Die aktuelle nukleare Bedrohung
Der Atomwaffenverbotsvertrag (2017) verbietet Entwicklung, Produktion, Test, Erwerb, Lagerung, Transport, Stationierung und Einsatz von Atomwaffen, außerdem die Drohung damit. Das ist ein großer Fortschritt in der Geschichte der Menschheit und nun kommt es auf uns an, sich weltweit für die totale Abschaffung der Atomwaffen einzusetzen. Die im Juni 2022 in Wien stattgefundene Konferenz der Staaten, die den Vertrag zum Verbot von Atomwaffen unterzeichnet haben, hat an Hand zahlreicher Fakten klar aufgezeigt: die Atomwaffen bedrohen das Überleben der Menschheit.
Brennender als in den vergangenen Jahrzehnten ist die Erinnerung an Hiroshima in diesem Jahr. Immer noch verfügen die 9 Atomwaffen-Staaten (USA, Russland, Frankreich, China, Großbritannien und die 4 de-facto-Atomwaffenstaaten Israel, Pakistan, Indien und Nordkorea, die den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet haben) über insgesamt mehr als 13.000 nukleare Sprengköpfe.
150 Atomwaffen der USA befinden sich auf europäischem Territorium in Belgien, Deutschland, den Niederlanden und der Türkei. Die Abrüstungsbemühungen der letzten Jahrzehnte wurden durch Modernisierungen faktisch zunichtegemacht und sind derzeit eingefroren.
Die Differenzierung von „taktischen“ und „strategischen“ Atomwaffen ist ein gefährliches Spiel mit der Möglichkeit, nukleares Potential tatsächlich einzusetzen.
Zeitenwende? Krieg in Europa
An der Grenze der EU herrscht seit einem halben Jahr Krieg, ein Angriffskrieg, den Russlands Präsident begonnen hat, um seine Wahnidee eines russischen Weltreiches zu realisieren.
Vor diesem Krieg kann niemand die Augen verschließen. Die Entfernung von Wien bis zur ukrainischen Grenze ist geringer als die von Wien nach Bregenz.
Wladimir Putin hat wiederholt damit gedroht, Atomwaffen zum Einsatz zu bringen. Über die Gründe, die ihn zu einem solchen Schritt veranlassen könnten, kann man nur spekulieren: wenn Putin russisches Territorium angegriffen sieht, wenn der konventionelle Krieg in der Ukraine nicht zu gewinnen ist, wenn die NATO weiter aufrüstet, ...
Mehr als 30 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges ist die Gefahr einer nuklearen Konfrontation größer als je zuvor seit der Kuba-Krise 1962. Putins Verhalten ist nicht kalkulierbar, und das schürt die Ängste in Europa.
„Zeitenwende“ hat es Olaf Scholz genannt – eine Situation, in der vieles zerbrochen ist: die Friedensordnung in Europa, das Vertrauen in eine Partnerschaft mit Russland. Schweden und Finnland haben ihre bislang gehütete Neutralität aufgegeben, verbal und faktisch rüstet die NATO auf. Deutschland erhöht sein Militärbudget, die Rüstungsindustrie läuft auf Hochtouren, um die Ukraine in ihrem Verteidigungskrieg zu versorgen. Europas Solidarität gilt dem Opfer der russischen Aggression – wie lange noch angesichts der drohenden Öl- und Gasknappheit?
Und die Friedensbewegungen – haben sie ausgedient? Was nutzen - angesichts dieses Krieges, der sinnlosen Zerstörung von Wohnhäusern, Schulen, Kultureinrichtungen und Spitälern, der Kriegsverbrechen, der mehr als 12.000 zivilen Todesopfer - Appelle, Aufrufe, Friedenskundgebungen?
Weltweite Dimensionen
Dieser Krieg hat verheerende weltweite Auswirkungen. An ihm wird beispielhaft deutlich, wie sinnlos, wie menschenverachtend, wie zerstörerisch Krieg ist (auch ohne die nukleare Drohung).
Da sind zunächst die Menschen, die geflüchtet sind, Frauen und Kinder, die in der EU und anderen Staaten oder in weniger gefährdeten Regionen der Ukraine Schutz gefunden haben. Da sind die, Menschen, die ausharren in den Trümmern ihrer Städte, weil sie nicht die Mittel oder die Kraft haben zur Flucht. Da sind die an ihre Grenzen gelangenden Bemühungen zahlreicher Hilfsorganisationen zur humanitären, medizinischen und wirtschaftlichen Unterstützung der ukrainischen Bevölkerung.
Und weltweit: eine Hungersnot, hervorgerufen durch den Stopp der Getreidelieferungen an viele Länder des Südens und durch die Börsenspekulationen mit Nahrungsmitteln.
Die Abhängigkeit der westlichen Industriestaaten von fossilen Energieträgern ist allzu deutlich geworden. Und die Klimawende steht auf dem Spiel. Da bemühen sich PolitikerInnen aller Parteien und Länder um neue Partner im Öl- und Gasgeschäft. Da werden Kohlekraftwerke wieder hochgefahren. Da scheffeln Energiekonzerne weltweit Höchstgewinne, während die Inflation Völker in die Hungerkatastrophe und immer mehr Menschen hierzulande in die Sozialmärkte treibt. Und die Angst vor einem kalten Winter wächst.
Zeitenwende zurück zur fossilen Energie? – Oder …
Als ob es nicht in dieser Zeitenwende endlich an der Zeit wäre, alternative Energien auszubauen und zu fördern. Vor allem aber: den westlichen Lebensstil grundlegend zu verändern, Schluss zu machen mit der Verschwendung von Lebensmitteln und Energie. Schluss zu machen mit der Selbstverständlichkeit, mit der wir bislang weltweite Ressourcen ausgeplündert haben.
Schluss machen mit der Bequemlichkeit und dem Anspruch, jederzeit alles billig zur Verfügung zu haben: Benzin für den SUV, Strom (egal aus welcher Quelle) für die schöne „smarte“ Welt, die wir uns vorgaukeln ließen.
So manche PolitikerInnen haben immer noch nicht begriffen, worauf es ankommt. Das Wort „Energiesparen“ kommt ihnen nicht über die Lippen. Tempo 100 oder 90 auf den Autobahnen? Fehlanzeige. Sparen bei Heizung, Wasserverbrauch, Treibstoff und Klimaanlagen? Das ist das Gebot der Stunde und ein notwendiger Schritt im Kampf gegen den Klimawandel.
Zudem wäre es ein auch eine wirksame Maßnahme zur Beendigung dieses Krieges. Es ist jedenfalls eine bessere Alternative als die Angst, Putin würde den Gashahn von Nord Stream 1 vielleicht nicht mehr öffnen. Denn dieser Krieg Putins wird mitfinanziert durch die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas. 22 Milliarden Dollar zahlt Europa pro Monat in Putins Kriegskasse ein.
In den ersten zwei Monaten seit Beginn des Krieges hat Russland mit der Ausfuhr von Öl, Gas und Kohle 63 Milliarden Euro verdient, wie die Energieexperten des unabhängigen Forschungsinstituts Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) berechneten.
Die EU, die Mitgliedstaaten, die Wirtschaft, aber auch jede/r Einzelne ist aufgefordert dazu, die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu verringern. Und wer sich über mögliche kommende Einschränkungen beschwert, möge an diejenigen denken, die seit Monaten in diesem Krieg leiden: in der Ukraine, aber auch in Russland, wo mutige Menschen und Organisationen immer noch gegen Putins Krieg eintreten, unter Gefahr für Freiheit, Leib und Leben.
Sie brauchen die Unterstützung und Ermutigung von außen, von Friedensgruppen, Nichtregierungsorganisationen, MenschenrechtsaktivistInnen. 2 Grad weniger Raumtemperatur im Winter und weniger Autofahren sind zumutbar.
Gerade jetzt, wo der Kriegslärm immer lauter, die Bedrohung immer mächtiger wird, braucht es die Stimmen des Friedens dringlicher als je zuvor.
Und es braucht das Zusammenstehen, die Solidarität, die lauten Stimmen für den Frieden. Es braucht aber auch das individuelle und gemeinsame Handeln und den Verzicht (was für ein aus der Mode gekommenes Wort) auf vieles, was früher einmal selbstverständlich war.
„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Friedrich Hölderlins Worte sind Mahnung und Appell an uns alle!
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.