Haltet zusammen und lasst euch nichts gefallen!
1. bis 6. Februar
An der nicht genehmigten Demonstration gegen die Corona-Richtlinien der Regierung nahmen mindestens 10.000 Menschen teil. Das ist beunruhigend, denn die dann wirklich demonstrieren und noch dazu bei einer nicht genehmigten Veranstaltung sind ja nur die Spitze eines Eisbergs der Unzufriedenen. Abgesehen vom harten Kern der Rechtsextremen, Esoteriker und QAnon Verfechter ist das in meinen Augen eine radikalisierte Mitte der Gesellschaft, die mir Angst macht.
Diese seit den 80er Jahren indoktrinierte Vorstellung, dass Freiheit darin besteht, meine individuellen Wünsche durchsetzen zu können und als Ich-AG auch mit Ellbogenmacht dafür kämpfen muss, trägt in der Krise bedenkliche Früchte. Für das Gemeinwohl eigene Ansprüche zu reduzieren, passt nicht in dieses Konzept. Aber natürlich sind unter den Demonstrierenden auch viele verzweifelt um ihre Existenz kämpfende mit enormen Zukunftsängsten.
Bedenklich fand ich die Antwort des Polizeipräsidenten, warum er diese illegale Demonstration nicht wirklich aufgelöst hat. Er meinte, es wären zu viele gewesen und auf die Frage nach dem doch sehr martialischen Vorgehen bei der Abschiebung der Kinder, gestand er ein, wenn mehr demonstriert hätten, hätte er den Einsatz absagen müssen – da muss ich ein wenig an Elias Canettis „Masse und Macht“ denken.
Anscheinend waren es dann am Montag in Innsbruck auch zu wenige, die gegen die Abschiebung der Kinder von der Polizei genehmigt demonstriert haben, denn sie wurden mit Pfefferspray „behandelt“ und eingekesselt.
Die Grünen werden von ihren Mitgliedern und von vielen Journalisten und Journalistinnen zum Austritt aus der Regierung gedrängt – was soll das bringen? Hilft das den abgeschobenen Kindern oder den Flüchtlingskindern auf Lesbos? Wer eine andere Politik durch die ÖVP wünscht, muss zuerst einmal deren Wählerinnen und Wähler umstimmen, denn die stehen mehrheitlich, so traurig es ist, nach wie vor hinter dieser verrohten Politik.
Da wird von den türkisen Regierungsmitgliedern immer wieder moniert, die Aufnahme von Flüchtlingskindern wäre Symbolpolitik. Aber was ist es anderes als Symbolpolitik, wenn der Innenminister mit Militärmaschinen Hilfsgüter nach Griechenland begleitet, die nie in den Lagern ankommen?
Übrigens ist es schaurig, was sich zunehmend rund um das BVT (Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung) offenbart. Nebenjobs in denen Kriminelle mit Informationen versorgt werden, Fluchthilfe für ebendiese durch ehemalige Mitarbeiter. Ehemalige ÖVP Kabinettsmitarbeiter im Sold des flüchtigen Wirecard-Chefs usw. Da wurde genau gegen die Regeln verstoßen, die dieses Amt schützen soll. Manchmal habe ich den Verdacht, dass die Inszenierung der Abschiebung der Kinder nur gemacht wurde, um von groben Verfehlungen auf einer viel gefährlicheren Ebene abzulenken.
Bei der Sondersitzung am Donnerstag im Parlament kamen mir vor Rührung die Tränen, als eine Abgeordnete, ein ehemaliges Flüchtlingskind, davon sprach, wie dankbar sie den Menschen in der Kirche ist, die sie und ihre Familie aufgenommen und ihnen in allen Lebenslagen geholfen haben. Wenn man bedenkt, dass sie wahrscheinlich mit den derzeit geltenden Gesetzen abgeschoben worden wäre und nicht als Nationalratsabgeordnete im österreichischen Parlament säße, kann man ermessen, wie dumm dieses Fremdenrecht ist.
Die Sondersitzung im Parlament zu beobachten, war äußerst interessant. Da werden wir von diesem Parlament dazu verpflichtet, Masken zu tragen und Abstand zu halten und was sieht man dort? Gedränge bei den namentlichen Abstimmungen und demonstrative Maskenverweigerung durch die FPÖ Abgeordneten auch beim Verlassen des Platzes und bei informellem Geplauder in den Pausen, eng beieinander stehend. Angeblich berufen sie sich da auf ihr Freies Mandat, das sie keiner Beeinflussen aussetzen darf. Also Missachtung der Vorgaben der Gesetzgebenden Versammlung durch eben diese – da wundert einen garnichts mehr.
