Genug mit unserem derzeitigen System in der Wirtschaft und in der Gesellschaft!
Beim Jubiläumsfest „20 Jahre Welthaus“ im vergangenen September fragten mich junge Theologinnen, ob ich bereit wäre, einen Gottesdienst auf der besetzten Baustelle bei der U-Bahn Station Hausfeldstraße zu halten. Einige Tage danach fuhr ich mit Öffis bis zum Praterstern und dann mit dem Fahrrad durch die Lobau und besuchte das Protestcamp, um mit den Besetzer*innen und anderen Interessierten den Gottesdienst vorzubereiten.
Es stellte sich heraus, dass es keine Hl. Messe sein konnte. Menschen verschiedenster religiöser und weltanschaulicher Orientierung waren anwesend. Was sie vereinte war die Überzeugung, dass sie handeln mussten, um der Umweltzerstörung Einhalt zu gebieten und auch künftigen Generationen noch ein gutes Leben auf dem Planeten Erde zu ermöglichen.
Einige waren ausdrücklich christlich geprägt: Ein ehemaliger Jesuiten-Novize, mittlerweile aus der Kirche ausgetreten, aber in der Klimabewegung für die Bewahrung der Schöpfung aktiv. Eine junge Frau, die an einer Ordensschule die Matura gemacht und anschließend Theologie studiert hatte, danach aber auch ausgetreten war, und sich nun gegen das Straßenbauprojekt engagierte. Ein junger Mann, der sich als Katholik bei „Fridays for Future“ engagierte. Aber da war auch ein junger Muslim, der gegen die Zerstörung der Schöpfung Allahs protestierte. Einige Wochen später gab es auf der Baustelle eine „multireligiöse Feier“. Auch die Katholische Aktion war präsent, gestaltete mit und meldete sich zu Wort. Was für eine Freude!
Genug mit dem immensen Bodenverbrauch bei Straßenbauten! Genug mit Verkehrskonzepten, die vorrangig auf Individualverkehr setzen! Genug mit unserem derzeitigen System in der Wirtschaft und in der Gesellschaft, das uns an den Rand der Klimakatastrophe gebracht hat.
Das sind die Überzeugungen der Aktivist*innen gegen die „Stadtstraße“ und die „Lobau-Autobahn“, und es sind auch meine Überzeugungen. Und ich bin ihnen so dankbar, dass sie ausharren in der Kälte und sich mutig den Baumaschinen und der Politik des Zu-Asphaltierens entgegenstellen. Dass sie einem Brandanschlag genauso trotzten wie den Klagsdrohungen der Stadtregierung. Dass sie weiter kämpfen trotz der Auflösung der Besetzung der Hausfeldstraße durch die Polizei im Jänner 2022.
Denn ich bin überzeugt: Ohne einen tiefgreifenden Wandel und eine Neubewertung von Infrastrukturprojekten werden die Klimaziele nicht erreicht werden.
Für mich ist es eine Gewissensfrage: Wird unser kirchliches Reden von der „Bewahrung der Schöpfung“ mehr gewesen sein als viel warme Luft, die wir der Erderwärmung hinzugefügt haben? Oder hat es zum Tun, zu einer wirklichen Veränderung geführt? Habe ich genug getan? Meinen mir möglichen persönlichen Beitrag geleistet?
Ich bin dankbar, dass die Katholische Aktion der Erzdiözese Wien sich entschieden für eine öko-soziale Wende einsetzt und sich bei diesem aktuellen Konflikt zu Wort gemeldet hat, indem sie sich eindeutig auf der Seite der bedrohten Schöpfung und der zukünftigen Generationen stellt.
P. Franz Helm SVD
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.