Das „Pickerl“ für die Lieferkette
Die Mechaniker/innen haben Handbücher, die ihnen genau vorgeben, was bei welchem Mangel zu tun ist. Sie wissen auch, dass sie in ernsthafte Probleme geraten können, wenn sie einem mangelhaften Fahrzeug das „Pickerl“ mit zugedrückten Augen doch geben.
Wenn die Bremsen versagen oder Öl ausläuft und jemand zu Schaden kommt, dann sind sie dran und landen vor Gericht. Die Überprüfung ist sinnvoll und notwendig, denn schließlich geht es um Menschenleben!
Apropos Menschenleben: Im Jänner 2019 brach der Rückhaltedamm einer Eisenerz-Mine in Brumadinho im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais. Die Schlammlawine tötete 272 Menschen. Viele gelten noch als vermisst. Der Paraopeba-Fluss ist für Jahrzehnte verseucht.
Der Bericht unserer Partnerorganisation Clínica de Direitos Humanos zeigt deutlich auf, wie deses Desaster Kinder traumatisiert hat und ihr gesundes Aufwachsen dauerhaft schädigt. Oder wenn Kinder zu Millionen auf Kakao-Plantagen in Westafrika schuften und nicht zur Schule gehen, wenn sie für Schoko-Produkte, die auch in unseren Supermarktregalen landen, ausgebeutet werden und schwere Arbeiten verrichten, die ihrer Gesundheit schaden, dann geht’s auch um Menschenleben!
Menschen kommen zu Schaden, weil weder die Sicherheit der Dämme in Brasilien noch die Arbeitsbedingungen in der Kakaoproduktion in Ghana anständig und genau überprüft werden. Sie haben – im Gegensatz zu meiner Vespa – kein „Pickerl“ – und niemand haftet dafür.
Das ist der Grund warum zurzeit in ganz Europa sogenannte Lieferkettengesetze diskutiert werden. Mit der Einführung von menschenrechtlichen und ökologischen Sorgfaltspflichten sollen Unternehmen nunmehr drauf verpflichtet werden, Verantwortung für ihre Produkte entlang der ganzen Lieferkette zu übernehmen.
Sie sollen Missstände beheben und wenn durch ihr Zutun oder Unterlassen jemand zu Schaden kommt, auch zu Wiedergutmachung verpflichtet werden. Wenn in der Debatte um ein Lieferkettengesetz in Deutschland Wirtschaftsminister Altmaier betont, dass ein solches Gesetz keine oder nur minimale „Belastungen“ für die Wirtschaft bringen darf, so muss uns das hellhörig werden lassen. Ja, jene Unternehmen, die sich schon bisher freiwillig engagiert und Schritte gesetzt haben, ihre Lieferketten in Ordnung in Ordnung zu bringen, müssen einen Vorteil haben, bisher untätige sollen Druck zum Handeln bekommen.
Ein reines „Win-Win“ wird’s wohl nicht werden. Missstände zu beheben, Standards zu heben und Ausbeutung abschaffen, wird auch etwas kosten und einer Anstrengung bedürfen. Ein gutes Lieferkettengesetz kann hier einen wichtigen Beitrag leisten. Und ja, es wird auch nerven - wie auch das jährliche „Pickerl“. Aber schließlich geht es um Menschenleben! Dass wir Menschenleben hierzulande und anderswo gleich gewichten, ist eine Frage der Humanität und darf kein abwägbarer Kostenfaktor sein.
Bitte unterstütze unsere Aktion „Du hast es in der Hand - gemeinsam Kinderarbeit stoppen“. Werde Teil einer großen gemeinsamen Mosaik-Wand, teile symbolisch deine Hand gegen Kinderarbeit und fordere damit die Politik zum Handeln auf. Mit Lieferkettengesetz kann wirksam gegen ausbeuterische Kinderarbeit und andere Kinder- und Menschenrechtsverletzungen vorgegangen werden.
Sigrid Kickingereder
Bundesgeschäftsführerin der Katholischen Jungschar Österreichs
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.