7. bis 10. Februar
„Mander s’ischt Zeit“ – in Tirol fühlen sich sichtlich manche in ihrem Aufstand gegen die „Fremdherrschaft“, diesmal aus Wien, wie Andreas Hofer. Sie drohen mit einer Verweigerung der Vorgaben durch die Regierung, sollte Tirol strengeren Regeln unterworfen werden, als das übrige Österreich. Keine Einsicht, welch verheerende Wirkung das Handling des Ischgler Infektionsclusters, das die Krankheit über ganz Europa verstreute, am Beginn der Pandemie für ihre Reputation hatte und auch keine Einsicht darin, dass man jetzt zumindest die Südafrika-Variante, die ebenfalls wieder in Tirol ausgebrochen ist, eindämmen muss, da wir ansonsten unseren Impfstoff vergessen können. Diese selbstherrliche Tiroler Haltung ist unerträglich.
Ich erinnere mich noch, wie der Innenminister der Gemeinde Wien den Einsatz der Bundespolizei im Kampf gegen die Pandemie angedroht hatte – aber damals war ja auch Wiener Wahlkampf. Jetzt allerdings ist der Spendenfluss an die ÖVP gefährdet, wenn Kurz der „Adlerrunde“ in Tirol Einhalt geböte – drum sagt er lieber nichts und lässt Anschober im Regen stehen. Ein wirklich verlässlicher, feiner Koalitionspartner.
Ich habe so schöne Kindheitserinnerungen an Tirol und an die Tiroler. Die Ferienlager in Axams waren meine ersten größeren Ferienreisen und in der damals noch sehr kleinen Lizumalm wurden wir mageren Wiener Kinder von der Wirtin manchmal auch gratis aufgepäppelt. Diese schönen Erinnerungen will ich mir von den selbstherrlichen Tiroler Machthabenden nicht nehmen lassen. Wir Wiener Kinder waren damals, in den frühen 50er Jahren, tief betroffen vom Los Südtirols und wurden zu glühenden Andreas Hofer Verehrerinnen. Aber dieser unreflektierte Andreas Hofer Heldenmythos führt auch dazu, dass Tirol bei allem, was von außen kommt – außer es sind zahlende Touristen – die Haare aufstellt. Es scheint so zu sein, dass stolze Bergvölker dazu neigen, sich von Scharlatanen verführen zu lassen, wenn diese in ihnen die richtigen Saiten anschlagen. Die Mehrzahl der Tirolerinnen und Tiroler hat ja eigentlich ganz andere Interessen, als ihnen derzeit Politiker und Tourismus-Millionäre vorgaukeln. Nicht jene, die zu Vorsicht und Einschränkung mahnen, verspielen das Image des Landes, sondern seine uneinsichtigen und arroganten Führerfiguren, die sie alle in Geiselhaft nehmen. Welches Interesse sollte denn eine Bundesregierung haben, Tirol schlecht zu behandeln? Aber der Anti-Wien Reflex lässt sich halt allzu leicht abrufen. „Wir Tiroler gegen den Rest der Welt“ ist anscheinend allzu tief in der Tiroler Genetik verankert. Und natürlich hat es auch seine Gründe darin, dass Südtirol zum unschuldigen Bauernopfer des 1. Weltkriegs und zweier Faschismen wurde. Da vergisst man leicht, dass die gute Autonomie Südtirols weniger ihren rebellierenden Bombenlegern, sondern in hohem Maße dem politischen Geschick Bruno Kreiskys zu verdanken ist.
Der Stoß an Todesanzeigen von Freundinnen, Freunden und Kollegen ist im letzten Jahr ziemlich angewachsen. Jetzt haben wir schon weitaus mehr Menschen, die uns nahe stehen, in der unsichtbaren Welt, als in der sichtbaren. Die trennende Mauer zwischen beiden wird deshalb für uns immer durchscheinender. Jeden Abend vor’m Einschlafen mache ich deshalb einen Ausflug zu all jenen, die uns verlassen haben und hol mir die vielen guten gemeinsamen Zeiten zurück.
