Wir alle machen Wirtschaft
Das kommt vor allem bei Frauen gut an, weil sie ja vernünftigerweise dem Geld nicht die Bedeutung beimessen, das es in unserer kapitalgetriebenen Wirtschaft eben hat und es leicht ist, ihnen deshalb ein schlechtes Gewissen zu machen. Sich das vorhandene Geld gut einzuteilen, sich in Geldfragen nicht über den Tisch ziehen zu lassen und über seine Ansprüche Bescheid wissen, ist für Jugendliche und auch für Frauen sehr wichtig.
Es ist allerdings so, dass Frauen zumeist überlegter und sparsamer mit Geld umgehen, als Männer. Allerdings brauchen die meisten wahrscheinlich schon ein wenig Nachhilfe, wenn es darum geht, die eigenen Ansprüche und Absicherungen wahrzunehmen und nicht darauf zu vertrauen, dass das jemand anderer für sie tut. Dennoch ist der Ansatz, Frauen müssen mehr über ihre finanziellen Möglichkeiten wissen, damit sie weder Altersarmut, noch häuslicher Gewalt ausgeliefert sind, vielfach doch wieder falsch.
Denn hier wird ein gesamtgesellschaftliches Problem individualisiert und die Verantwortung für das finanzielle Wohlergehen allein auf die Einzelnen abgewälzt. Ja, es ist gut, rechtzeitig zu lernen, mit Geld umzugehen, von Taschengeld, bis zum ersten Gehalt, Wohnungskauf usw. und es ist wichtig, dass Frauen sich in der Finanzgebarung beteiligen, denn sie sind meist jene, die das Geld besser zusammenhalten.
Aber wo es nichts zum Sparen gibt, wo schon Generationen von der Hand in den Mund leben, braucht es politische Veränderungen, Umverteilung, öffentliche Dienstleistungen für alle, Bildungsangebote, die Benachteiligungen wettmachen und auch ein Pensionssystem, das die Lebensrealität von Frauen mitbedenkt. Denn die Änderung des Pensionssystems in der Ära Schüssel wo seither die Pension aus dem Einkommen des gesamten Berufslebens berechnet wird, hat viele Frauen in die Altersarmut gestürzt.
Der gleiche individualistische Zugang bahnt sich auch bei der Energiekrise und der ausufernden Inflation ab. Energiesparen, Sparen beim täglichen Bedarf usw. gelten als vorrangige Therapie, Einmalzahlungen sollen individuelle Mehrbelastung abfedern, in Schieflage kommende Unternehmen werden gefördert. Dass diese Probleme allerdings in einem Wirtschaftssystem wurzeln, das zwar enormen Reichtum und einen unvorstellbaren technischen Fortschritt gebracht hat, das gleichzeitig aber Naturzerstörung, Ungleichheit und Missachtung des menschlichen Maßes für sein Wachstum braucht, wird wenig diskutiert.
Kann es sein, dass unser kapitalistisches System in wirtschaftlichen und geopolitischen Schönwetterlagen hervorragend -allerdings nur für einen Teil der Gesellschaft- funktioniert, allerdings in Krisenzeiten kläglich versagt? Schon lange stimmt die Wertigkeit in der Wirtschaft und die Einkommensverteilung nicht. Gut bezahlt werden nicht die lebenserhaltenden und lebensfördernden Arbeiten und Wirtschaftszweige, sondern in Großindustrie, Finanzindustrie, in technischen und digitale Branchen, deren Nutzbringung für das Leben breiter Bevölkerungsschichten höchst anfragenswert ist, wird das große Geld gemacht.
Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen, dass „Red Bull“ der „wertvollste“ Wirtschaftskonzern Österreichs ist. Mit einem Aufputschmittel, das viele als das Kokain der Armen bezeichnen, kann man es zum Multimilliardär und reichsten Mann Österreichs bringen. Man muss nur das richtige „Marketing“ machen. Selber schuld, wenn das Gesundheits- Bildungs- und Pflegepersonal ein solch schlechtes Marketing betreiben, dass sie niemand als die wirklich wertvollen Wirtschaftszweige erkennt. Lebensnotwendige Produkte wie Lebensmittel und Energie wurden lange Zeit wegen ihrer scheinbar unerschöpflichen Verfügbarkeit geringgeachtet.
