also etwas Vorübergehendes, euphemistisch ist - läuft die Erklärung des Papstes hinaus. Dass genau dieser Punkt in Vorstellungen des Textes oft übergangen ist Teil des Problems: Der größte Teil der katholischen Kirche – nicht nur in Österreich – ist nach wie vor nicht bereit, hier der Dramatik unserer Lage angemessenen, prophetischen Kritik ihres Oberhaupts zu folgen, der – gezwungen durch die Klima- und Biodiversitätskatastrophe, aber auch den Ausschluss von unzähligen Menschen – die Systemfrage stellt.
Ja: „Ein Papst schreit auf“ – man hört jedoch nur einen Teil davon. Es wäre für die Kirche und die Gesellschaft aber wichtig, dass sich z.B. die Umweltbeauftragten der katholischen Kirche – als kirchliche Expertinnen und Experten für eine Nachhaltigkeitswende – nicht mit einer ökologischen Modernisierung begnügen, die innerhalb des Wachstums-Paradigmas bleibt, sondern in dieser entscheidenden Frage mit Franziskus mitgehen.
Es geht darum, allen Mut, alle Kreativität und allen Sachverstand zu mobilisieren, um seitens der Kirche zur Beantwortung der drängendsten Frage unserer Epoche beizutragen: Wie könnte eine wirklich nachhaltige, gerechte, zukunftsfähige Marktwirtschaft und Gesellschaft im Rahmen einer demokratischen Ordnung und offenen Gesellschaft aussehen - jenseits des zerstörerischen Wachstumszwangs und im Einklang mit der Natur?
Ernst Fürlinger ist katholischer Theologe und Religionswissenschaftler
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.