Für mich müssten Kirchen Orte des Widerstands und nicht Orte der Beruhigung sein. „Hört, was ich zu sagen habe, tauscht euch darüber aus, esst und trinkt miteinander und dann handelt zu meinem Gedächtnis.“ Das ist jesuanische Eucharistie. Dazu passt kein oberflächlicher individualistischer Schöngesang und keine Überhöhung des konkreten Auftrags „gebt ihr ihnen zu essen“ ins spirituell magisch Unerreichbare.
Viele Jahre war es mir nicht möglich an der Sommerstudientagung der Katholischen Frauenbewegung teilzunehmen, da die Krankheit meines Mannes eine längere Abwesenheit nicht zuließ. Nun hat er mich verlassen und ich versuche, ein wenig an alte Routinen anzuknüpfen, um mit dem Verlust leben zu lernen.
Also war ich heuer wieder einmal in Seggau, das ich so liebe, um mir einige Tage Bildung, Gemeinschaft, spirituelle Vertiefung und ganz einfach Veränderung zu gönnen. Seggau, das war der Ort einer der ersten Sommerstudientagungen an der ich teilgenommen habe. Es war das Jahr 1991 und das Schloss war noch in einem etwas ursprünglichen Zustand, ohne Komfort. Es war aber auch damals, als - ganz nahe an der Grenze - der erste Teil des Jugoslawien-Krieges tobte. Slowenien hatte sich vom Staatenbund losgesagt und die Zentralregierung in Belgrad schickte die Armee um das kriegerisch zu verhindern. Wir hörten die Kampfflugzeuge und für mich zerbrach damals der Glaube an ein ehernes Gesetz unserer Zeit nach dem 2. Weltkrieg: „Nie wieder Krieg in Europa!“
Ich erinnere mich noch an unsere zahlreichen Diskussionen damals und auch daran, dass für mich feststand, dass die Loslösung Sloweniens, so unblutig sie auch möglich war, dennoch der Beginn eines furchtbaren Kriegs sein würde.
Denn die jugoslawischen Teilrepubliken waren zu sehr verwoben und durchmischt, als dass sich da nationale Grenzen hätten ziehen lassen. Von der Brutalität des Krieges war ich allerdings auch überrascht und ich beweine das Schicksal all der Vertriebenen und Geflüchteten, ich trauere um die multikulturelle Stadt Sarajewo und bin mir leider auch sicher, dass der nationalistische Ungeist diese Region noch lange im Griff haben wird.
Nun also wieder Schloß Seggau, eingebettet in der südsteirischen Landschaft, weitläufig und ein spürbarer Kraftort. Ich habe die wunderbare Gastfreundschaft der steirischen kfb-Frauen genossen. Im wahrsten Sinn des Wortes, es war sehr viel leiblicher und kultureller Genuss, den uns die Gastgeberinnen der Diözese mit sehr viel liebevollem Einsatz ermöglicht haben. Diese heurige Sommerstudientagung war kürzer als in der Vor-Corona-Zeit und es waren auch weniger Frauen versammelt, als ich es von früher kenne. Das Thema war „Gemeinsam. Gerechtigkeit.Gestalten. Es ging um Klimagerechtigkeit, Care-Gerechtigkeit und um Gerechtigkeit in unserer Kirche. Die Keynote-Speakerin war Anja Appel, Direktorin der Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz für Mission und Entwicklung.
Ihr Thema war die Klimakrise und die ungerechte Verteilung von deren Folgen. Es war ein bedrückendes Bild, das sie uns da gezeigt hat – die Chancen, die Klimakrise in erträglichem Rahmen zu halten, ist ziemlich klein, aber Anja Appel appellierte inständig, alle persönlichen, gesellschaftlichen und politischen Möglichkeiten wahrzunehmen, um mit vereinten Kräften die Wende zu schaffen. Sie ließ uns ziemlich betroffen zurück und es irritierte mich ein wenig, dass danach die stellvertretende Vorsitzende der kfbö die Situation zu entdramatisieren versuchte.
Wir tragen politische Verantwortung, auch als kleines Land, schon allein deshalb, weil wir Bewohnerinnen und Bewohner der Industriestaaten ja das ganze Schlamassel erst verursacht haben und wir nur durch Vorbildfunktion die Schwellenländer, auf die es natürlich vor allem ankommt, dazu bringen werden, ebenfalls umzusteuern.
Nachdem wir uns in Workshops mit der Care-Wirtschaft und mit dem synodalen Prozess in der Kirche beschäftigt haben, hätte ich mir erwartet, dass so wie früher, die Zusammenkunft der Leitungsfrauen aus ganz Österreich dazu genutzt werden würde, Handlungsanleitungen für die konkrete strategische Weiterarbeit auf Bundesebene und in den Diözesen zu entwickeln. Aber weit gefehlt. Damit hatte es sich auch schon wieder.
Der Rest der Tagung war nur mehr der persönlichen Rekreation gewidmet: Yoga, Schreibwerkstatt, Selbstermächtigung. Alles ganz wichtige Elemente zur individuellen Stärkung, aber Themaverfehlung, wenn es darum geht, die Stärke einer großen Frauenorganisation zur Gestaltung von Welt zu nutzen.