Unsere multiplen Krisen zeigen uns aber, was die Voraussetzung dafür ist, dass unsere hochtechnisierte Welt funktionieren kann. Nämlich die Sorge füreinander und alle Arbeiten, die damit verbunden sind, wie Betreuung, Pflege, Bildung, Reinigung usw. Aber wir brauchen auch genügend Nahrungsmittel und Energie, um uns zu ernähren, uns wärmen, kommunizieren und produzieren zu können. Es ist diese Grundversorgung, die Voraussetzung und Zentrum allen Wirtschaftens ist. Das wird uns jetzt schmerzhaft bewusst, aber führt es auch zu einem Umdenken jener, die das Sagen haben?
Noch immer wird so getan, als könne man diese Grundbedürfnisse den Marktgesetzen unterwerfen. Aber der Markt funktioniert nur dort, wo Angebot und Nachfrage variabel sind. Aber die Grundbedürfnisse wie Pflege, die Bildung, die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln und Energie kann man nicht globalisierten Märkten überlassen, weil da das Marktversagen systemimmanent ist. Man kann diese Tätigkeiten auch sehr schwer rationalisieren, denn sie unterlaufen die üblichen Marktgesetze des immer schneller, immer billiger.
Der Mangel an Energie und an Nahrungsmitteln in vielen Teilen der Welt zeigt ganz deutlich, wie abhängig auch die hochtechnologisierten Industriestaaten von so „primitiven“ Produkten wie Nahrungsmitteln und Energie sind. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine führt uns deutlich vor Augen, dass diese beiden belächelten Volkswirtschaften mit ihrem Reichtum an Bodenschätzen und landwirtschaftlichen Flächen bisher für eine billige Grundversorgung mit Energie und Nahrungsmitteln gesorgt haben und das Fehlen dieser Bezugsquellen Hungersnöte in Afrika und soziale Unruhen auch in Europa verursachen können.
Das Augenmerk der For-Profit-Wirtschaftstreibenden richtet sich bisher auf Hightec, Digitalisierung, den Handel mit Finanzprodukten, Marketing und Werbung. Das großteils völlig irrationale Börsengeschehen wird zum Maßstab erfolgreichen Wirtschaftens und zur Grundlage unserer Altersvorsorge. Wie unseriös das alles ist, zeigt sich derzeit, wo den vom Börsegeschehen abhängigen viel gepriesenen kapitalgedeckten Vorsorgemöglichkeiten, wie Firmenpensionen, Abfertigung neu und privaten Pensionsversicherungen Einbußen bis zu 15% prognostiziert werden.
Es ist nämlich so, dass durch die Auslagerung dieser Modelle an Pensionskassen, das Risiko für das Funktionieren dieser Vorsorgemöglichkeiten von den Arbeitgebenden zu den Arbeitnehmenden gewandert ist. Während das viel geschmähte, auf die Solidarität der Generationen aufgebaute öffentliche Pensionssystem versucht, mit bis zu 10% Erhöhung die Belastung der Kleinpensionistinnen abzufedern, verlieren in der Krise all jene, die der Mär vom gesicherten Alter durch private Vorsorge erlegen sind.
Diese Irrationalität des Denkens ist tief in breite Bevölkerungsschichten eingedrungen. Politik und Wirtschaft richten ihr Handeln nach Meinungsforschung aus, deren verbreitete Unseriosität sich in letzter Zeit vielfach zeigt. Horrende Gehälter werden dort gezahlt, wo die Verantwortlichen bei Gegenwind aus dieser Verantwortung fliehen.
Unter diesen Rahmenbedingungen liegt es nahe, eine Systemänderung anzustreben. „Was brauchen wir für ein gutes Leben aller und wie können wir uns dem annähern?“, müsste dafür die grundlegende Frage sein. Es ist an der Zeit, das anzugehen – in Frankreich protestieren die Menschen bereits wieder auf den Straßen und wir wissen seit den skurrilen Corona-Demonstrationen wie schnell auch bei uns das gesellschaftliche Klima kippen kann.
Dabei gäbe es ganz einfache Möglichkeiten, um sich Mittel für eine Politik-Änderung zu verschaffen. Der Reichtum ist in unserem Land in den letzten Jahrzehnten enorm gewachsen. Es kann doch nicht sein, dass Millionäre und Milliardäre glauben, das Geld und die Güter, die sie angehäuft haben, wären allein durch ihre Klugheit und ihren Fleiß entstanden – da haben neben einer gewieften Schlitzohrigkeit, die dieses System zum Erfolg braucht, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen schon ordentlich mitgespielt. Und diese Rahmenbedingungen müssen wir ändern, indem wir diese abgehobenen Schichten unserer Gesellschaft wieder in unsere Mitte holen und sie an die Sozialpflichtigkeit des Eigentums erinnern.
Der Tod von Herrn Mateschitz zeigt es wieder sehr deutlich. Wie lässt es sich rational zu begründen, dass sein Sohn dieses Vermögen ohne Abschläge erben wird? Das einzige Verdienst dieses jungen Mannes ist es, dass der Körper seiner Mutter es zugelassen hat, dass der Same des reichen Mannes sich dort einnisten konnte. Am Reichtum seines Vaters allerdings haben tausende Menschen mitgearbeitet und die steuerlichen Rahmenbedingungen sind eben so gestaltet, dass diese Anhäufung von Vermögen möglich ist. Also wäre es nur gerecht, einen Teil dieses Vermögens wieder der Allgemeinheit zurückzugeben. Eine angemessene Erbschaftssteuer wäre das mindeste.
Ich lese eben, dass das Immobilien-Wunderkind René Benko, der vom deutschen Staat bereits 700 Millionen € an Förderung für seine marode Kaufhauskette bekommen hat, sichtlich nicht einmal die von einer Riege hochrangiger Wirtschaftstreuhänder minimalisierte Einkommenssteuer bezahlen wollte. Was hat all das mit einem „freien Markt“ zu tun?
Gerne wird über russische Oligarchen der Stab gebrochen. Aber was sind das anderes als Oligarchien, die sich bei uns breit machen? Da passt es sehr gut, dass sich ein ehemaliger österreichischer Finanzminister nicht entblödet, seine Stellung dazu zu nutzen, die Produkte seines Weinguts jenen schmackhaft zu machen, die sich von ihm eine „Sonderbehandlung“ erwarten.
Ich bin sehr für eine Wirtschafts- und Finanzbildung, die es weiten Teilen der Bevölkerung ermöglicht, ökonomische Zusammenhänge zu verstehen. Eine Wirtschaftsbildung, die darüber aufklärt, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht zufällig aufgeht, sondern dass das durch oligarchische Verhältnisse ermöglicht wird. Ich habe aber sehr viel gegen eine Finanzbildung, die den Menschen weismachen will, es läge in ihren Händen, durch aktive Teilnahme am Finanzmarkt zu dauerhaftem Wohlstand zu kommen.
Das führte nur dazu, diesen überdimensionierten Sektor der Gesamtwirtschaft noch größer und krisenanfälliger zu machen. Die Umverteilung von unten nach oben ist am Ende ihrer Weisheit angelangt. Lassen wir uns nicht einreden, dass wir mehr Finanzwissen brauchen, um mehr soziale Gleichheit zu erreichen, sondern engagieren wir uns dafür, dass immer mehr Menschen die wirtschaftlichen Zusammenhänge verstehen lernen, damit sie sie verändern können, denn wir alle sind Wirtschaft. Aber wir müssen uns einmischen, um etwas verändern zu können.
Deshalb hat sich eine zivilgesellschaftliche Initiative mit dem Titel „Wir alle machen Wirtschaft“ gegründet, die eine breit angelegte Wirtschaftsbildung an den Schulen und in der Erwachsenenbildung anstrebt, um eine Gegenmacht von unten auf den Weg zu bringen. Eine breite Beteiligung daran wäre sinnvoll.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen
