Grüße aus Absurdistan
Leider haben wir nur EINE Erde zur Verfügung.
Vor vierzig Jahren, 1981, fiel der Welterschöpfungstag noch auf den 11. November, zehn Jahre später, 1991, auf den 9. Oktober. 2001 auf den 21. September und vor zehn Jahren auf den 3. August. 2019 fiel er erstmalig schon auf den 29. Juli; im Vorjahr – coronabedingt – auf den 22. August.
Nach Angaben von overshootday.org machen CO2 Emissionen etwa 60 Prozent des globalen ökologischen Fußabdrucks aus. Eine Reduktion dieser Emissionen um die Hälfte könnte diesen Tag um drei Monate nach hinten verschieben.[1]
Entsprechende Maßnahmen sind dringend geboten. Die jüngsten Katastrophen, die nun auch die Industrienationen heimsuchen, sollten Warnsignale sein. Überflutungen, Vermurungen in Deutschland und Österreich, immer extremere Regenfälle und Unwetter; Hitzeperioden von bisher unvorstellbarem Ausmaß in Kanada, den USA, Russland führen zu kaum zu bewältigenden Waldbränden.
Die Wissenschaft hat längst bestätigt, dass der CO2-Ausstoß den Temperaturanstieg und damit die Wetterveränderung bewirkt. Dass Bodenversiegelung und Individualverkehr wesentlich zu den CO2-Emissionen beitragen, ist ebenfalls unbestritten.
… und was EntscheidungsträgerInnen aus Politik und Wirtschaft dazu meinen
Seltsam irrational nehmen sich in diesem Zusammenhang die jüngsten Aussagen einiger PolitikerInnen aus:
„Ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass unser Weg zurück in die Steinzeit sein sollte. Ich halte weder von der ständigen Politik des erhobenen Zeigefingers noch von Fantasien, dass man irgendwie leben könnte wie im vergangenen Jahrhundert.“ Bundeskanzler Kurz anlässlich der Diskussion um den Bau der Schnellstraße S18 in Vorarlberg.[2]
„Wenn Verkehrsprojekte über Jahre geprüft und dann eben auch bewilligt sind, dann glaube ich, gilt es auch hier ein entsprechendes Rechtsverständnis an den Tag zu legen.“ Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger zu ebendieser Frage[3]
„Als Industrie sehen wir uns klar als Ermöglicher der Klimatransformation. Um die dafür notwendigen massiven Investitionen bewerkstelligen zu können, müssen jedoch – abseits der zum Teil vorgesehenen Finanzierungsunterstützungen – einseitige Belastungen für die europäische Industrie unbedingt vermieden werden“. [4] Georg Knill, Präsident der österr. Industriellenvereinigung, warnt vor einer Mehrbelastung der Schlüsselindustrie
„Weil jetzt ein solcher Tag ist, ändert man nicht die Politik.“ [5] Kanzlerkandidat Armin Laschet anlässlich der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen.
Klimaschutz Ja, aber…
- nur, wenn es keine Wettbewerbsnachteile gibt,
- nur, wenn die Belastungen für die Landwirtschaft nicht zu hoch werden,
- nur, wenn der Tourismus nicht darunter leidet,
- nur, wenn die Interessen der Baulobby, der Wirtschaftskammer, der Parteien, der der AutofahrerInnen, (usw., usw….) berücksichtigt werden.
Schnellstraße S 18, Wiener Neustadt – Ostumfahrung, der Lobautunnel, gepusht von einer bizarren Allianz aus SPÖ, ÖVP, FPÖ, Wirtschaftskammer und ÖAMTC. Auch der Bundeskanzler tritt für dieses 16 Jahre alte Vorhaben ein. Kurz ist "sehr optimistisch, dass sich der Hausverstand durchsetzen wird". [6]
Straßenbauprojekte sollen also weitergeführt werden, als ob sich in den letzten 16 Jahren (siehe das Datum des Welterschöpfungstages) nichts verändert hätte, als ob Österreich nicht schon jetzt im Verhältnis doppelt so viele Kilometer Straße als Deutschland hätte, als ob wir nicht Weltmeister im Versiegeln von Grünflächen wären, als ob der Straßenverkehr nicht einer der Hauptverursacher von CO2-Emissionen wäre.
In der Tat könnte man die berechtigte Frage stellen, WER da in die Steinzeit zurück will.
