Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt in Österreich.
Laut einer umfassenden Studie der Europäischen Agentur für Grundrechte (FRA) aus dem Jahr 2014[1] wird jede fünfte Frau in Österreich bzw. in Europa mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von körperlicher und/oder sexueller Gewalt. Die Zahl der betreuten Frauen und Kinder in den österreichischen Frauenhäusern steigt jedes Jahr an: Im Jahr 2021 wurden in 26 Frauenhäusern 1.498 Frauen und 1.520 Kinder – insgesamt 3.018 Personen – betreut[2]. Monatlich werden in Österreichs Familien mindestens zwei Morde an Frauen verübt. Im Jahr 2022 zählen wir bereits 28 Frauen, die in den meisten Fällen durch ihre eigenen (Ex-)Partner oder durch Familienmitglieder ermordet wurden.
Oft ist ein Mord der schreckliche Höhepunkt einer langen Gewaltgeschichte. Tötungsdelikte und schwere Körperverletzungen durch eigenen Partner passieren nicht aus heiterem Himmel, meistens gibt es zahlreiche Warnzeichen. Diese müssen von Polizei und Justiz erkannt und ernst genommen werden. Das geschieht jedoch viel zu selten. Vor allem gefährliche und polizeibekannte Gewalttäter werden von der Justiz, anstatt in U-Haft genommen zu werden, oft auf freiem Fuß angezeigt oder freigesprochen. Immer mehr Frauen bringen zwar den Mut auf, Anzeige gegen ihre Misshandler zu erstatten, für die Gewaltausübenden bleibt das aber leider oft ohne Konsequenzen.
Der Staat ist daher aufgefordert, Gewalt an Frauen ernst zu nehmen, mehr in die Sicherheit von Frauen und Kindern zu investieren und verstärkt Täter zur Verantwortung zu ziehen. Es muss sichergestellt werden, dass Täter bei geschlechtsspezifischen Gewalttaten strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Die dringende Empfehlung lautet, verpflichtende Schulungen zum Thema Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt in die Ausbildungen der angehenden Richter*innen und Staatsanwält*innen zu integrieren.
Gewalt innerhalb der Familie ist weder eine „Familientragödie“, noch handelt es sich dabei um „Einzelfälle“ oder gar „Beziehungsdramen“, wie oft suggeriert. Sie ist Teil eines gesamtgesellschaftlichen Phänomens, denn Gewalt ist die extremste Ausdrucksform der ungleichen Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen.
Lücken und Defizite im Gewaltschutz in Österreich
Lange Jahre hatte Österreich innerhalb Europas eine Vorreiterrolle im Gewalt- und Opferschutz – u.a. durch das Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes 1997 und darauffolgende Novellen – jedoch gibt es nach wie vor viele Lücken und Defizite.
Daher gibt noch viel zu tun, um die Empfehlungen der Istanbul-Konvention[3] umzusetzen, die Österreich 2014 ratifiziert hat und sich somit verpflichtet hat, alles zu tun, um Gewalt an Frauen zu verhindern und gewaltbetroffene Frauen zu schützen und umfassend zu unterstützen. Österreich hat durch die Ratifizierung der Istanbul-Konvention einen Handlungsauftrag im Bereich Gewaltschutz. Um dies zu ermöglichen, muss das zuständige Frauenministerium mit ausreichenden personellen und finanziellen Ressourcen ausgestattet werden – das aktuelle Budget für Gleichstellung und Gewaltprävention reicht jedoch bei weitem nicht aus.
Gewalt innerhalb der Familie verursacht in Österreich jährlich Kosten von 3,7 Milliarden Euro – Geld, das durch Investitionen in Präventionsarbeit langfristig eingespart werden könnte.
Der Verein AÖF - Autonome Österreichische Frauenhäuser und die Allianz GewaltFREI leben, ein Zusammenschluss österreichischer Opferschutzeinrichtungen und Zivilgesellschaftsorganisationen, fordern daher eine Aufstockung des Budgets auf 228 Millionen Euro für Gleichstellungs- und Gewaltpräventionsarbeit. Denn solange es keine echte Gleichstellung gibt, wird auch das enorme Ausmaß der Gewalt an Frauen nicht reduziert und die Gewalt nicht beendet werden können. Präventionsarbeit macht nicht nur menschenrechtlich und frauenrechtlich, sondern auch einfach ökonomisch Sinn.
Gewalt und gesellschaftliche Machtstrukturen
Gewalt ist ein geschlechtsspezifisches Phänomen und kann nicht losgelöst von gesellschaftlichen Machtstrukturen betrachtet werden. Auch die Istanbul-Konvention hält fest: „Gewalt gegen Frauen ist der Ausdruck historisch gewachsener ungleicher Machtverhältnisse zwischen Frauen und Männern, die zur Beherrschung und Diskriminierung der Frau durch den Mann und zur Verhinderung der vollständigen Gleichstellung der Frau geführt haben“. Wer Gewalt verhindern will, muss aktiv in Maßnahmen zur Herstellung einer tatsächlichen Geschlechtergerechtigkeit investieren!
Oft wird im Zuge dessen eine Verschärfung der Strafen für Sexualstraftäter gefordert bzw. als Mittel der Wahl gesehen. Frauen- und Opferschutzorganisationen sowie viele JuristInnen erachten jedoch eine Verschärfung des Strafrahmens nicht für notwendig, da bereits 2016 eine umfassende Reformierung des Strafrechts in Kraft getreten ist. Wichtig wäre vielmehr, dass die Justiz diese Strafrahmen auch wirklich anwenden würde. Denn wir stellen immer wieder fest, dass Fälle von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt von der Strafjustiz nicht ernst genommen werden. Es bedarf einerseits konkreter Maßnahmen, um das Risiko einer bevorstehenden Gewalttat besser einzuschätzen und Gewalt durch die Verhängung von Untersuchungshaft zu verringern.
Opfer sexueller Gewalt oder Vergewaltigung werden von der österreichischen Justiz nach wie vor nicht ernst genommen. Es gibt vergleichsweise viele Anzeigen, aber wenig Verurteilungen. Aber auch die Anzeigen gehen zurück, weil Opfer immer weniger Vertrauen in das Justizsystem haben und vor allem Angst haben, dass Täter nicht zur Verantwortung gezogen werden. Es gibt viele Beispiele – insbesondere von Prominenten – die nicht verurteilt wurden oder werden. Viele Frauen erleben auch im Strafverfahren victim blaming (Opferbeschuldigung).
Sogar Richter oder Staatsanwälte geben oft den Frauen die Schuld für die Gewalttat – das zeigt, dass es immer noch mehr Täterschutz statt Opferschutz gibt. Dabei fallen Aussagen wie „Hätte sie sich besser gewehrt, wäre es nicht passiert“, „Wenn sie sich nicht so „sexy“ angezogen hätte, wäre das nicht passiert“ oder „Wäre sie nicht in der Nacht allein unterwegs gewesen…“, uvm. Es kommt auch immer wieder vor, dass Frauen mit Verleumdungsstrafen rechnen müssen, wenn der Täter sie der Unwahrheit bezichtigt. All das schreckt die Opfer vor einer Anzeige ab.
Anstieg häuslicher Gewalt in Österreich durch die Covid-19-Krise
Die Corona-Pandemie ist eine noch nie dagewesene Situation und hat Herausforderungen gestellt, die es in dieser Form noch nie gab. Häusliche Gewalt steigt meist bei Familienfesten wie Weihnachten oder etwa in Urlaubszeiten, denn in Zeiten, wo Familien eng zusammen sind, kommt es leichter zu Spannungen, Streit und Eskalationen. Studien und langjährige Erfahrungen im Gewaltbereich zeigen, dass auch Arbeitslosigkeit oft zu Partnergewalt und häuslicher Gewalt führt.
Aufgrund der Corona-Krise trafen in den vergangenen Jahren viele Risikofaktoren für Partnergewalt und häusliche Gewalt zusammen: Steigende Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit, die zu existenziellen Problemen führten, Ausgangsbeschränkungen, Einschränkung der sozialen Kontakte, Orte wo sich Männer normalerweise oft aufhalten wie Sportplätze, Klubs und Gaststätten waren geschlossen sowie beengter Wohnraum und das Unterrichten der Kinder zu Hause können schnell zu Eskalationen führen.