Auf meine Kritik, wurde mir von einer Verantwortlichen beschieden: „Die Frauen wären so erschöpft und bedürftig und brauchten dies“. Nein, so war es nicht. Das waren alles Frauen, die durch die langjährige Arbeit in der Katholischen Frauenbewegung gelernt haben, auf sich zu schauen, denen hätte man schon einiges zumuten können. Bedürftig sind jene Frauen, die bei uns und vor allem in den Ländern des globalen Südens am meisten unter der Klimakrise leiden, bedürftig sind jene Frauen, die unbezahlte und schlecht bezahlte Care-Arbeit leisten und auch jene, die sich noch immer von kirchlichen „Würdenträgern“ bevormunden lassen. Mit ihnen und für sie sollten wir für das Gute Leben, oder wie es biblisch heißt „ein Leben in Fülle“ kämpfen und wie man das macht, dazu wäre die Sommerstudientagung da gewesen. Vertane Chance.
Dennoch, ich habe die Tage genossen, viel gelacht und viele gute Gespräche geführt. Spannend war dann noch der Ausflug nach Bad Radkersburg. Ich kannte diese Stadt an der Grenze bisher nicht und fand sie wunderschön. Ein völlig unzerstörtes Stadtzentrum. Mein Kärntner Schwiegersohn klärte mich dann auf, dass Bad Radkersburg, wegen seiner Lage an der Grenze und der Teilung seit dem Krieg eine arme Stadt war und deshalb kein Geld für Bausünden vorhanden war. Dennoch, diese alten Häuser zu erhalten, dahinter steckt auch kulturelles Bewusstsein.
Wir wurden aber auch unmittelbar mit den Auswirkungen der Klimakapriolen der Tage davor konfrontiert – überschwemmte Wiesen und Felder, umgeknickte Bäume, abgedeckte Kirchtürme. Da wussten wir nicht, welche dramatischen Ereignisse dieser Region noch bevorstanden. Überschwemmungen, Murenabgänge, Hangrutschungen. Die Menschen in dieser Gegend sind mit der Vernichtung ihrer Lebensgrundlagen konfrontiert, wie wir sie sonst nur aus den Ländern des globalen Südens kennen.
Beim Abschlussgottesdienst auf dem geschichtsträchtigen Frauenberg fehlte mir der Frauenbezug, es war mir alles zu wenig geerdet. Ich stehe in der Tradition der feministischen Theologinnen und vor allem in der von Dorothee Sölle. Für die hatte Glaube immer mit politischem Handeln zu tun, ansonsten war es für sie Magie. Die individualisierte Religiosität, die gute Gefühle vermittelt und uns einlullt, ist nicht meins. Ich denke, die Dramatik der Ereignisse verlangt nach einer anderen Religiosität.
Für mich müssten Kirchen Orte des Widerstands und nicht Orte der Beruhigung sein. „Hört, was ich zu sagen habe, tauscht euch darüber aus, esst und trinkt miteinander und dann handelt zu meinem Gedächtnis.“ Das ist jesuanische Eucharistie. Dazu passt kein oberflächlicher individualistischer Schöngesang und keine Überhöhung des konkreten Auftrags „gebt ihr ihnen zu essen“ ins spirituell magisch Unerreichbare.
Von Seggau bin ich dann ins Salzkammergut gefahren. Viele Sommer habe ich dort die Sonne wenig gesehen, weil es immerzu geregnet hat. Jetzt allerdings hat der Wolfgangsee einen ganz niedrigen Wasserstand und im sonst sonnigen Kärnten gibt es die ärgsten Unwetter. Früher hießen unsere Klimazonen die „gemäßigten Zonen“, davon können wir jetzt auch nicht mehr reden.
Gemäßigt ist derzeit gar nichts und an die täglichen Meldungen über Drohnenangriffe in der Ukraine gewöhnen wir uns, als gehörte der Krieg schon zum Alltagsgeschehen. Was sind in so einer Zeit normal denkende Menschen, die die NÖ Landeshauptfrau vertreten möchte? Jene, die keine anderen Sorgen haben, als dass man ihnen ihr Auto und Schnitzel nicht madig macht und die im Gender-Sternchen den drohenden moralischen Verfall sehen? Und welcher Mensch kann überhaupt normal denken? Wer gibt diese Norm vor? Das gesunde Volksempfinden der Nazis etwa?
Vizekanzler Kogler hat schon recht, es ist brandgefährlich wenn Klimaaktivistinnen und –aktivisten mit den Identitären gleichgesetzt werden, die die Menschenrechte leugnen. Irgendwann, wenn wir hoffentlich nicht erst durch Katastrophen klüger geworden sind, wird man die jungen Kämpfenden für Tempo 100 auf den Autobahnen als prophetisch preisen.
Wir hingegen, die uns auf der Sommerstudientagung das wissenschaftlich fundierte Szenario vor Augen führen ließen, dass wir für einschneidende Maßnahmen nur mehr sehr wenig Zeit haben, sind zwar nicht aufgerufen, uns auf den Straßen festzukleben, aber wenn uns spätere Generationen fragen, was habt ihr getan, um die Klimakrise einzudämmen, sollten wir doch eine Antwort haben.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.