In der Mitte der Nacht
Okay „Genderstern“ und „Genderdoppelpunkt“ sind konservativen niederösterreichischen Landesbeamten vielleicht nicht zuzumuten, aber „Gender-Gap“, also die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern, in NÖ abgeschafft? Ich kann es nicht glauben. Dass allerdings ihr eigener Landeshauptfrau-Stellvertreter sie ins genderfluide Eck drängt, indem er sie zum Landeshauptmann macht, nur weil er nicht „Landeshauptfraustellvertreter“ sein möchte, zeigt die ganze Absurdität dieser Debatte.
Ja, die Identitätsdebatte ist ein sensibles Feld und ich fürchte, dass manche Vertreterinnen und Vertreter der LGBTQIA+ community nicht verstehen, dass dieses Kürzel für einen Großteil der Bevölkerung, deren Sensibilisierung sie ja anstreben, völlig unverständlich ist und deshalb von dem nicht zu unterschätzenden reaktionären Teil von Mitbürgerinnen und Mitbürgern dazu benutzt wird, sie noch mehr zu diskriminieren. Ausgeschrieben heißt LGBTQIA+ Lesbisch, Gay, Bisexuell, Transgender, Queer, Intersexuell, Asexuell und das Plus steht für alle nicht erfassten Varianten.
Ich bin der Meinung, dass diese Abkürzung im Fachbereich und in der Wissenschaft sehr wohl ihren Platz hat, aber nicht in der Alltagssprache. Da muss es andere Kommunikationsmöglichkeiten geben, um bewusst zu machen, dass es eben nicht nur Mann und Frau, sondern viele Varianten der geschlechtlichen Identität gibt und wie es einmal ein Berliner Bürgermeister sagte: „und das ist gut so“. Die geschlechtliche Identität ist etwas sehr privates, aber natürlich ist alles Private auch politisch. Deshalb ist es wichtig, für alle Menschen gleiche Lebensmöglichkeiten zu schaffen, unabhängig von ihrer geschlechtlichen Orientierung, ihrer sozialen und geografischen Herkunft und ihrer Hautfarbe.
In diesem Zusammenhang stört mich auch der Begriff „rassistisch“. Bedeutet es doch, dass wir die Bezeichnung jener übernehmen, die die Menschen in Rassen einteilen. Nein, Menschen werden nicht wegen ihrer anderen Rasse diskriminiert, sondern weil sie eine andere Haar, Haut- und Augenfarbe haben, als jene, die schon sehr lange hier leben und weil viele ihnen unterstellen, dass sie deshalb weniger wert sind. Denn statt dass wir uns schämen, dass jahrhundertelang die Unterdrücker anderer Völker Weiße waren, wehren viele diese Tatsache noch immer ab, indem sie die anderen diskriminieren.
Aber zurück zu Landeshauptfrau Mikl-Leitner. Sie hat jetzt den Ort entdeckt, der der ÖVP doch noch den Verbleib in der Regierung ermöglichen könnte. Es ist die „breite Mitte“ und die dort beheimateten „normal denkenden Menschen“. Dieses Framing wiederholt sie bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit, bis es, wie bei Framings üblich, „sitzt“. Dafür ist ihr nichts zu dumm und nichts zu unanständig. Da rückt sie Andreas Babler in die Nähe der Verbrechen von Stalin und Kim il Sung um links eine deutliche Mauer aufzuziehen. Nach rechts allerdings sind alle Türen und Tore weit offen und sogar haarsträubende Beleidigungen ihrer eigenen Person steckt sie da achselzuckend weg, denn die breite Mitte steht ihrer Meinung nach rechts. Sie ist kleinbürgerlich veränderungsunwillig, fremdenfeindlich, antifeministisch und eigentumsfetischistisch. Ich fürchte, dass sie damit sogar nicht ganz unrecht hat, denn in den letzten Jahrzehnten ist es der ÖVP gelungen, ihr Meinungsspektrum weit nach rechts zu verlagern und das bürgerliche Lager, zu dem sie seltsamerweise auch die FPÖ zählt, gegen jeden Einfluss gesellschaftsverändernder Ideen abzuschotten.
Die Mitte ist kein statischer Ort. Erhard Busek, Heinrich Neisser, Josef Riegler waren Vertreter einer noch wesentlich breiteren Mitte, mit ziemlich deutlicher Abgrenzung nach Rechtsaußen. Die Mitte, die Mikl-Leitner und die ÖVP insgesamt derzeit vertritt, wäre damals ein Un-Ort für die ÖVP gewesen. Aber heimlich, still und leise ist das Lager-Denken dort wieder eingekehrt, der „Rote Gfrieser“-Sager des Andreas Khol waren ein Beginn. Das ist gefährlich. Denn wenn Kickl und Konsorten in die Regierung kommen sollten, dann Dank einer ÖVP, die ihnen das ermöglicht. Die FPÖ ist, wie sie ist, aber die ÖVP hätte es in der Hand, anders zu sein, als uns mit ihrer Politik in die Mitte der Nacht zu führen.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.