Neuer Stoff für die "Alpensaga"
18. – 24. Jänner
Meine Tochter hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass ihr Berufszweig der selbständigen Physio- und Ergotherapeutinnen und Therapeuten im Impfplan nicht unter den medizinischen Berufen angeführt ist und sie deshalb nicht vorrangig geimpft werden. Sie haben allerdings wesentlich näheren Körperkontakt mit ihren Patientinnen und Patienten als viele Ärzte. Dazu passt auch, dass der ärztliche Leiter der Klinik Tulln Physiotherapeutinnen zu Pflegediensten in Corona-Abteilungen verpflichten will. Da dürfte ein überkommenes Standesdenken eine große Rolle spielen. Alles nicht ärztliche Personal ist aus der Sicht dieses Mediziners anscheinend jederzeit für alle Hilfsdienste einsetzbar. In die gleiche Kerbe schlägt unser neuer Arbeitsminister wenn er meint, nicht ausgelastete Arbeitskräfte aus der Gastronomie könnten ja jetzt in der Pflege arbeiten – eine grobe Missachtung der spezifischen Anforderungen dieser Berufszweige und überhaupt der Arbeit mit- und an Menschen.
Joe Biden wurde in sein Amt als 46. Präsident der Vereinigten Staaten eingeführt – welch eine Erleichterung. Die Rahmenbedingungen waren allerdings beklemmend – ganz wenige Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Festakt – ganz viel Militär wegen der vorangegangenen Gewalttaten. Aber Biden hat das Weiße Haus sofort durchlüftet und viele von Trumps Verordnungen rückgängig gemacht. Nüchternheit und Berechenbarkeit zieht in die amerikanische Politik ein – das tut gut. Aber es ist sicher nicht ausgestanden – die 70 Millionen Trumpwähler, darunter leider sehr viele Wählerinnen, werden sich ihre Ventile zum Destabilisieren des Gemeinwesens suchen und finden.
Auch unser Außenminister Schallenberg lässt uns wieder seine große Sensibilität spüren, indem er ein Video veröffentlicht, das Wien als Ziel eines Atomangriffs zeigt, mit Atompilz, bedrohlicher Musikuntermalung und ständig wachsenden Todeszahlen - danach Wien zerstört wie Hiroshima. Damit soll uns die Bedeutung des Atomwaffenvertrags deutlich gemacht werden. Danke, wissen wir seit 1945 und auf Horrorbilder können wir derzeit locker verzichten.
Hahnenkammwochenende ohne Promi-Getöse – nur Sport. Aber welcher – die Gladiatoren, die sich da zu unserem Angst-Lustgewinn in die Tiefe stürzen, schweben während der ganzen Strecke in Lebensgefahr. Die schweren Unfälle sprechen für sich. Was ist aus diesem alpinen Naturburschen-Wettbewerb geworden? Eine Marketing- und Showindustrie mit hochbezahlten Athleten, die für Einschaltzahlen im Fernsehen und zur Ankurbelung des Tourismus und der Umsätze im Sportartikelhandel zumindest in den Speedbewerben ständig ihr Leben und ihre Gesundheit aufs Spiel setzen. Das müsste man allerdings gendern, denn schwer verletzte junge Frauen, mit den Sponsorenplakaten im Hintergrund, lächelnd vom Krankenbett ihr Comeback ankündigend, gehören auch zu diesem Alltag.
Plötzlich ist es kalt bei uns zu Hause. Die Therme hat ihren Geist aufgegeben. Meine Reparaturversuche haben nur dazu geführt, dass ich hilferufend einem geplatzten Ventil, das den Keller unter Wasser zu setzen drohte, nicht Herr (Frau?) wurde. Der herbeieilende Fawad fand dann zumindest den Verschluss für dieses Ventil und meinte zu mir nur „relax!“ Leicht gesagt. Also Sonntag und keine Heizung. Ich weiß nicht, ob das nur bei uns so ist, aber solche Schäden treten bei uns nur von Freitag Nachmittag bis Sonntag Abend auf, wo man keine Handwerker erreicht. Zumindest der 24 Stunden-Reparaturdienst konnte mir dann für Montag Abhilfe zusagen – bis dahin warm anziehen und den immer ein wenig rauchenden Kamin in Betrieb nehmen.
25. – 31. Jänner
Die Rechnung für die Reparatur der Therme war dann beeindruckend. Ich frage mich, wie Menschen mit einem begrenzten Budget mit solchen unerwarteten Kosten für unbedingt nötige Instandsetzungen zurecht kommen.
Ein Hauch von Winter in Wien. Am Morgen liegt über allem eine dünne Schneedecke – sorgt gleich für ein leichtes Stimmungshoch. Ich frage mich, ob man in den Bergregionen mit ihren Schneelandschaften und Sonnenschein statt Nebeldecke die Corona Einschränkungen besser durchhält. Scheint nicht wirklich so zu sein, denn gerade in den westlichen Bundesländern breitet sich das Virus stark aus. Vielleicht kommt die Bergler-Mentalität „Mir Naturburschen lassen uns von so was net kleinkriegen“ eine Rolle bei der Nichtbeachtung der Vorgaben. Dass aber Touristen als Zweitwohnbesitzer angemeldet werden, damit sie die offenen Schifreuden ungehindert genießen können, ist empörend. Und Schilehrerkurse sowieso. Kriegen da manche Touristiker den Hals nicht voll? Eine neue Folge der „Alpensaga“ hätte Stoff für mehrere Serien.
