Sturm auf das Capitol - Angriff auf Demokratie und Rechtsstaat
Ihr Ziel: die Bestätigung des neu gewählten Präsidenten Joseph Biden durch den Kongress zu verhindern und den "gestohlenen Wahlsieg" Trumps zurückzuholen. Noch erschreckender als die Berichte der offiziellen Medien waren Videos, die in den sozialen Medien verbreitet wurden und Aussagen von Teilnehmern dieser Aktion, die nicht anders als Terror genannt werden kann. Todesdrohungen gegen die demokratische Führerin des Repräsentantenhauses, beabsichtigte Brandlegung, Verachtung und Hass gegenüber Gesetz und Rechtsstaatlichkeit. Gewalt, die zu 5 Todesopfern führte, und Vandalismus zogen ihre Spuren durch das Herz der US-Demokratie.
Deutliche Worte waren vom gewählten Präsidenten zu hören: "Ich wünsche, wir könnten sagen, wir hätten es nicht kommen sehen. Wir hätten es kommen sehen müssen."
Und dies ist der Punkt, an dem wir in Österreich, in Europa, uns nicht zurücklehnen dürfen in der Meinung, was da am 6. Januar in Washington D.C. geschah, habe mit uns nichts zu tun.
... Und wie es dazu kam
Seit Jahrzehnten agieren rassistische und rechtsextreme Gruppierungen in den USA, von der Allright-Bewegung über die "Proud Boys" bis zu Qanon. Aber sie sind nicht nur dort präsent. Sie sitzen zum Teil in Europas Parlamenten - von der AfD über die FPÖ bis zum französischen Rassemblement National bis zu Salvinis Lega.
Angespornt und ermutigt wurden sie in den USA durch einen Präsidenten, der aus seiner Verachtung gegenüber der Demokratie, dem Rechtsstaat und seinen Repräsentanten nie ein Hehl machte und der dem gewalttätigen Mob am 6. Januar nach einem Aufruf, "in Frieden heimzugehen", noch versicherte: "Wir lieben euch. Ihr seid etwas besonderes".
Es ist den Terroristen nicht gelungen, das Prozedere zu verhindern. Am 20. Januar wird der neue US-Präsident angelobt, gegen Trump wird es voraussichtlich zu einem weiteren Amtsenthebungsverfahren kommen.
Dennoch bleibt die Frage, die ein Medienvertreter formulierte: War dieser Terrorakt das Ende oder der Anfang?
Warnung an Europa - Verschwörungstheorien - rechtsextreme Gruppen und Rechtsparteien
Das gilt auch für Europa. Erinnern wir uns an eine verstörende Szene vom August 2020 in Berlin, den "Sturm" auf den Reichstag im Zuge der Anti-Corona-Demonstrationen. Diese Kundgebungen wurden und werden von rechtsextremen Gruppierungen unterwandert und für ihre Zwecke ausgenutzt.
Ähnliches erleben wir in Österreich, wo die Demonstrationen und "Spaziergänge" gegen COVID-Massnahmen und gegen Impfzwang zunehmen, wo vermeintlich die "Freiheit" und das Recht auf die eigene Meinung verteidigt werden.
Aber auch hier das gleiche Bild: neben Bürgerinnen und Bürgern, die friedlich ihrem wachsenden Unmut Ausdruck geben, ist unter den Demonstrierenden eine gefährliche Melange aus sog. Staatsverweigerern, Rechtsextremen und QAnon-Anhängern wahrzunehmen. All diese Gruppierungen sind durch weltweite Netzwerke verbunden. Man erinnere sich an den früheren Trump-Vertrauten Stephen Bannon und sein Breitbart-News-Network. Der Attentäter von Hanau war in seinen Vorstellungen klar von solchen Netzwerken beeinflusst, ebenso wie der Attentäter von Christchurch in Neuseeland.
Weitgehend im Dunkeln liegen dagegen die Strukturen, durch die diese Online-Netzwerke mit ihren Verschwörungstheorien etablierte Parteien wie die AfD oder die UKIP unterstützen. [1] Es gibt aber einige Gemeinsamkeiten zwischen ihnen: Ablehnung der sogenannten "Eliten", des "Establishments"; Misstrauen gegenüber den bestehenden staatlichen/ rechtlichen Institutionen; Selbstverständnis dieser Gruppierungen als die eigentlichen wirklichen Demokraten oder VertreterInnen des Volks, die sich "ihren Kongress", "ihren Reichstag" zurückholen. Hier wird also ein völlig umgekehrtes Narrativ erzählt und millionenfach über die sozialen Medien verbreitet. Der "gestohlene Wahlsieg" Donald Trumps ist so ein Narrativ.
