Corona – die Zähmung
Nun ist es also so weit, Corona hat bei uns auf der nördlichen Hemisphäre seinen größten Schrecken verloren. Impfungen, Teststrategien und von der Krankheit genesen, das ist das Fundament, auf dem sich wieder ein gesellschaftliches Leben aufbauen lässt. Wie früher? Nein, so wird es noch lange nicht sein und die Gefahr, dass aus armen Ländern, die ihre Bevölkerung noch kaum impfen konnten, wieder neue Varianten eingeschleppt werden, ist groß.
Wir werden mit dieser latenten Bedrohung leben müssen, die Rückkehr zur Bussi-Buss-Gesellschaft wird es länger nicht mehr geben – was viele nicht wirklich bedauern. Wir werden neue Rituale im Umgang miteinander einüben und hoffentlich von diesem unsäglichen Reiben der Ellbogen aneinander wieder abkommen – mir scheint das ja als Symbol unserer Ellbogengesellschaft und es ist kein Wunder, dass Boris Johnson beim G-7 Treffen diese Grußform so eindringlich propagierte. Da gefällt mir das indische Namaste schon viel besser und das japanische Verbeugen voreinander hat auch was.
Dennoch, Alltagsgefühle stellen sich ein und die Fußballeuropameisterschaft beginnt. Als alter Mensch maße ich mir keine Kritik an jenen an, die dort anknüpfen wollen, wo 2020 die Pandemie alles auf den Kopf gestellt hat, aber dennoch, ich finde es traurig, dass es jetzt wieder einen Run auf die Ferienflieger gibt und die vorjährige Erfahrung mit der Qualität von Sommerfrische – die ja heuer wirklich frisch ist –anscheinend nicht zu nachhaltigen Veränderungen geführt hat.
Die Veränderungen, die sich im Rahmen der Jugendkultur zeigen, nämlich die Eroberung des öffentlichen Raums ohne Konsumzwang, wollen allerdings viele wieder rückgängig machen. Wo kommen wir denn hin, wenn sich da junge Leute vielleicht angewöhnen, miteinander Spaß zu haben, ohne in Clubs teuer dafür bezahlen zu müssen? Natürlich braucht es für diese neue Form der Jugendkultur Regeln, aber die sind mit rigorosen Polizeieinsätzen nicht durchzusetzen, sie führen nur zu einer gefährlichen Ablehnung staatlicher Institutionen. Es gibt doch geschulte Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die ausuferndes Chaos eindämmen und nachhaltig Bewusstsein schaffen können – wozu haben wir denn die großen Fachhochschulen für soziale Arbeit. Jede Jungschargruppenleiterin beherrscht Strategien zur Vereinbarkeit von Spaß und Regeln.
Einige Veränderungen werden aber nicht rückgängig zu machen sein. Die vielen unnötigen internationalen Meetings werden reduziert werden, es geht auch anders. Der unkompliziertere Zugang zu Leistungen der Krankenkassen wird hoffentlich beibehalten. Das Thema Pflege muss vorrangiges politisches Thema werden, da werden die Betroffenen nicht locker lassen.
Rückgängig gemacht werden muss allerdings die verstärkte Vielfachbelastung von Frauen. Bei dieser Gelegenheit könnte man gleich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie von Männern und Vätern angehen.
Viel zu tun für alle, die in unserer Republik Verantwortung tragen. Aber die sind mit anderem beschäftigt. Wie die kompromittierenden Chats der höchsten „Opinion-Leader“ unseres Landes beweisen, geht es da vor allem um das Verteilen von Pfründen und um das Absichern von Seilschaften.
Die Sicherstellung von Diensthandys des führenden politischen, juristischen und ökonomischen Personals lässt tief blicken. Aber eigentlich braucht es dazu nur einen sehr seichten Blick auf die unsägliche Oberflächlichkeit und Dünkelhaftigkeit dieser Leute. Das Beherrschen und manische Nutzen der Fäkalsprache hätte man so auch nicht erwartet. Wie kindisch ist unser Führungspersonal, wenn es sich mittels Emojis seine Zuneigung und Stärke bestätigt?