Gewaltbereite Männer nutzten diese Situation aus: Sie rechneten damit, dass ihre Partnerin gerade in dieser Krise nicht so einfach weggehen konnte und sie wussten, dass eine Trennung oder Scheidung oder eine Flucht in ein Frauenhaus womöglich sehr schwierig ist. Sich Hilfe holen, irgendwo anzurufen oder die Polizei zu rufen war (und ist) für Frauen und Kinder noch viel schwieriger, wenn der Peiniger ständig anwesend ist und sie womöglich noch mehr kontrolliert als sonst.
Es gab auch eindeutige Anzeichen einer Zunahme von häuslicher Gewalt: Die Anrufe bei der Frauenhelpline 0800 222 555 sind im ersten Jahr der Corona-Pandemie zeitweise um bis zu 71% angestiegen. Beinahe jede zweite Anruferin berichtete über Gewaltvorfälle, über langjährige Gewalt in der Beziehung, die sich während der Krise zugespitzt hatte bzw. eskaliert ist. Einige Anruferinnen waren mit Morddrohungen konfrontiert und ein großer Teil der Anrufe stand in Zusammenhang mit der aktuellen Obsorgeregelung (Gemeinsame Obsorge beider Elternteile nach einer Trennung) und mit Besuchskontakten.
Betroffene Frauen berichten, dass sie von ihren Ex-Partnern stark unter Druck gesetzt werden – es gibt Väter, die drohen, die Kinder nach Besuchen nicht mehr zurückzubringen oder den Kindesunterhalt einzustellen oder reduzieren zu wollen, weil sie arbeitslos oder in Kurzarbeit geschickt geworden sind. Viele Frauen haben sogar Angst, dass ihnen die Kinder weggenommen werden, weil das Amt für Kinder- und Jugendhilfe und auch Richter oft auf der Seite der gewaltausübenden Väter stehen. Die betroffenen Frauen fühlen sich von den Behörden in Stich gelassen. Es gibt aber auch viele Frauen die wirkliche Existenzsorgen haben, weil sie auf die staatlichen Kindesunterhaltsvorschüsse warten, die nicht ausbezahlt werden.
Frauenberatungsstellen und Opferschutzeinrichtungen in ganz Österreich bemerkten eine Zunahme an Beratungsanrufen. Während der Corona-Krise waren zwar nicht alle Plätze in den Frauenhäusern belegt, aber das bedeutet nicht, dass die Gewalt nicht zugenommen hätte – es bedeutet nur, dass viele während der Krise keine Chance hatten von daheim zu fliehen. Ungestört zu telefonieren und den Koffer zu packen mit den wichtigsten Dokumenten, Kleidung, Medikamenten sowie Spiel- und Schulsachen für die Kinder war eine große Herausforderung.
Insbesondere am Land, denn nicht alle haben ein Auto und können einfach mit den Kindern wegfahren. Die Situation der Frauenhäuser in den Bundesländern ist sehr unterschiedlich, aber egal ob die Frauenhäuser Plätze haben oder nicht, sind die Landesregierungen in einem engen Austausch mit den Frauenhäusern und sorgen für einen Ausbau an zusätzlichen Schutzplätzen, sodass jede Frau aufgenommen werden kann und keine Frau abgewiesen werden muss.
Präventionsprojekt „StoP - Stadtteile ohne Partnergewalt“
Ein wichtiges aktuelles Gewaltpräventionsprojekt des Vereins AÖF - Autonome Österreichische Frauenhäuser ist „StoP - Stadtteile ohne Partnergewalt“: StoP ist ein Nachbarschaftsprojekt mit dem Ziel, Partnergewalt, häusliche Gewalt und (schwere) Gewalt an Frauen und Kindern zu verhindern und Nachbarschaften zu stärken.
Durch das Aufzeigen von Handlungsmöglichkeiten werden Nachbar*innen bestärkt, sich Hilfe zu holen und Zivilcourage gegen Partnergewalt auszuüben. Nachbar*innen treffen sich regelmäßig zu „Frauentischen“ und „Männertischen“, werden dort umfangreich über das Thema informiert und dafür sensibilisiert und planen in Folge gemeinsame Aktivitäten und Initiativen. Aktive und mutige Nachbar*innen sind sehr wichtig, gerade auch in Krisenzeiten: Sie können (schwere) Gewalt verhindern, wenn sie die Gewalttat unterbrechen oder wenn sie rechtzeitig Hilfe holen. Sie informieren über Gewalt, sodass sich Betroffene nicht schämen, sich ihnen anzuvertrauen.
