Camouflage
Und ich muss sagen, bei allen erkennbaren Bemühungen, es war kein Auftritt, der dazu angetan wäre, jene, die all den Maßnahmen gegenüber skeptisch sind, wieder ins Boot zu holen. Da spricht der Bundeskanzler von Kontrolldruck und Kontrollpflicht, ohne diese beiden Worte empathisch zu umrahmen, indem er dazu sagt, es wäre im Interesse aller und vor allem der besonders Schutzbedürftigen, dass die vorgegebenen Regeln auch eingehalten werden. Die Liebe zu martialischem Auftreten und militaristischem Vokabular kommt immer wieder durch. Bei ihm habe ich immer die Assoziation „Hier stehe ich, ich kann auch anders.“ Die Kampfrhetorik hat nicht erst durch Corona breiten Raum gewonnen, aber dieses Virus eignet sich eben besonders, Freund-Feind Bilder zu kreieren und wenn sich der Bundeskanzler derzeit wirklich bemüht, dem entgegenzuwirken, dahinter taucht halt immer wieder der Mann mit der Flex auf, der die Gefährder bestrafen möchte auf. Dem gegenüber steht die kindische Bezeichnung des Krisenstabs als „Gecko“. Das erinnert mich an die Verdummungsaktion „Baby-Elefant“. Wir sind erwachsene Menschen und was wir in der Situation am wenigsten brauchen, sind die kindischen Empfehlungen von Werbe-Fuzzis.
Wieso muss die Generaldirektorin für das öffentliche Gesundheitswesen „Chief Medical Officer“ genannt werden? Anglizismen sind noch kein Zeichen für Professionalität – im Gegenteil sie wirken auf viele Menschen nur mehr als Scharlatanerie, die damit Kompetenz vortäuschen möchte. Das hat diese qualifizierte Frau sicher nicht nötig.
Und vor allem, wieso muss der Herr Generalmajor zu einer Pressekonferenz im Camouflage-Verkleidung erscheinen? Wird diese Tarnung das Virus überrumpeln? Wem will er damit imponieren? Oder will er den portugiesischen Oberst nachahmen, der angeblich mit seiner Feschheit die Menschen zum Impfen verlockt hat? Abgesehen davon, dass die Portugiesen eine so primitive Begründung ihrer vernünftigen Haltung nicht verdient haben, das letzte was wir brauchen, ist eine Militarisierung des Einsatzes gegen die Corona-Pandemie. Ich sehe noch die riesigen Plakate vor der Rossauer-Kaserne, auf denen Soldaten in Kampfmontur und mit Sturmgewehr zu sehen waren und drunter stand, wenn ich mich richtig erinnere: Wir schützen unser Wasser und unseren Strom. Und ich werde auch den Verdacht nicht los, dass hinter der herrschenden „Blackout“- Hysterie vor allem das Bundesheer steckt, um Angst zu machen und seine Bedeutung zu unterstreichen. Ich habe keine Probleme mit unserem Heer und schätze es, dass es da eine Organisationsstruktur gibt, die sich in Krisenzeiten bewiesen hat. Was wir allerdings sicher nicht brauchen, ist dieses pseudomilitärische Gehabe – der Zauber der Montur zieht Gott sei Dank nicht mehr, das hat sich für meine Generation nachhaltig entzaubert und ich hoffe, das hält auch in den nächsten Generationen noch an. Das Bundesheer soll das machen, wofür wir es brauchen und sich neuen Herausforderungen stellen. Für die Bekämpfung digitaler Gefahren braucht man keinen Tarnanzug und kein Sturmgewehr. Und für eine Pressekonferenz genügt ein schlichter Anzug – Kompetenz muss sich anders beweisen, als durch Camouflage, oder auf Deutsch – tarnen und täuschen.
Den Höhepunkt des Versuchs, Inhalte durch Werbung und Öffentlichkeitsarbeit zu ersetzen hat unsere Politik während der Kurz-Zeit erreicht. Aber die jungen Männer rund um den Kanzler waren nicht die Erfinder dieser Camouflage-Strategie. Schon lange hat die Werbeindustrie und PR-Maschinerie die Herrschaft über Politik und Wirtschaft übernommen und Machtgelüsten und der Profitoptimierung einen gefälligen Tarnanzug verpasst. Sogar in NGOs hat die Öffentlichkeitsarbeit mehr Gewicht als ernsthafte inhaltliche Information. Man kann das sehr deutlich z.B. bei der Werbung für „Licht ins Dunkel“ sehen. Durch die Machtergreifung der Werbe- und PR-Abteilungen und der externen Berater wird nur mehr das gesagt, was von diesen selbsternannten Experten abgesegnet wurde. Sie, deren Aufgabe die Vermarktung ist, sind natürlich am besten beim Verkauf ihrer selbst. Viele beugen sich deren vorgeblicher Autorität. Jene, die berechtigte Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieser Verkäufer von Politik und Wirtschaft haben, sind allerdings gefährdet, alles in Frage zu stellen, auch die Glaubwürdigkeit ernsthafter Experten und Expertinnen. Diese werden in einen Topf mit den vermeintlich professionellen Verführern aus Werbung und Öffentlichkeitsarbeit geworfen. Noch dazu, wo der Einfluss derer, die vorgeblich wissen, wie Dinge „verkauft“ werden müssen, an niemandem spurlos vorübergeht.
Was ich mir für´s Neue Jahr wünsche, sind weniger gecoachte Medienauftritte von Politikern und Politikerinnen. Denn ich möchte erkennen können, wer diese Person wirklich ist, abseits von textiler und verbaler Camouflage. Es stimmt ja nicht, dass die Menschen stromlinienförmige Roboter sehen wollen, Bruno Kreisky würde auch heute noch ankommen, der sagte von sich, Conrad Ferdinand Meyer zitierend: "Ist nichts Gravierendes, aber doch störend."
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.