Visionen für eine lebenswerte Zukunft sind „unräumbar“
Umweltaktivist:innen hatten davor seit September die als Wüste benannte Baustelle bei der Hausfeldstraße im 22. Bezirk besetzt. Ihre Intention war es, ein weiteres fossiles Großprojekt zu verhindern. Stattdessen wollten sie die Entscheidungsträger dazu bewegen, eine zukunftsfähige Verkehrswende einzuleiten.
Die Geschehnisse am Tag der Räumung sind z.B. hier im Standard nachzulesen.
Zum Jahrestag der Baustellenräumung fand am 1. Februar 2023 eine interreligiöse Gedenkfeier statt, an der unter anderem Vertreterinnen und Vertreter der Katholischen Aktion teilnahmen, die auf verschiedenen Ebenen die Klimagerechtigkeitsbewegung unterstützen. Die von der damaligen Räumung der Besetzung betroffenen Menschen konnten sich während der Feier darüber austauschen, welche Gefühle sie zu dem damals traumatischen Ereignis noch in sich tragen. Und es wurde damit ein Zeichen der Verbundenheit gesetzt. Texte, Lieder und ein Gebet bildeten den Rahmen der Feier. Reinhard Bödenauer wiederholte sein Angebot, kirchliche Räume für den dringend notwendigen Dialog zwischen Aktivist:innen und den politisch Verantwortlichen zu nutzen.
Interreligiöse Gedenkfeier bei der Stadtstraßenbaustelle, mit Aktivist:innen, Anrainer:innen und Unterstützer:innen, darunter auch Reinhard Bödenauer und Christoph Watz (beide KA), Ernie Novosel (KFB), Rafael Haigermoser und Monika Spiekermann (KJÖ).
Erzählungen von Erschöpfungszuständen und Dankbarkeit
Im Beisammenstehen an diesem kalten, stürmischen Februarmorgen, und im Nachsinnen über die Ereignisse vor einem Jahr, war viel Berührendes hörbar und spürbar. Die Dankbarkeit für diese Gemeinschaft im Ringen um den notwendigen gesellschaftlichen Wandel, damals und jetzt, Enttäuschung über mangelnde Dialogbereitschaft seitens der Politik und deren Weigerung die notwendigen Schritte in der mittlerweile prekären klimatischen Situation zu tun. Es gab Erzählungen von Erschöpfungszuständen und drohendem Burnout, da viele neben Beruf und Studium Teil der Besetzung waren, und immer wieder auch die Erinnerung an die Räumung und die Angst in den Tagen davor. Aber hörbar und spürbar war auch, dass durch all das Geschehene und durch das Wissen um die Dringlichkeit, endlich zu handeln, etwas Starkes und Unbeugsames entstanden ist … verbindend - und wurzelnd in Verbundenheit, miteinander, mit all den anderen Lebewesen, mit der Erde.
Gesang statt Autolärm am Siegesplatz
Im Anschluss an die Gedenkfeier gab es am Siegesplatz in Aspern eine angemeldete, zehnminutige Straßensperre für den Individualverkehr, mit Plakaten, die auf eine alternative Verkehrspolitik aufmerksam machen sollten, begleitet von Liedern der Waldfee.
„Raus aus den Autos“ kann hier nachgehört werden, und „We are standing here“ von Extinction Rebellion hier.
10 Minuten lang: Gesang statt Autolärm am Siegesplatz
Während der Verkehrsberuhigung an dieser vierspurigen Y-Kreuzung konnte einige Momente lang erahnt werden, wie sehr das Lebens- und Wohngefühl sich verändern würde, gäbe es hier nur mehr Busse und nicht weiterhin 35.000 Pkw, die täglich diesen Platz queren. Anstatt des Autolärms war dieser Ort für kurze Zeit von Gesang erfüllt. Und er konnte für Fußgänger genutzt werden. Es war die zehnminutige Vision, zurückzufinden zur Normalität einer klimafreundlichen, schadstoffarmen Fortbewegung, die unsere gemeinsame und einzigartige Biosphäre bewahrt.
Interreligiöse Feiern hatte es mehrmals während der Besetzung der Stadtstraßenbaustelle gegeben, …
… an Sonntagnachmittagen oder auch frühmorgens unter der Woche. Sie waren immer ein Impuls, der das Gemeinschaftsgefühl und die Verbundenheit genährt und all jene emotional unterstützt hat, die wochen- und monatelang bei Wind, Regen, Kälte und Schnee auf der Baustelle ausgeharrt hatten. Wenn etwa Franz Helm von den Steyler Missionaren mit seiner Präsenz und seinem Wohlwollen unter den Feiernden war, dann wurden Worte aus der Enzyklika Laudato si von Papst Franziskus fassbar und spürbar.
„Die Menschheit besitzt noch die Fähigkeit zusammenzuarbeiten und unser gemeinsames Haus aufzubauen. Ich möchte allen, die in den verschiedensten Bereichen menschlichen Handelns daran arbeiten, den Schutz des Hauses, das wir miteinander teilen, zu gewährleisten, meine Anerkennung, meine Ermutigung und meinen Dank aussprechen.“ (Laudato si, 13)
Die Absicht dieser aus allen gesellschaftlichen Schichten kommenden Menschen war es, der Vision einer Politik zum Leben zu verhelfen, die sich für eine zukunftsfähige Verkehrspolitik und den Erhalt fruchtbarer Böden einsetzt.
Und beides, die Verkehrswende und die Bewahrung humusreicher Böden, sind zentrale Anliegen, wenn es darum geht, die Klimakrise einzudämmen.
Zu einer ökologischen Umkehr ermutigen
Die Wiener Stadtregierung hat sich jedoch dafür entschieden, sich nicht auf zukunftsfähige Alternativen einzulassen und stattdessen auf Pläne zu setzen, die aus einer Zeit stammen, in der die drohende Klimakrise zwar bekannt, aber noch nicht in diesem mittlerweile unübersehbaren Ausmaß spürbar war.
Die besetzte Baustelle wurde mit großem Polizeiaufgebot gewaltsam geräumt.
Die Vision für eine lebenswerte Zukunft aber ist unräumbar und so verklingen die Worte dieses Liedes nicht, das auch während der Feier gesungen wurde:
“Never doubt, that a small group of people can change the world, indeed, it is the only way, it ever has.”
Diese Worte verklingen nicht, sie werden immer lauter. Sie verklingen nicht, und es werden immer mehr, die sie singen, im Stillen, gemeinsam, alleine, leise und laut.
Und ich wünsche mir, dass Kirche zunehmend auch eine impulsgebende und bewegende Kraft entfaltet, die zu einer ökologischen Umkehr ermutigt und diese auch ganz konkret erlebbar und erfahrbar werden lässt.
Renate Delpin, Pfarre Aspern
Leiterin des Ausschusses für Schöpfungsverantwortung