Der Verein AÖF hat das Projekt 2019 in Wien Margareten begonnen und mit Stand November 2022 auf insgesamt 25 Standorte in 8 weiteren Wiener Bezirken sowie in 16 Bezirken in den Bundesländern ausbauen können.
Das Motto von StoP lautet: „Was sagen. was tun“. Nachbar*innen schauen nicht weg, sondern achten noch genauer auf die Umgebung. Sie hören hin und zeigen Präsenz. Dazu können Nachbar*innen z.B. einen Aushang mit den wichtigsten Telefonnummern von Hilfseinrichtungen im Stiegenhaus aufhängen. Sie können eine Gewalthandlung unterbrechen, in dem sie an der Tür anläuten und ganz banal fragen, ob sie sich z.B. Zucker oder Milch ausborgen können.
Mit dieser sogenannten „paradoxen Intervention“ signalisieren Nachbar*innen den betroffenen Frauen und Kindern, dass diese nicht allein sind und sie alles mitbekommen haben. Das gilt auch gegenüber dem Täter. Nachbar*innen können auch die Polizei rufen, um Gewalt zu stoppen. Sie können sich gegenseitig unterstützen und z.B. den betroffenen Frauen und Kindern womöglich kurzfristig Unterschlupf anbieten. Nachbar*innen, aber auch Bekannte und Verwandte, können auch die Frauenhelpline 0800 222 555 anrufen und sich erkundigen, wie sie helfen können und ob sie die Polizei verständigen sollen oder wie sie Zivilcourage ausüben können.
Gewaltprävention als gemeinsame gesellschaftliche Verantwortung
Jeder Mensch hat das Recht auf ein gewaltfreies Leben. Frauen und Kinder sind besonders häufig von Gewalt innerhalb der Familie betroffen und sind auf professionelle Hilfe angewiesen.
Frauenhäuser und die Frauenhelpline gegen Gewalt 0800 222 555 sind lebensrettende Einrichtungen. Ein Anruf bei der Frauenhelpline – auch schon in der Frühphase einer Gewaltbeziehung – kann einen langen Leidensweg verhindern und das Leben von Betroffenen retten.
Frauenhäuser bieten betroffenen Frauen und deren Kindern Schutz, Sicherheit und umfassende Unterstützung – angefangen von psychosozialer, medizinischer Hilfe bis hin zu juristischer Begleitung. Frauenhäuser unterstützen, beraten und begleiten Frauen und Kinder individuell auf dem Weg in ein selbstbestimmtes und gewaltfreies Leben. Gewaltbetroffene Frauen werden dadurch ermutigt und gestärkt, sich aus Gewaltbeziehungen zu befreien und mit eigenen Entscheidungen selbst ihre Zukunft und die ihrer Kinder zu gestalten.
Das Projekt „StoP - Stadtteile ohne Partnergewalt“ ermutigt Personen im Umfeld von gewaltbetroffenen Frauen, eine klare Haltung gegen (häusliche) Gewalt und Partnergewalt einzunehmen, genau hinzuschauen und zivilcouragiert zu handeln und soll so zur Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung beitragen sowie aufzeigen, wie eine gute Nachbarschaft Schutz vor Gewalt bieten kann.
Unser Ziel ist eine geschlechtergerechte Gesellschaft in der alle Menschen – Frauen, Männer und Kinder – ein friedliches, gewaltfreies Leben ohne Angst führen können.
Links:
AÖF - Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser / Informationsstelle gegen Gewalt: www.aoef.at
Frauenhelpline gegen Gewalt 0800 222 555, rund um die Uhr, anonym, kostenlos und mehrsprachig: www.frauenhelpline.at
Onlineberatung für Mädchen und Frauen im HelpChat, täglich 18-22 Uhr und jeden Freitag von 9-11 Uhr, mehrsprachig: www.haltdergewalt.at
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen