Der lange Arm der Geschichte
Das neoliberale Wirtschaftssystem mit seinen globalen Wertschöpfungsketten, der übermächtigen Bedeutung des Finanzkapitals und dem Auseinanderklaffen der Schere zwischen Armen und Reichen weltweit, aber auch die fast alle überfordernde Veränderung der Kommunikation durch die Digitalisierung, hat den Boden dafür bereitet, dass der zumindest in der nördlichen Hemisphäre verbreitete demokratische Grundkonsens zerbröselte. Die Reichen haben sich aus der Gesellschaft verabschiedet und gestalten ihre eigene Welt und die Armen finden keinen Ort der Beteiligung. Dazu kommt eine weltweite Diskreditierung der Parteiendemokratie. Immer schon hat mich die Phrase irritiert: „sich politisch engagieren, aber ja keine Parteienpolitik!“ Das habe ich besonders im katholischen Milieu oft gehört. Aber wie soll man sich in einer repräsentativen Demokratie politisch engagieren, wenn man Parteien ablehnt? Und welche Bedeutung haben dann Wahlen? Das Ergebnis der Niederösterreich-Regierungsbildung scheint mir ein Produkt dieser Haltung zu sein. Da geschieht viel Gutes in den ÖVP dominierten Gemeinden und Dörfern, was die meisten gar nicht in Verbindung bringen mit ihrer Landespartei. Sie tun, als wären sie davon unabhängig. Sie tragen aber mit ihrer Selbstgenügsamkeit dazu bei, dass diese sich ohne Widerstand der Basis einer hasserfüllten FPÖ mit all ihren abstrusen Vorstellungen von Politik an den Hals wirft und dieser Partei den Weg in die Bundesregierung ebnet.
Die Aussage der Landeshauptfrau die Roten sind und bleiben Gsindel und der Satz von Andreas Khol von den „roten Gfriesern“ zeigt, wie tief verwurzelt die Ablehnung der Sozialdemokratie durch die ÖVP-Leitung ist. Da kocht der Hass der Zwischenkriegszeit wieder hoch. Dass die Sozialdemokratie Kurz und die Leute um ihn als Schnöseltruppe bezeichnete, ist zwar auch abwertend, hat sich aber leider bewahrheitet.
Es ist also kein Wunder, wenn sich die Menschen von den Parteien abwenden, aber dennoch, Politik kann man nur machen, wenn man sich in Parteien engagiert, oder eine neue Partei gründet. Viele haben oft auch eine falsche Vorstellung davon, was deren Rolle und Aufgabe ist. Parteien bündeln Interessen, stellen sich den Bürgerinnen und Bürgern zur Wahl und je nach ihrer Stärke bilden sie dann die Volksvertretung und daraus die Regierung. Im Idealfall verwalten sie dann das Gemeinwesen mit einem Interessensausgleich, denn eine Regierung hat dann nicht mehr die Aufgabe, die Interessen ihrer Wählerinnen und Wähler durchzusetzen, sondern das Gemeinwohl der gesamten Bevölkerung im Auge zu haben.
Wichtig wäre nur, dass die Parteien, wenn sie sich zur Wahl stellen, die Interessen der Menschen, die sie vertreten, nicht verschleiern. Ein kleiner Versuch, das mal aus meiner Sicht offen zu legen.
Die ÖVP baut auf Eigenverantwortung und individuelle Leistungsbereitschaft so nach dem Motto „Jeder ist seines Glückes Schmied“. Sie vertritt die Interessen der Wohlhabenden und Besitzenden. Eigentum wird in eine fast religiös überhöhte Sphäre gehoben. Gemildert, aber leider oft auch verschärft wird diese individualistische Sicht auf Gesellschaft, durch die christlichen Wurzeln dieser Partei. Der freiheitstheologisch inspirierte Teil sorgt dafür, dass Armut bekämpft wird, der rechtskonservative Teil, exemplarisch dafür steht das Opus Dei, verschärft die Ungleichheit.
