Kann man nix machen?
Jedes Mal weiß ich keine Antwort und bleibe ratlos zurück. Was soll man darauf auch antworten? 'Kann man nix machen und es wird sowieso alles furchtbar' – mit Argumenten kommt man dagegen nicht an. Aber es lohnt sich, die Haltung hinter dieser Aussage genauer in den Blick zu nehmen.
Auf den ersten Blick möchte man meinen, 'kann man nix machen' sei eine Haltung der Bequemlichkeit und der Verdrängung. Wenn man nix machen kann, dann muss man auch nix tun, dann kann man in der eigenen Komfortzone bleiben und alle Verantwortung von sich schieben. Und natürlich: Wir alle verdrängen vieles. Probleme, für die wir keine praktische Lösung wissen, lösen wir eben auf der psychologischen Ebene. "Hilft nix."
Aber es steckt mehr dahinter. Die Haltung, man könne eh nix machen, hat nicht nur eine psychologische Dimension, sondern vor allem auch eine politische. Wer als Bürger*in eines demokratischen Rechtsstaats behauptet, nichts machen zu können, weist die politischen Rechte und Pflichten, die ihr bzw. ihm zukommen, von sich. Das ist fatal für eine Demokratie, denn eine Demokratie lebt davon, dass alle Bürger*innen politische Verantwortung übernehmen, 'sich verbürgen' für das, was geschieht. Diese Verantwortung nicht wahrzunehmen ist nicht nur resignativ, es gefährdet die Demokratie.
Dass diese Haltung – gerade in Österreich – so weit verbreitet ist, hat historische Gründe. Österreich hat eine sehr kurze Geschichte der Demokratie und eine sehr lange Geschichte unterschiedlich ausgeprägter Obrigkeitsstaaten. Sich mit dem, was von oben kommt, zu arrangieren, zu jammern, aber letztlich zu tun, was verlangt wird, im öffentlichen Leben den Weg des geringsten Widerstands zu gehen und es sich im privaten Leben so zu richten, wie es einem passt, das ist ein Weltzugang, der sehr tief in unserer Kultur verankert ist. Kollektiv haben wir weder die Monarchie noch den Austrofaschismus noch den Nationalsozialismus ernsthaft verarbeitet. Und in dem, was angesichts der Klimakrise geschieht, zeigt sich, was lange verdrängt und nie verwunden wurde: Auf Gedeih und Verderb machen Menschen, was von ihnen verlangt wird, mit einem schulterzuckenden "kann man nix machen" wird die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen beobachtet und befeuert, Millionen Menschen geben der Resignation, geben dem Hang zum Nihilismus nach – obwohl wir hier in Österreich alle Freiheiten, Rechte und Pflichten haben, uns dem entgegenzustellen. Diese Freiheiten, Rechte und Pflichten sind eine großartige Errungenschaft, die mutige Menschen angesichts des Traumas des Nationalsozialismus erkämpft haben. Wer angesichts heutiger politischer Krisen resigniert und die eigenen Bürger*innenpflichten nicht wahrnimmt, erweist sich als respektlos gegenüber diesen Errungenschaften.
Warum breite ich diese Analyse, die im Grunde niemandem neu sein wird, hier aus? Mir brennt eine Frage unter den Nägeln. Wo ist die katholische Kirche in dieser Situation? Warum ist sie keine starke Stimme angesichts der bewussten Zerstörung unserer Lebensgrundlagen, angesichts dieses blanken Nihilismus? Es ist zynisch, dass kaum jemand – gerade auch ihre Mitglieder nicht – überhaupt mehr von der Kirche als Institution erwarten als Lippenbekenntnisse. Einzelne Personen und Gruppen, die mutig und beherzt handeln, stehen völlig exponiert allein auf weiter Flur.
Wo ist die katholische Kirche? Die Kirche als Institution agiert in Österreich genauso zurückhaltend, unpolitisch und resignativ wie so viele Bürger*innen. Anders gesagt: Sie agiert verantwortungslos. Wenn die katholische Kirche als Institution, die alles Wissen, alle Macht und alle Freiheit hat, dies zu tun, jetzt nicht für die Bewahrung der Schöpfung einsteht, beteiligt sie sich aktiv an deren Zerstörung.
Die Ausrede, dies sei ein politisches Thema, aus dem sich die Kirche herauszuhalten habe, gilt nicht. Es gibt eine lange Tradition des politischen Opponierens, in der sich die Kirche sieht, und wenn sie sich davon abwendet, verrät sie diese ihre Tradition.