Zwei Frauen mit ihren Töchtern wurden unter enormem Polizeiaufwand nach Georgien und Armenien abgeschoben. Voll integrierte Schülerinnen, die ihre Muttersprachen wesentlich schlechter beherrschen als Deutsch, in Zeiten von Corona – das ist barbarisch! Proteste von Mitschülerinnen und Lehrkräften nützten nichts. Mitten in der Nacht wurden sie mit martialisch auftretender Polizeieskorte aus ihren Betten geholt. Mit solchen gewaltsamen Aktionen zerstört man leichtfertig das Vertrauen in die zivilisatorische Qualität der öffentlichen Hand. Haben wir zur Zeit nicht andere Sorgen, als Menschen abzuschieben? Bringt uns das unsere Sicherheit zurück? Damit verliert die Regierung auch viele verlässliche Bündnispartnerinnen, wenn es in diesen belastenden Zeiten um persönliche Einschränkungen und solidarisches Miteinander geht. Durch solche Aktionen werden mutwillig all jene Kräfte in unserem Land verstört, die sich für Humanität einsetzen und all jene gestärkt, die egoistisch nur an ihren eigenen Vorteil denken. Das wird sich noch bitter rächen.
Bei einer internationalen Zoom-Konferenz wurde mir wieder klar, wie privilegiert wir trotz allem sind. In vielen Ländern Afrikas gibt es deshalb so wenig nachweisbare Coronafälle, weil ganz einfach nicht getestet werden kann. Menschen sterben – aber man weiß nicht woran. Wenn Schulen geschlossen sind, gibt es kein homeschooling, sondern nichts. Mädchen trifft das besonders hart. Sie müssen sich Arbeit als Haushaltshilfen oder ähnlichem suchen, oder sie werden eben schnell verheiratet. Der Backlash, den wir auch hier spüren, hat dort unvorstellbare Ausmaße. All die ausgefeilten Papiere der EU, die für die Stärkung von Frauen in den armen Ländern wegweisend sein sollen, werden unter diesen Umständen zu Makulatur.
Die brutale Abschiebung der Kinder und ihrer Mütter hat sogar den Bundespräsidenten auf den Plan gerufen. Er hat sich in meinen Augen sehr maßvoll zu den überschießenden Polizeiaktionen geäußert, dennoch ist die ÖVP empört. Auch den Grünen scheint es jetzt zu viel geworden zu sein. Die Berufung des Innenministers auf Gerichtsurteile ist irreführend, denn es geht um humanitäre Spielräume, die immer gegeben sind.
Aber eines muss man schon sagen, die Urteile beruhen auf Gesetzen, die unter der Rot-Schwarzen Regierung verschärft wurden, um der FPÖ entgegen zu kommen. Seit Jahrzehnten wird Politik für den rechten Rand gemacht und wäre nicht Ibiza gewesen, so hätte der Kniefall vor dem Boulevard und den von diesen Medien fehlgeleiteten Menschen, nichts gebracht. Vielleicht sollte man es mal mit einer entschieden anständigen Politik probieren?
Ich weiß nicht, was sich Leute denken, die jetzt nichts anderes zu tun haben, als auf die Grünen einzuschlagen. Natürlich sehen wir alle, dass die Regierungsmitglieder und die Klubobfrau bis jetzt zu „brav“ waren. Aber in einer solch schweren Krise haben sie sich bemüht, konstruktiv zu sein und manches mit zugehaltener Nase mitgetragen, weil jede Alternative ziemlich schrecklich wäre. Ein wenig klarer können sie in Zukunft aber schon sein, denn Kurz würde auch nicht sehr gut aussehen, wenn er jetzt den bereits dritten Koalitionspartner verbrät. Außerdem haben sie gerade in der Flüchtlingsfrage mittlerweile viele ÖVPler auf ihrer Seite.
So schnell wie bei der Abschiebung der Kinder ist das Innenministerium allerdings nicht immer. Fawad hat vor einem Jahr den Antrag auf Familienzusammenführung mit seiner jungen Frau gestellt. Sie war dann noch vor dem Ausbruch von Corona in der österreichischen Botschaft in Islamabad, um ihre Papiere einzureichen – seither herrscht Funkstille beim Amt für Fremdenwesen und Asyl, trotz mehrfacher Reklamationen. Fawad hat einen Job, eine Aussicht auf eine Wohnung und ist bestens integriert. Welchen Sinn soll es haben, seiner Frau die Einreise zu verweigern, indem man ganz einfach ihren Akt liegen lässt? Wem helfen solche Maßnahmen? Sie lassen nur in vielen Menschen das Vertrauen in unseren Rechtsstaat schwinden.
Ich versuche Fawad immer wieder zu erklären, dass viele Menschen hier eben Sorge haben, dass ihre Lebensumstände durch die Einwanderer unsicherer werden. Aber ich kann nicht verlangen, dass er das versteht. Er kommt aus einem Land, in dem trotz der Verrohung durch einen vierzigjährigen Krieg, die in ihrer Kultur verwurzelte gegenseitige Hilfsbereitschaft das Überleben ermöglicht. Mit dieser Erfahrung scheinen für ihn unsere Ängste bezüglich Migration ziemliche Luxusprobleme zu sein – und sind es ja auch. Was derzeit unser Leben schwer macht, ist das Virus, das wir nicht in den Griff bekommen und die drohende Gefährdung unserer zivilen Ordnung durch Menschen am rechten Rand der Gesellschaft und all jenen, die durch die soziale, physische und psychische Überbelastung diesen Obskuranten in die Arme getrieben werden. Die USA lassen grüßen.
Aber es wird alles besser, die Sonne scheint und die Tage werden länger!
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.