Die SPÖ wiederum vertritt traditionell den Teil der Gesellschaft, der für sein Wohlergehen einen Zusammenschluss braucht. Der individualistische Wind des Neoliberalismus mit all seinen nicht zu leugnenden Erfolgen, hat dieses Milieu, das sich einst der „internationalen Solidarität“ verschrieben hatte, aber ziemlich zerzaust. Aus den Nutznießern des Gemeinschaftsdenkens, mit all den Möglichkeiten des Aufstiegs, sind oft nicht solidarische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger geworden, sondern oft ziemlich ansprüchlerische Klein- und oft auch Großbürger. Der SPÖ ist es nicht gelungen, partizipative von Verantwortung getragene Strukturen zu erhalten, sondern sie haben ein paternalistisches System geformt, so nach dem Motto, wenn ihr brav seid, werden wir es schon für euch richten. Sie gestalten nicht mehr mit den Menschen, sondern glauben zu wissen, was für die Menschen gut ist – das kann nur schief gehen.
Und in all den Unsicherheiten erntet die FPÖ leider das, was andere gesät haben. Die FPÖ ist ursprünglich eine antiklerikale Honoratiorenpartei, die ihre Wurzeln im Nationalsozialismus hat, uns aber gerne glauben machen will, dass sie an die bürgerliche Revolution von 1848 anknüpft. Das Rückgrat dieser Partei bilden noch immer freiberufliche Burschenschafter, von Rechtsanwälten bis Tierärzten, aber ihre Wähler rekrutieren sie aus den unzufriedenen Teilen der ursprünglichen Großparteien ÖVP und SPÖ. Der unverantwortliche Freiheitsbegriff, die Staatsfeindlichkeit, der fälschlicherweise beanspruchte Gestus der Desperados, die gegen die Mächtigen kämpfen, haben in den multiplen Krisen all jene versammelt, die selbstsüchtig und beharrend keinerlei Änderung ihrer Lebensweise zulassen wollen. Die vereinfachte Darstellung komplizierter Zusammenhänge spricht aber auch viele an, die an den Rand gedrängt, mit den Anforderungen der Gegenwart nicht zurecht kommen. Die FPÖ lebt von dem Wirrwarr der digitalen Medien und der Sensationsgier und unreflektierten Wadlbeißerei bis hin zu den sogenannten „Qualitätsmedien“.
Die Grünen wiederum sind eine individualistische Truppe mit solidarischem Gesellschaftsanspruch. Großteils gebildet und aus bürgerlichem Milieu vertreten sie in ihrem politischen Anspruch die zu kurz gekommenen Menschen und die vernachlässigte Umwelt. Sie arbeiten für die Menschen, aber selten mit ihnen. Außerdem sind manche der ihnen nahestehenden Bürgerinitiativen nichts anderes als gebündelte Individualegoismen. So nach dem Motto „Heiliger St. Florian, behüt unser Haus, zünd ein anderes an“. Dennoch, sind sie in meinen Augen die einzige Partei, mit einer geerdeten Zukunftsvision. Es sollte ihren Vertreterinnen und Vertretern nur gelingen, sie vom Kopf auf die Beine zu stellen und vor allem, ihre individuell verstreuten Partnerinnen für gleiche Interessen zu bündeln.
Die NEOS wiederum sehe ich als den Versuch einer Quadratur des Kreises. Ein kultureller und sozialer Anspruch auf eine emanzipierte Gesellschaft geht bei ihnen einher mit einem Wirtschaftsliberalismus, der all dem diametral entgegen steht. Mehr privat, weniger Staat ist gerade das Motto, das verhindert, dass wir ein Gemeinwesen emanzipierter gleichberechtigter Bürgerinnen und Bürger werden können. Denn ohne die ausgleichende Hand des Staates landen wir über kurz oder lang in einem Feudalismus – heute Oligarchie genannt -, wo mächtige Wirtschaftstreibende das Sagen haben.
Das ist so das Bild, das ich mir von unserer Parteienlandschaft mache, andere mögen ein anderes haben. Aber es wird uns allen nicht erspart bleiben, dem altehrwürdigen Ratschlag des Bischofs der Arbeiterbewegung Joseph Cardijn zu folgen und genau hinzusehen, zu beurteilen was wir wollen und danach an der Wahlurne zu handeln. Oder noch besser, sich in einer Partei zu engagieren, von der wir meinen, dass sie uns am ehesten entspricht, denn das Zitat „wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf“ hat noch immer Gültigkeit.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.
