Gespenstisch
In meiner kurzen beruflichen Tätigkeit in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, hatte die kleine Importfirma, in der ich arbeitete, die Einrichtung von Zollfreilagern dazu genutzt, Waren bis zum Verkauf dort zu lagern, damit der Zoll und die Steuern erst vom endgültigen Käufer bezahlt werden mussten. Diese Idee der Exterritorialität solcher Lager mag immer schon ein wenig hinterfragenswert gewesen sein, derzeit wird sie allerdings vollkommen pervertiert. Da steht z.B. in Genf ein riesiger Bunker, von dem niemand weiß, was dort alles gelagert wird, allein zu dem Zweck, wertvolle Kunstwerke vor dem Zugriff der Finanzbehörden zu verstecken. Reiche Menschen horten heutzutage nämlich Kunstwerke, nicht um sich daran zu erfreuen, ganz im Gegenteil, sie entziehen sie den bewundernden Blicken und lagern sie in dunklen Tresoren ganz allein zum Zweck der Geldanlage und Wertsteigerung. Die Kunstwerke sind für sie nur insofern interessant, als sie durch deren Kauf Vermögensbesitz verschleiern und dem Zugriff der Steuerbehörde entziehen können. Je mehr das Bankgeheimnis löchrig geworden ist, umso interessanter wird der unregulierte Kunstmarkt für Menschen, die enorm reich sind, diesen Reichtum aber möglicherweise kriminellen oder grenzwertigen Quellen verdanken. Das riesige Genfer Zollfreilager dürfte eine Pionierfunktion auf diesem Gebiet haben, aber mittlerweile gibt es solche zumeist von Kunstspeditionen betreute Lager in einschlägig bekannten Steueroasen aber auch in Deutschland, und Österreich.
Was in diesen Bunkern lagert, weiß niemand, gewiss ist nur, dass es sich um enorme Vermögenswerte handelt und auch die Eigentümer des Lagerguts werden mittels diverser Konstruktionen verschleiert.
Mit Wehmut denkt man da an die vermögenden Kunstsammler früherer Zeiten. Nicht, dass damals alles so transparent und seriös zugegangen wäre. So mancher Kunstmäzen hat sein Vermögen ausbeuterischen Aktivitäten zu verdanken, dennoch sammelten sie Kunst, weil sie diese liebten. Welch andere Welt, in der wir jetzt leben. Da wird das, was Künstler in vielen Jahrhunderten geschaffen haben, was ihre Genialität der Menschheit geschenkt hat, in Bunkern vor der Öffentlichkeit versteckt. Ihre Eigentümer sind einzig und allein am finanziellen Wert interessiert, den sie durch diese Vorgangsweise noch zu steigern glauben.
Dies ist die perverseste Form dessen, was wir bei genauem Hinsehen überall erleben können. Da werden Häuser gekauft, nicht damit Menschen darinnen wohnen können, sondern nur, weil ihr Wert voraussichtlich steigen wird. Da wird Ackerland nicht von Bauern erworben, sondern von Investoren in Erwartung von großen Renditen. In dieser Sendung offenbarte sich mir auch, dass in diese dunklen Verließen auch kostbarer Wein auf seine „Wertsteigerung“ wartet. Wer den dann jemals trinkt, spielt keine Rolle, er dient einzig der Spekulation. Das ist gespenstisch, angesichts der Tatsache, dass unser Klima kippt, dass eine Pandemie unser Leben massiv verändert und viele Menschen weltweit vor Armut und Elend fliehend, sich auf den gefährlichen Weg in die Festungen des Kapitalismus machen.
Manche sagen, angesichts der Tatsache, dass ein ganz kleiner Teil der Menschheit es zu unvorstellbarem Reichtum gebracht hat, der Kapitalismus wäre vom Feudalismus abgelöst worden. Es gibt eine Ansammlung von Besitz in den Händen von ganz wenigen Menschen, die wir uns nicht einmal in unseren kühnsten Träumen vorstellen können. Die weltweit aus dem Boden sprießenden Bunker der steuerfrei gelagerten Kunstwerke sind nur die Spitze eines Eisbergs. Die Vermögenskonzentration erreicht eine neue Dimension. Denn die Feudalherren vergangener Zeiten, haben ihren Reichtum vor allen zur Schau gestellt, Schlösser gebaut und sich selbst Kulturdenkmäler gesetzt. Ja, es gibt sie auch heute, die Mäzene, die Museen, Festivals und den Sportbetrieb finanzieren. Österreichs reichster Unternehmer sponsert Sportvereine und besitzt Medien. Das Sportsponsoring dient allerdings vorwiegend dazu, sein Aludosen-Aufputschmittel zu bewerben und seine Medien dazu, in Folklore eingebettet, seine unsolidarischen Ideologien zu verbreiten. Als ich einmal einer Politikerin sagte, dass ich es für höchst gefährlich halte, dass in Österreich ein Glücksspielkonzern so viel Macht hat, entgegnete sie mir, aber dieser Konzern wäre doch so sozial und kulturaffin. Sie hatte kein Sensorium dafür, dass sich da reiche Menschen durch vermeintliche Wohltätigkeit die Republik kaufen wollen. Es ist die Frage, wer gefährlicher für die Demokratie ist, diese weltweit das Kultur- und Sportleben beherrschenden Mäzene, oder die neuen Herren der Welt, die kein anderes Interesse haben, als immer mehr wertvolle Güter zu besitzen, für die sie keinerlei Verwendung haben. Besser als die Bezeichnung Feudalismus, trifft es Martin Schürz, der von Überreichtum spricht. Diese überreichen Menschen steuern Politik, Kultur, Medien, das gesamte öffentliche Leben und zahlen vergleichsweise sehr wenig Steuern.
Angesichts dieser Tatsache erscheint mir das Gezerre um Vermögens- und Erbschaftssteuern höchst einfältig. Niemand in der Politik, der zur Gestaltung des öffentlichen Lebens, des Gesundheitswesens, der Bildung, der Pflege und auch der Integration von Zuwanderern finanzielle Mittel braucht, kann ein Interesse an diesen ungeheueren Reichtumskonzentrationen haben. Wieso alle Staaten dem tatenlos zuschauen, hat nichts mit Vernunft, aber alles mit der Ideologie von selbstregulierenden Märkten zu tun. Die Zollfreibunker, die weltweit aus dem Boden wachsen, sind ein weiterer Beweis dafür, dass diese Selbstregulierung eine Illusion ist. Ich kann nicht glauben, dass politisch tätige Menschen, die Interesse an der Zukunftsfähigkeit unseres Planeten haben, so naiv sind und die Gefahr der ungezügelten Vermögensverschiebung, die unsere Demokratien ins Wanken bringen kann, nicht sehen. Es braucht Regeln, die diesen feudalen Überreichtum zähmen, zum Wohle unserer demokratischen Gemeinwesen.
Ist da jemand, der das angeht?
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.