Das Schöne ist, es gibt da niemanden an den ich mit Groll zurückdenke. Das miteinander Feiern, einander beistehen, Diskutieren und Streiten war immer eingehüllt in einen Mantel des Wohlwollens. Dafür bin ich dankbar und auch dafür, dass ich über unsere manchmal intensiv ausgetragenen Konflikte jetzt lachen kann. Und manches Kränkende habe ich auch zu Verzeihen gelernt und hoffe, dass es den anderen genauso mit mir geht. Denn wir lernen am Ende unseres Lebens doch alle, was wirklich wichtig ist und was zählt. Monika Helfer schreibt als Schlusssatz ihres letzten Buches über ihre Familie „Wir haben uns sehr bemüht“ und das trifft auf unser Familien- und Freundesnetz auch zu. Und das erfüllt mich mit Dankbarkeit.
11. – 14. Februar
Es hat sich eine Routine eingestellt – wenn jemand aus unserer Familie testen geht, dann führt der erste Besuch danach zu uns. Das verschafft uns doch ein bisschen Teilhabe am Leben der Kinder und Enkelkinder. Nur unsere Urenkelkinder haben wir seit Monaten nicht gesehen – dabei sind sie es, die sich am allerschnellsten verändern. So sind sie derzeit nur mit nicht mehr ganz neuen Fotos, die überall herumstehen und in Telefonaten für uns gegenwärtig.
Wenn ich mir die beiden betrachte, kommt mir der Gedanke, dass sie für uns – aber ich glaube auch für Außenstehende - so etwas Besonderes sind, weil in ihrem Blut die ganze Welt zu Hause ist. Die Vorfahren unserer Enkeltochter sind eine Mischung aus brasilianischen Ureinwohnern, Europäerinnen, Afrikanern und Asiatinnen. Da unser Schwiegerenkel ein Ungar aus Rumänien ist, spannt sich die Vorfahrenkette um die ganze Welt. Und dieses reichhaltige Erbe macht in unseren Augen unsere beiden Urenkel so außergewöhnlich liebenswert, klug und schön – aber das sehen wahrscheinlich alle Urgroßeltern so. Es ist schon ein besonderes Glück, dass wir auf sechs Generationen schauen können, mit denen wir unsere Lebenszeit teilen. Und es scheint gar kein so weiter Weg von meinen Großeltern und Eltern zu sein, die ihre Lebenspartner noch im gleichen kleinen Weinviertler Dorf gefunden hatten, bis zu ihren Nachfahren ein paar Generationen später, die in sich die ganze Welt vereinen. Ich sehe das als großen Fortschritt. Deshalb ist es sinnlos, rückwärtsgewandten Utopien nachzuhängen. Das sogenannte „Autochthone“ galt allerdings immer nur für wenige und für kurze Zeit, es war nie eine geschichtliche Realität für die Mehrheit der Menschen. Auch in das kleine Weinviertler Dorf meiner Großeltern gab es Zuwanderung, oft waren es Handwerker z.B. aus Italien, die die Fässer der ansässigen Weinbauern fertigten, aber leider auch kriegerische Wanderbewegungen. Meine Mutter deutete in ihren Erzählungen die Erdhöhlen unter dem Kirchenberg als Bauwerke aus dem 30 Jährigen Krieg, gegraben zum Schutz vor den Schweden, die bis dorthin vorgedrungen waren.
Meine Generation nahm ja die Segnungen eines friedlichen und prosperierenden Lebens als Selbstverständlichkeit – aber wir sind eine glückliche Ausnahmegeneration. Solche Zeiten gab es vorher in Europa noch nie. Unsere Aufgabe und vor allem die der nachfolgenden Generationen wird es sein, in den multiplen Krisen, die zu bestehen sein werden, an diesem Frieden festzuhalten, indem wir liebevoll und menschenfreundlich bleiben, auch außerhalb unserer eigenen Blase - und dennoch widerständig auftreten, gegen alles, was diese Menschenfreundlichkeit in Frage stellt. Das ist, glaube ich, nicht naiv, sondern ein die einzige sinnvolle Strategie in schwierigen und interessanten Zeiten. Wie schon mein Großvater es zusammenfasste: „Haltet zusammen und lasst euch nichts gefallen“.
Der Schnee glitzert in der Sonne, es ist eiskalt – aber der Frühling ist dennoch schon zu riechen.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.