Wirtschaft ist Care
Da werden natürlich wieder die Frauen als ökonomische „Reservearmee“ entdeckt. Damit Mütter schneller und umfangreicher wieder in den Erwerbsarbeitsprozess einsteigen können, soll der Ausbau der Elementarpädagogik vor allem Krippen für die Allerkleinsten umfassen und die Angebote sollen um zwei Stunden verlängert werden. Ist das alles im Sinne der Frauen und der Kinder? Es ist zwar leider wirklich noch so, dass sich manche Gemeinden leisten, ihre Kindergärten nachmittags zu sperren und wenn sie sie schon offen halten, dann werden Kinder nur beaufsichtigt, weil das qualifizierte Personal fehlt. Nebenbei gesagt, das sind vorwiegend ÖVP-Gemeinden. Aber davon abgesehen, ist eine frühere und verlängerte außer Haus Betreuung von Kleinkindern wirklich der Weisheit letzter Schluss? Braucht es nicht andere, Frauen- Männer- und Kind-gerechte Arbeitszeitmodelle für Menschen mit Betreuungspflichten?
Ich muss altersbedingt nicht mehr sehr oft früh am Morgen unterwegs sein, aber mich bekümmert es immer wieder, wenn ich bei diesen Gelegenheiten erschöpfte Mütter und auch Väter mit Kleinstkindern in die Betreuungseinrichtungen hasten sehe, damit sie rechtzeitig zur Arbeit kommen. Ich stelle mir vor, wie die Kinder besonders früh und auch unausgeschlafen aus ihren Betten geholt werden, keine Zeit für morgendliches Kuscheln und Trödeln bleibt, jede kleinste Störung des Ablaufs, wie auf Kleidung verschütteter Saft, Stress verursacht, bei jedem Wetter hinaus gegangen werden muss und auf die Bedürfnisse von Kindern, Müttern, Vätern keine Rücksicht genommen werden kann. Denn mit Blick auf die künftige Pension muss das entsprechende Konto mit Arbeitszeit gefüllt werden.
Wie wäre es, wenn auch Funktionäre der Wirtschaftskammer, die Ökonomie als das verstünden, was sie ja laut Lehrbüchern zu sein hat, nämlich die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Menschen ihre Bedürfnisse befriedigen können. Da würde sich die Bewertung dessen, was ökonomisch bedeutsam ist, massiv verändern. Denn es gibt Grundbedürfnisse, deren Befriedigung die Voraussetzung dafür sind, dass Menschen miteinander gut wirtschaften können.
Erziehung, Gesundheitsversorgung, Betreuung, Pflege, Reinigung, Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern usw. sind die Grundlage allen ökonomischen Handelns. Genau betrachtet heißt Wirtschaften insgesamt nichts anderes, als für eine effektive und gerechte Form der Bedürfnisbefriedigung zu sorgen und deshalb ist genau betrachtet, die gesamte Wirtschaft Care-Ökonomie. Wirtschaft, die den Menschen dient, muss also deren Versorgung mit Gütern und Dienstleistung in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen. Das müsste allerdings unsere herrschende Sicht dessen, was systemerhaltende Arbeit ist, verändern.
Sind es die Aktienhändler, die CEOs großer Konzerne, oder eher jene, die unser alltägliches Leben am Laufen halten? Ein CEO kann wochenlang außer Gefecht gesetzt sein und sein Betrieb funktioniert dank eines gut eingespielten Systems dennoch, aber das Fehlen einer Putzfrau merkt man schon nach einem Tag.
Der Präsident der Wirtschaftskammer wird mir entgegenhalten, dass wir aber in einer Marktwirtschaft leben, wo die sogenannten Märkte für eine gute Verteilung von Gütern und Dienstleistung sorgen. Aber ist das in allen Wirtschaftsbereichen so? Ich streite ja gar nicht ab, dass Märkte, dort wo sie ihre Berechtigung haben, sehr effizient für Warenaustausch sorgen. Wie ist es aber, wenn es um die Grundversorgung mit Energie, Dienstleistung, Care-Arbeit geht? Soll das alles zur marktfähigen Ware gemacht werden? Überall dort, wo es sich um ungleichen Zugang zu Informationen, einseitige Abhängigkeiten, ungleiche Machtverhältnisse geht, kann es keinen funktionierenden Markt geben. Der Kapitalmarkt hat seine Berechtigung dort, wo es gleiches Wissen und gleiche Machtverhältnisse gibt, also im Austausch der Banken und ähnlicher Institutionen untereinander. Er ist aber kein Markt, dort, wo Menschen mit weniger Wissen, als ihre Kontrahenten Kredite brauchen, oder Geld anlegen wollen. Bankberater sind am Gewinn ihres Instituts und eventuell sogar an ihren eigenen Prämien interessiert und können deshalb keine objektiven Berater für Kundinnen und Kunden sein. Neulich sagte ein Experte im Fernsehen, dass Kunden aus Bequemlichkeit ihr Geld am Girokonto liegenlassen. Könnte es nicht auch sein, dass Menschen nach der Bankenkrise kein Vertrauen mehr in deren angepriesenen Finanzprodukte haben? Die Banken zahlen nicht mehr Zinsen für Einlagen, weil sie, wie andere Experten sagen, sowieso im Geld schwimmen. Weshalb soll also der Finanzmarkt noch weiter aufgebläht werden, durch Pensionen, die an den Börsen angespart werden sollen usw.? Wer kennt sich da noch aus? Und wem soll man da vertrauen? Also wäre es vielleicht sinnvoll, diesen sehr unübersichtlichen und für die meisten Bürgerinnen und Bürger undurchschaubaren „Markt“ doch ein wenig staatlich zu regeln? Das gleiche gilt für die Energieversorgung. Hier hat der Markt eigentlich nichts verloren, denn mit der Grundversorgung sollen keine Gewinne gemacht werden. Noch dazu stehen die meisten dieser Versorger ohnehin im Besitz der öffentlichen Hand, gehören also eigentlich uns allen. Ich will nicht mit unübersichtlichen Lockangeboten geködert werden, sondern mittels einer seriösen Preisgestaltung, bei der das Gemeinwohl im Mittelpunkt steht, meine Energiekosten bezahlen. In einer Care- und Dienstleistungsökonomie soll nicht alles, was keine Ware ist, zur Ware gemacht werden. Ich habe auch meine Zweifel, dass es einen funktionierenden Wohnungsmarkt geben kann, denn es braucht „marktverzerrende“ staatliche Eingriffe, damit die Hauptaufgabe, nämlich leistbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen, gelöst werden kann. Das gleiche gilt für den sogenannten Arbeitsmarkt. Hier geht es um mehr als dem Tausch Arbeit gegen Einkommen, denn Menschen sind keine Ware, die man von einem Ort zum anderen verschieben kann. Wenn Wirtschaftsexperten davon sprechen, dass es naiv wäre, von der Care-Ökonomie als wirtschaftlichem Zentrum zu sprechen, wie naiv ist es dann erst, zu glauben, wir lebten in einer funktionierenden Marktwirtschaft?
Glaubt irgendjemand, der Käuferwunsch nach benzinfressenden SUVs wäre deren Produktion vorausgegangen? Oder war es nicht eher so, dass die Autoindustrie durch massives Marketing und raffinierte Werbung, diese Wünsche erst geweckt hat, um neue Absatzfelder zu schaffen?
Glaubt irgendjemand der globalisierte Fetzenmarkt war das Bedürfnis der Kundinnen?
Die Richtung der Digitalisierung und die dafür benötigten Fertigkeiten interessieren sich nicht für unsere Bedürfnisse, sondern orientiert sich allein an den Gewinnchancen ihrer Konzerne.
Auch die Sehnsucht nach klimaschädlichen Traumurlauben wäre ohne Fernsehserien wie „das Traumschiff“ nicht so schnell zu entfachen gewesen.
Ganz abgesehen davon, dass es sich der ORF leistet, in Zeiten wie diesen uns mit einer Serie „Autoland Österreich“ zu beglücken.
Wozu braucht es das Universitätsfach Marketing, wenn der Markt sich ohne Werbung und Gehirnwäsche der Betroffenen durchsetzen könnte?
Mir ist schon klar, dass sich die Fehlsteuerung unseres Wirtschaftssystems nicht abrupt beheben lässt, denn es ist hochkomplex. Aber es gibt Rädchen, an denen wir drehen könnten, um die Richtung langfristig zu verändern. Und manchmal ist es auch sinnvoll Sand ins Getriebe zu streuen.
Da die naheliegende Möglichkeit einer generellen massiven Arbeitszeitverkürzung sichtlich ein weit in die Zukunft verschobenes Projekt ist, wäre es doch sinnvoll, bedarfsorientierte variable Möglichkeiten anzudenken. Es gibt Zeiten, wo ein heutiger Fulltime Job zu Lasten des guten Lebens aller Beteiligten geht. Es wäre doch wünschenswert, für Zeiten vermehrter Sorgepflichten die Vollzeit-Arbeit für Frauen und Männer bei vollem Lohnausgleich ganz einfach zu reduzieren. Natürlich müssten die Arbeitgebenden dabei unterstützt werden, wenn sie Menschen mit Betreuungspflichten anstellen. Aber wie die Altersteilzeit, müsste es auch eine Betreuungsteilzeit geben. Wenn es schon so schwierig scheint, eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung auf 32 Stunden einzuführen, könnte man doch bei all jenen beginnen, die vermehrt unbezahlte Care-Arbeit leisten und auch jenen zu gute kommen lassen, die diese Arbeit als Erwerbsarbeit ausführen. Denn diese fordernde Tätigkeit kann man nicht gut 40 Stunden lang tun, ohne dass man selber und die zu betreuenden Personen unter der Überbelastung leiden.
Mehr Care-Ökonomie statt Warenökonomie in den reichen Ländern dieser Erde, würde ganz automatisch auch die Klimakrise entschärfen, ist also ein durch und durch vernünftiges und zukunftsweisendes Denkmodell. Gehen wir also die ersten Schritte, mit dem Wissen, dass weltweit noch viele folgen müssen, bis sich der Bewusstseinswandel in einem handfesten Systemwandel zeigt. Voraussetzung dafür ist allerdings die Abkehr der an den Universitäten gelehrten Wirtschaftswissenschaften von dem enggeführten neoliberalen Denkmuster, damit Ökonominnen und Ökonomen zukünftig mit einem weiteren Horizont ins Arbeitsleben treten.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.
