Normale Zeiten in weiter Ferne
7. – 10. Jänner
Die Mutation des Corona-Virus ist jetzt auch bei uns angekommen. Gleich gefährlich aber viel ansteckender. Das macht mir Angst, weil normale Zeiten in immer weitere Ferne rücken. Wir werden uns sofort impfen lassen, wenn es möglich wird, um ein Stück Nähe zu unseren Kindern wieder möglich zu machen.
Ich habe viel Verständnis für die Regierenden, in so unklaren Zeiten können auch sie nicht wirklich Klarheit schaffen. Dennoch gibt es da Dinge, die ich nicht verstehe. Z.B. ist mir das Beamtenkauderwelsch, mit dem die Verzögerungen beim Impfen kommuniziert werden, unbegreiflich. Da haben Menschen aus lauter Angst etwas Falsches zu sagen, verlernt verständlich zu sprechen. Der Fehler des Ganzen war ja, dass da am 28. Dezember ein Showimpfen stattgefunden hat, bevor noch klar war, wie es weitergehen wird und das ist ganz einfach die übliche Marketing-Pose von Kurz und Anschober tanzte da leider mit.
Noch beklemmender als die Mutation des Virus ist allerdings die Gefahr einer Mutation der USA zu einem „Failed State“. Bilder die zeigen, wie vom amtierenden Präsidenten aufgehetzte Bürgerinnen und Bürger das Parlament stürmen, kennt man bis jetzt nur aus Ländern mit einem kaputten Staatswesen. Es gilt ja schon lange nicht mehr – und eigentlich hat es nie gegolten – dass die USA unser demokratisches Vorbild sind. Denn auch zu den Zeiten nach dem zweiten Weltkrieg, als die amerikanische Besatzung bei uns für demokratische Strukturen gesorgt hat, galt in ihrem Heimatland die Rechtlosigkeit ihrer afroamerikanischen Bürgerinnen und Bürger. Die Nachfahren der „Pilgerväter“ haben zwar für Religionsfreiheit gesorgt, aber dem Einfluss des religiösen Obskurantismus auf Politik und Wirtschaft Tür und Tor geöffnet. Die persönlichen Freiheitsrechte wurden zwar hochgehalten, aber die sozialen Menschenrechte wie das Recht auf Ernährung, Gesundheit, Bildung auf dem Altar des uneingeschränkten Kapitalismus geopfert. Statt sozialer Gerechtigkeit wird eine Mildtätigkeit in Gestalt von Charity hochgehalten. Die echte Gefahr in diesem Land geht nicht von den fehlgeleiteten kleinen Leuten aus, sondern von der machthabenden Geldelite der Republikanischen Partei, denen alles recht ist, auch ein Donald Trump, wenn sie nur ihr Vermögen mehren können. Demokratiegefährdend sind auch die sogenannten sozialen Medien, die einen Donald Trump groß machten und ihm jetzt seine Accounts abdrehen, wo sie ihn nicht mehr brauchen können. Das sagt mehr über die Machtverteilung in diesem Land und weltweit aus, als viele politische Kommentare. Nirgendwo sonst wurden so viele Präsidenten, Politiker und Politikerinnen ermordet, als in den USA. Die vom CIA angezettelten Staatsstreichs und fehlgeleiteten politischen und militärischen Interventionen kann man gar nicht alle aufzählen. Dieses Land konnte nie Vorbild für ein zukunftsfähiges Gemeinwesen sein.
Dennoch, es ist auch das Land der Bürgerrechtsbewegung, das Land von Martin Luther King, Joan Baez, Bob Dylan, Louis Armstrong, Leonard Bernstein, vieler Musiker, Schriftstellerinnen, Filmemacher, Schauspielerinnen, die gerade meine Generation massiv geprägt und uns politisiert haben. Trotz allem haben die USA eine enorme Integrationskraft für alles Fremde und Neue, denn sie haben sich immer als Einwanderungsland verstanden. Deshalb besteht Hoffnung, dass sich auch jetzt ein Gegengewicht zur Übermacht der Destruktivität finden wird.
Aber auch wir haben unsere kleinen Skandälchen. Mir hat die Arbeitsministerin Christine Aschbacher bei ihren Fernsehauftritten immer leid getan. Das Herunterbeten der von der Kurz’schen Buberlpartie vorgefertigten Schlagwörtern in der Manier eines Kindes, das den Schulstoff nicht versteht, aber brav auswendig gelernt hat, war peinlich. Aber mein Mitleid war nicht angebracht. Diese Frau verdankt ihr öffentliches Leben dieser Fähigkeit, hemmungs- und kritiklos banalen Kauderwelsch nachzubeten, denn sie hat sichtlich kein Interesse daran, irgendwas zu verstehen, außer Karriere zu machen. Dass ihre als akademische Arbeiten getarnten Elaborate nichts anderes sind, als mit Beraterfloskeln aufgemotzte Volksschulaufsätze, müsste aber doch jemandem aufgefallen sein. Es ist schon spannend, wie man mit viel Ehrgeiz, aber wenig Kompetenz so weit kommen konnte – das gelingt halt leichter im derzeitigen türkisen Kosmos, wo Schein immer mehr zählt als Sein.
11. – 17. 1.
Fawad kam heute mit der Nachricht nach Hause, dass er in der Firma gefragt wurde, ob er stellvertretender Filialleiter werden möchte. Man muss sich das vorstellen. 2015 kam dieser junge Mann als nahezu Analphabet nach einem extrem gefährlichen Fluchtweg nach Österreich. Er musste sich hier eingewöhnen, schreiben, lesen, rechnen lernen und hatte dann das Glück eine Lehre machen zu können, bei der kein Hauptschulabschluss nötig ist. Nach dieser Kompaktlehre ist er jetzt so weit, dass ihm zugetraut wird, eine Führungsaufgabe zu übernehmen.
Aber diese Erfolgsgeschichte ist nicht die einzige, die wir kennen. Ein junger syrischer Student, den wir ebenfalls in einer kleinen Wohnung untergebracht haben, erzählte mir, dass er vom Pizzatransporteur zum Geschäftsführer dieses Betriebs aufsteigen konnte. Wie viele solcher Geschichten mag es geben, von denen wir nichts hören. Leider füttern uns die Medien immer nur mit negativen Migrationserzählungen.
Der „Schichtwechsel“ unserer Betreuerinnen wird zur Routine – wäre da nicht Corona. Das Zittern, wie die Regelungen in den Heimatländern sind, die sich ändernden Vorschriften an den Grenzen, das bringt immer wieder neuer Herausforderungen. Fawad hat jetzt unsere Betreuerin und gleich auch unsere Putzfrau zum Testen begleitet – war dann ein entspannter Abend für uns alle im sicheren Bereich.
Auch mein Mann gewöhnt sich langsam daran, von fremden Frauen betreut zu werden – vor allem deshalb, weil sie eben nicht mehr fremd sind, sondern wir jetzt alle viel voneinander wissen. Dennoch, sie glauben beide, ihre mangelnden Deutschkenntnisse mit Lautstärke wettmachen zu müssen – und das ist oft sehr anstrengend. Aber ihre Verlässlichkeit und Genauigkeit habe ich zu schätzen gelernt – und lass mich deshalb leider auch ein bisschen gehen.
Wir haben uns den Film über Hannah Ahrendt angesehen. Sie hat den Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem beobachtet und damit sehr viel Diskussionsbedarf ausgelöst. Es lassen sich daraus viele Parallelen zur Gegenwart ziehen. Die Frage nach der Banalität des Bösen stellt sich angesichts von Trump, Bolsonaro und leider zu vielen anderen Machthabern. Für Hannah Arendt kann das Böse nie radikal, also tief verwurzelt sein, sondern nur extrem. Es besteht für sie, in der Verweigerung, selbst zu denken und keinerlei Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen. Das mag für viele fehlgeleitete Anhänger und Anhängerinnen dieser Machthabenden gelten, aber meiner Meinung nach nicht für diese selber. Trump und seinesgleichen sind extrem bösartig, übernehmen keine Verantwortung, aber sie wissen genau, was sie tun. Sie sind banal, aber was bei Hannah Arendt meiner Meinung nach zu kurz kommt, das ist die extreme Gier nach Macht, die diesen Personen zu Eigen ist und die sie vor nichts zurückschrecken lässt. Dieses Machtbewusstsein hat sicher auch Adolf Eichmann angetrieben, als er die Waggons für die Gaskammern gefüllt hat. Es ist für mich deshalb wichtig, die Frage nach der Macht und ihren Verlockungen nie aus dem Blick zu verlieren.
Jetzt wurde der Lockdown bis 8. Februar verlängert – hart aber anscheinend notwendig. Dass Seilbahnen in Schigebieten die große Ausnahme davon sind, erregt immer mehr Ärgernis.
Sebastian Kurz war bei der Verkündigung der neuen Regelungen staatstragend und hat dabei den Bürgermeister von Wien und die Landeshauptleute eingebunden, die Krise war für ihn sichtlich eine gute Lehrmeisterin. Dass er allerdings das Wort „Frauen“ nicht über die Lippen bringt, ist schon bemerkenswert. Es entstehen dann so Sätze wie „Familien, die Kinder zur Welt gebracht haben.“
Staatstragend zu sein, ist für die Regierung auch dringend nötig, denn der Widerstand gegen die Einschränkungen wächst. Die Zahl der Menschen, die die sich aus Personen mit fehlgeleitetem Freiheitsanspruch, rechtsextremem Aufwieglertum und mit vielerlei physischen, psychischen und existentiellen Nöten zusammensetzt, wird größer.
Die nächsten Wochen werden für uns alle hart, besonders für jene, die am Beginn und die am Ende ihres Lebens stehen – aber die Tage werden deutlich länger!
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.