Glauben und Wissen
Zwar relativierte sie diese Aussage selbst ein wenig, indem sie zugab, dass Wissenschaft Fehler macht. Sie führt diese Fehler allerdings auf schlechte Wissenschaft zurück und negiert dabei, dass diese Profession immer eine Lernende ist, deren Fortschritt oft gegen herrschende wissenschaftliche Standards durchgesetzt werden musste. Auch unterschiedliche wissenschaftliche Meinungen zum gleichen Thema sind üblich. Wenn man die Ökonomie als Wissenschaft anerkennt, so sind deren Vertreter, die z.B den Nobelpreis für ihre Leistungen bekommen haben, ganz konträrer Ansicht über das Funktionieren der Wirtschaft. Auch wie die Klimakrise bekämpft werden soll, ist unter Fachleuten nicht unumstritten. Da gibt es jene, die auf technische Lösungen setzen und die anderen, die überzeugt davon sind, dass es grundlegendere Veränderungen braucht.
Trotz aller unumstößlichen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es vieles, was immer wieder korrigiert werden muss. In der Pandemie betraten auch die wissenschaftlich arbeitenden Menschen Neuland und haben seit 2020 viel gelernt und ihre Meinung öfters ändern müssen. Dennoch ist es ein ziemlich gesichertes Wissen, dass die Forschung bei der Entwicklung der Impfstoffe Grandioses geleistet hat und uns derzeit die Impfung vor einem Überhandnehmen der Ansteckungen und vor schweren Verläufen schützt. Dabei sind allerdings ganz hausbackene Vorsichtsmaßnahmen, wie Hygiene und Abstand halten, unterstützende hilfreiche Hausmittel. Wenn eine wirksame medikamentöse Behandlung gefunden wird, haben wir vielleicht größere Spielräume.
Aber wer von uns wissenschaftlichen Laien weiß wirklich über die komplizierte Wirkungsweise der diversen Impfstoffe Bescheid? Wissenschaftsjournalistinnen bemühen sich redlich, aber es wäre doch vermessen zu denken, das, womit sich hochqualifizierte Fachleute jahrelang auseinandersetzen, könnten wir mit ein paar erklärenden Sätzen wirklich verstehen. Was nottut, ist das Vertrauen in diese Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Und damit schließt sich der Kreis. Denn Wissen und Glauben können wir nicht gegeneinander ausspielen. Wir müssen den vielen seriösen Wissenschaftlerinnen und denen, die ihre Ergebnisse ernsthaft kontrollieren, glauben. Das tun leider derzeit viele Menschen nicht – und das ist das Problem. Es geht meiner Meinung nach viel weniger um mangelndes Wissen, als um verlorenes Vertrauen. Denn wie ein Computer funktioniert, wissen die meisten Menschen auch nicht, dennoch benutzen sie diese Technologie, die tief in ihr persönliches Leben eingreift und ihre Freiheit in hohem Maße begrenzt. Wir müssen uns an die digitalen Regeln halten, sonst funktioniert das System nicht. Aber wieso haben so viele Menschen Probleme, die durch die Pandemie vorgegebenen Regeln zu akzeptieren?
Dieser Vertrauensverlust in die staatlichen und wissenschaftlichen Autoritäten ist schleichend passiert. Da haben Medizinökonomen versucht, ein technokratisches Gesundheitssystem zu implantieren, wo es vorwiegend darum geht, sich mit Fallzahlen, Bettenauslastung und effizienzsteigernden Abläufen auseinander zu setzen. Das Pflegepersonal hat vorgegebene Arbeitsschritte einzuhalten, bei denen für heilende Zuwendung weder Zeit noch Raum ist.
Allgemeinmedizinerinnen könnten von ihrer Arbeit kaum leben, wenn sie sich die Zeit für ihre Patienten und Patientinnen nehmen würden, die diese brauchen. Da wurde ein Wirtschaftssystem hochgehalten, in dem jeder Mensch nach seinem eigenen Vorteil streben soll und das wird als die große Freiheit propagiert. Dafür muss man allerdings Konsumentinnen und Konsumenten, mit jedem Bildungsprogramm in den Medien auch ein gerüttelt Maß an Werbung aufzwingen. Da werden Sozial- und Geisteswissenschaften als in ein Korsett des Messbaren und Berechenbaren gezwängt. Da gibt es in allen Care-Berufen zu wenig Personal. Da werden von Politikerinnen und Politikern belanglose Phrasen gedroschen, um nicht angreifbar zu sein und um den Machterhalt zu sichern. Da können alle Menschen sehen, wie die Pharmaindustrie zur Entwicklung des Impfstoffs viel Steuergeld erhält, damit Riesengewinne macht und keine Einschränkung ihrer Patentrechte hinnehmen möchte. Da kann man in vielen Medien redaktionelle Berichterstattung von PR nicht mehr unterscheiden. Das Ergebnis ist, dass viele Menschen den herkömmlichen Autoritäten nichts mehr glauben wollen. Die Frage einer durchaus nicht dummen Zeitgenossin: „Du vertraust noch dem ORF?“ ist symptomatisch dafür. Dass sie allerdings den rein kommerzgetriebenen digitalen Medien und ihren Vertriebskanälen Vertrauen schenkt, ist ziemlich skurril. Verständlich allerdings ist die Skepsis den herrschenden Autoritäten gegenüber. Da würde es schon helfen, wenn bei den öffentlichen Äußerungen die Verantwortung tragenden ein wenig Selbstkritik und Bescheidenheit durchkäme.
Renee Schroeder hat schon recht, wir sollten alle mehr wissen. Allerdings weniger über naturwissenschaftliche Spezialerkenntnisse, sondern mehr über naturwissenschaftliche und gesellschaftspolitische Zusammenhänge. Das was unsere Gesellschaft derzeit ins Wanken bringt, ist nicht das mangelnde naturwissenschaftliche Wissen, sondern der mangelnde Glaube daran, dass die, die das Sagen haben, es gut mit uns meinen.
Weil gerade Weihnachten ist, ein kleiner Exkurs in die Religion. Es ist historisch wissenschaftlich fraglich, ob Jesus in Bethlehem geboren ist, es ist fraglich, ob die drei Weisen aus dem Morgenland den Weg dorthin gefunden haben und ob die Hirten jene waren, die das Wunder von Christi Geburt als erste erkannten. Aber ich glaube zu wissen, dass die Botschaft von der Geburt in Bethlehem und die Erzählung der Gotteserfahrung der ausgegrenzten Hirten und der weisen Wissenschaftler, den Gang der Geschichte verändert haben und daraus Menschen seit mehr als 2000 Jahren wider jede Hoffnung, Hoffnung schöpfen.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.