Welterschöpfungstag 2021 am 29. Juli: und das mitten in der Urlaubssaison, die wir ja so fröhlich und unbeschwert genießen: Ein Sommer wie damals, endlich zurück in der „alten Normalität“ mit PKW-Staus an den Grenzen und Flugreisen in die Ferne. Klimaschutz, ja bitte, aber nicht, wenn wir uns irgendwie einschränken müssen. Wie der Bundeskanzler jüngst versicherte, ist es sowieso der falsche Weg zu glauben, dass wir das Klima dadurch retten können, dass wir uns im Verzicht üben. Innovation und Technologie seien der einzig richtige Zugang [7]– so lautet jedenfalls das Evangelium nach Kurz. Wer’s glaubt, wird selig (oder doch nicht?)
Klimaschutz und Generationengerechtigkeit
Der Welterschöpfungstag sollte uns – angesichts der gegenwärtigen Klimaereignisse – zu denken geben und uns aufwecken aus der Sommerseligkeit. Es braucht einen nachhaltigen und fundamentalen Wandel unseres Wirtschafts- und Finanzsystems, um ein gutes Leben weltweit und für die kommenden Generationen zu sichern. Und es wird kein „weiter so“ in der „alten Normalität“ geben.
Am 29. April dieses Jahres fällte der deutsche Bundesgerichtshof ein richtungsweisendes historisches Urteil, nachdem 9 junge Menschen gegen das Klimaschutzgesetz der deutschen Bundesregierung Klage erhoben hatten.
„Das Klimaschutzgesetz ist unvereinbar mit den Grundrechten vor allem der jungen Generation. Generationengerechtigkeit wird somit auf höchster juristischer Ebene als ein zentrales Motiv für effektiven Klimaschutz anerkannt, denn es „darf nicht einer Generation zugestanden werden, unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde“. Die CO2-Reduktion muss bis 2030 viel rigoroser und schneller passieren, damit nicht in den Jahren nach 2030 eine massive Reduktion notwendig wird, durch die die Freiheitsrechte der jungen und zukünftigen Generation massiv eingeschränkt werden würden. [8]
Das Leben auf Kosten unserer Kinder und Enkelkinder steht im Widerspruch mit deren Grundrechten. Erstmals wird der Begriff „Generationsgerechtigeit“ im Zusammenhang mit Klimaschutz betont.
Und: Nein, nur mit Technologie wird es nicht gehen. Wir brauchen einen grundlegenden Werte- und Bewusstseinswandel, damit Schöpfungsverantwortung und Generationengerechtigkeit nicht als leere Schlagworte verkümmern.
Vielleicht haben wir ja doch ein wenig aus den Corona-Lockdowns profitiert. Vielleicht achten wir mehr auf unseren Konsum, unser Freizeitverhalten, unseren Umgang mit Energie und Ressourcen:
Weil Lebensqualität und Lebensfreude halt nicht nur davon abhängen, möglichst weit weg zu reisen, möglichst exotische Nahrungsmittel zu genießen und möglichst oft neue Kleider, Mobiltelefone, Autos oder sonstige Gebrauchsartikel einzukaufen – ohne danach zu Fragen, auf welche menschenunwürdige Weise und mit welchen Umweltschäden sie produziert wurden.
Weil Verzicht auf der einen Seite auch einen Gewinn auf der anderen Seite bringt und
Weil wir verantwortlich sind für die Erde, für die Menschen und für alle Geschöpfe, mit denen wir diesen Planeten zu teilen haben – vor allem für die, die nach uns kommen werden.
Und übrigens:
Am 1. September feiern die Kirchen den Schöpfungstag. Sie mahnen unsere Verantwortung ein und fordern zum konkreten Handeln auf!
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.
[1]https://www.overshootday.org/
[2]https://www.sn.at/panorama/klimawandel/kurz-will-klimawandel-ohne-verzicht-bekaempfen-kein-weg-zurueck-in-die-steinzeit-106918420
[3]https://kurier.at/politik/inland/koestinger-bei-der-klimakrise-ist-ideologisches-denken-hinderlich/401454961
[4]https://www.iv.at/de/themen/infrastruktur-transport-ressourcen-energie/2021/industrie-blickt-mit-sorge-auf-vorschlage-des-fit-55-eu-klimapak/
[5]https://www.tagesspiegel.de/politik/laschet-laviert-in-der-klimafrage-weil-jetzt-so-ein-tag-ist-aendert-man-nicht-die-politik/27427218.html
[6]https://www.derstandard.at/story/2000128097239/der-kampf-der-maechtigen-allianz-um-den-lobautunnel
[7]https://www.sn.at/panorama/klimawandel/kurz-will-klimawandel-ohne-verzicht-bekaempfen-kein-weg-zurueck-in-die-steinzeit-106918420
[8]https://www.iass-potsdam.de/de/blog/2021/05/bundesverfassungsgerichtsurteil-zum-klimaschutzgesetz