Ich möchte dies nur mit einem Beispiel belegen. Zu den mutmaßlich ältesten Texten, auf die sich unsere Tradition beruft, gehört das Buch des Propheten Amos. Amos wird in diesem Buch als Bauer dargestellt, der im 8. Jh. v. Chr. zunächst im Südreich Juda lebte und dann als Prophet im Nordreich Israel wirkte. Prophet*innen gab es in den altorientalischen Kulturen zuhauf. Die allermeisten von ihnen wirkten an den Höfen der Herrschenden und ließen sich dafür bezahlen, zu propagieren, was man hören wollte. Die meisten dieser Prophet*innen sind heute vergessen. Die Prophet*innen, auf deren Zeugnisse bis heute Bezug genommen wird, haben überwiegend nicht an den Höfen der Herrschenden gewirkt, und Amos, der Bauer, ist dafür ein gutes Beispiel. Sein öffentliches Auftreten bringt ihm kein Geld und keine Anerkennung, Seine Reden sind kritisch. Es geht um soziale Ungerechtigkeit, um Macht und um Verantwortungslosigkeit.
10 Sie hassen den, der im Tor Recht spricht, und den, der unsträflich redet, verabscheuen sie. 11 Darum: Weil ihr vom Geringen Pachtzinsen erhebt und Getreideabgaben von ihm nehmt, habt ihr Häuser aus Quadern gebaut, doch werdet ihr nicht darin wohnen. Schöne Weinberge habt ihr gepflanzt, doch werdet ihr deren Wein nicht trinken. 12 Ja, ich kenne eure vielen Verbrechen und eure zahlreichen Sünden. – Sie bedrängen den Gerechten, nehmen Bestechungsgeld und drängen im Tor den Armen zur Seite. 13 Darum schweigt der Einsichtige in dieser Zeit, denn eine böse Zeit ist es. 14 Sucht das Gute und nicht das Böse, damit ihr lebt! Und der HERR, der Gott der Heerscharen, wird so mit euch sein, wie ihr sagt. 15 Hasst das Böse und liebt das Gute und richtet das Recht auf im Tor! Vielleicht wird der HERR, der Gott der Heerscharen, dem Rest Josefs gnädig sein. (Amos 5, übers. ELB 2006).
Das Interessante ist nicht, dass es im alten Israel mutmaßlich einen Bauern gab, der schonungslos auf die Ungerechtigkeit seiner Zeit hingewiesen und die Ungerechten angeprangert hat. Das Interessante ist, dass sein Zeugnis überliefert ist und dass wir uns bis heute auf diese Tradition berufen. Die katholische Kirche beruft sich auf Prophet*innen wie Amos, nicht auf die Propagandist*innen der Mächtigen. Nimmt sie ihre Tradition ernst, so muss sie sich auch heute lautstark und ohne Rücksicht auf Eigeninteressen den Ungerechten und ihren Propagandist*innen in den Weg stellen.
Aber wo ist sie, die katholische Kirche? Sie ähnelt selbst viel mehr den Königshöfen als den einsamen Prophet*innen, auf die sie sich beruft. Die Institution Kirche übernimmt ihre Verantwortung in dieser Krise nicht, sie gleicht einem Königshof und keiner Prophetin. Es ist an der Zeit, dass sich ihre Akteur*innen ihrer je eigenen Handlungsmacht bewusstwerden und davon Gebrauch machen. Letztlich ist es die Entscheidung jeder/jedes Einzelnen, sich in die Tradition des Amos zu stellen oder in die der Herrschaftspropaganda.
Wir leben heute in einer Zeit, in der wir unsere eigenen Lebensgrundlagen zerstören. Gleichzeitig leben wir in einer Zeit, in der wir mehr politische Rechte und Freiheiten, mehr Zugang zu Informationen und mehr Vernetzungsmöglichkeiten haben als all die Generationen vor uns. Was hindert uns? Es hindert uns die erdrückende Kultur der Obrigkeitshörigkeit und des Nihilismus, in der wir leben. Aber als Mitglieder der Kirche sollte unser Horizont weiter sein. Es gilt nicht nur die Tradition der Herrschenden, es gibt auch eine Tradition derer, die sich der Unterdrückung und Vernichtung durch die Herrschenden entgegengestellt haben. Es liegt an uns, wo wir uns verorten. Es liegt an uns, uns unserer Tradition und der demokratiepolitischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte als würdig zu erweisen.
Ob es am Ende gut gewesen sein wird oder ob die, die behaupten, dass eh alles nix hilft, recht behalten werden, das weiß Gott allein. Schwach wäre unser Glaube, würden wir uns wegen dieses Zweifels unserer Verantwortung entziehen.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.