Entlarvend und ernüchternd war allerdings auch, dass die interimistische Nachfolgerin von Thomas Schmid so nebenbei äußerte – solche Chats hab ja wohl jeder auf seinem Handy. Wenn sie das ernst meint, dann ist auch sie fehl am Platz.
Statt großer Empörung, macht sich allerdings auch andernorts eine zynische Sicht auf die Ereignisse breit. Man hat es eh schon immer gewusst, dass alle gleich und eigentlich Verbrecher sind. Nein, stimmt nicht, es sind nicht alle gleich, es gibt auch viel Anstand und Engagement in der Politik, bei Wirtschaftstreibenden und in der Justiz. Aber der Magen jener, die vorgeblich christlich sozial sind und dieses Treiben noch immer stützen, muss ziemlich belastbar sein. Da sagt der Landeshauptmann der Steiermark, dass er sich seinen jungen Kanzler nicht herausschießen lässt und betont gleichzeitig, wie unerträglich für ihn die Chats wären, in denen der Sekretär der Bischofskonferenz verhöhnt wird. Aber hat in diesen Chats nicht der juvenile Kanzler zur Bestärkung dieser Vorgangsweise belohnend geschrieben: „Super, Vollgas geben!“ Da herrscht schon sehr selektive Wahrnehmung vor und der Landeshauptmann muss wohl zusätzlich zu seinen beiden Augen noch alle Hühneraugen zudrücken, wenn er sein großes Vertrauen in den Kanzler betont.
Aber statt dieses empörende Sittenbild aufzuarbeiten, beschäftigen sich die Medien zunehmend damit, was öffentlich ist und was privat bleiben muss. Da machen sich Leute Sorgen um den Schutz der Privatsphäre, für die Lauschangriffe und ähnliches durchaus vorstellbar sind, nur weil es diesmal die Mächtigen im Land betrifft.
Einer unserer alten Freunde sagte immer, wenn hitzige Diskussionen zu entgleisen drohten: „Meinst du das privat oder politisch?“ Diese Floskel war blödelig gemeint und dazu angetan, uns wieder auf den Boden der Realität zurückzuführen. Denn wie wir seit der zweiten Frauenbewegung wissen: das Private ist politisch und umgekehrt.
Für mich steht fest, schriftliche Konversationen des Führungspersonals der Republikauf dem Diensthandy, die von gesellschaftlicher und politischer Bedeutung sind, können nicht privat sein. Das ist alles nicht nur so dahin gesagt, das ist schriftlich festgehalten und man darf auch von einem Verantwortungsträger der Republik verlangen, dass er sein Gehirn einschaltet, bevor er in sein Diensthandy tippt. Dieser achtlose Umgang mit Sprache, das Abwerten von Menschen, der Dünkel von sich als etwas Besonderem, das Mauscheln und der Missbrauch der Justiz, das Erschleichen von hohen Ämtern und das Denunzieren missliebiger Kolleginnen und Kollegen offenbart ein armseliges und von Ethik befreites Sittenbild. Solche Menschen will ich nicht an der Spitze unseres Staates haben. Bedrückend ist nur, dass noch immer ca. 30% der Bevölkerung das goutieren. Ob daran ein allgemeiner Ethikunterricht etwas ändern würde?
Mit diesem blog beende ich mein Pandemie-Tagebuch. Allerdings werde ich mich weiter zu Wort melden, wenn mich was nicht ruhen lässt. Ich hoffe sehr, dass ich im Herbst nicht eines schlechteren belehrt werde und dieses unsägliche Krönchen, das die Schöpfung so durcheinander bringt, nicht nochmals zuschlägt.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.