Und wenn Herbert Kickl in den Lockdown-Massnahmen der Bundesregierung einen Angriff auf "die Grund- und Freiheitsrechte der Österreicher und die Zukunft von Demokratie und Rechtsstaat in unserem Land" [2] wahrnimmt und SPÖ und Neos zu einer ‚Allianz der Freiheit‘ gegen eine autoritäre Regierung aufruft, lässt sich auch hier ein beträchtliches Maß an "alternativer Wirklichkeit" wahrnehmen.
Herausforderungen an Demokratie und Vernunft
Eine Frage, die in diesem Zusammenhang zu stellen ist - auch in Europa:
Wie konnte es dazu kommen, dass große Gruppen der Bevölkerung das Vertrauen in die Institutionen des Staates verloren haben?
Eine wachsende gesellschaftliche Gruppe nimmt sich als zurückgesetzt, ausgeschlossen vom Wohlstandswachstum und der Teilhabe an Gesellschaft und Politik wahr. Auch hierzulande nehmen die Spaltungstendenzen in der Gesellschaft zu - und COVID hat die Unterschiede verstärkt, die Spannungen verschärft.
Die sozialen und ökonomischen Verlierer vertrauen nicht mehr darauf, dass ihre Interessen von den Institutionen wahrgenommen werden, sie wenden sich von diesen Institutionen ab, stellen ihre Legitimität in Frage, gehen zu Aggression über. Ein Forum, eine Plattform, eine Partei, die vorgibt, ihre Anliegen zu vertreten, hat leichtes Spiel. Mit der "Wir sind das Volk"-Parole hat die AfD erfolgreich operiert[3]. Und mit dieser Parole kann das "WIR" gegen "die da" (die AusländerInnen, die "Eliten", den Rechtsstaat) erfolgreich mobilisiert werden.
Dieser gesellschaftliche Desintegrationsprozess muss umgekehrt werden. Dies erfordert
1. ein umfassendes Maßnahmenpaket zur wirtschaftlichen und sozialen Absicherung derer,
die oft geringschätzig als "Modernisierungsverlierer" bezeichnet werden. Das schließt ein Grundeinkommen ebenso ein wie eine generelle Arbeitszeitverkürzung und ein Aus für prekäre Arbeitsverhältnisse. Eine Gesellschaft, deren Wohlstand auf der Ausbeutung ganzer Gruppen (LeiharbeiterInnen, Saisonarbeitskräfte,...) beruht, vertieft nur Ungleichheiten und Ungerechtigkeit. Menschenwürdige und sinngebende Arbeit für alle darf kein 'Schlagwort bleiben.
2. ein Bildungssystem, das - auch im Hinblick auf die COVID-Folgen - für sozial und wirtschaftlich Schwächere gleiche Chancen bietet, das nicht nur auf messbare Leistung sondern auf soziale Kompetenz ausgerichtet ist. Bildung und sozialer Status dürfen nicht vererbt werden. Ausbildung muss allen ihren Fähigkeiten entsprechend ermöglicht werden.
3. Soziale Diversität, Solidarität und Miteinander müssen gefordert und gefördert werden, damit es nicht mehr möglich ist, Gruppen gegeneinander auszuspielen. "WIR" als Gesellschaft begreifen uns als Vielfalt unterschiedlicher Menschen, Fähigkeiten, Interessen, Kulturen und Religionen mit dem gemeinsamen Ziel des Zusammen-Lebens. Die Rechte und die Würde jede/r/s Einzelnen ist zu respektieren.
4. Der Zugang zu politischer Mitverantwortung und Teilhabe muss für alle Gruppierungen der Gesellschaft ermöglicht werden. Dies gilt für die Gemeinde, den Bezirk, das Bundesland, die nationale Ebene und die Europäische Union. Menschen, die in einer Gemeinschaft leben und ihren ökonomischen und ideellen Beitrag zur Erhaltung dieser Gemeinschaft leisten, haben das Recht, in den Entscheidungsprozessen, die diese Gemeinschaft betreffen, mitzuwirken.
5. Wir brauchen eine weltweite Solidarität, die gerade in dieser Zeit dringend gefordert ist, um den Ländern des Südens in der COVID-Pandemie zur Seite zu stehen, Hilfe für die wirtschaftlich Schwächsten zu leisten und gemeinsame Schritte für eine nachhaltige Entwicklung zu setzen. In diesem Zusammenhang sind weltweite gemeinsame Anstrengungen gegen den fortschreitenden Klimawandel vordringlich. Die Ressourcen der Erde dürfen nicht im Interesse einiger weniger ausgebeutet und zerstört werden. Menschen müssen unterstützt werden, damit sie in ihrem Lebensraum bleiben und mit ihren eigenen Mitteln ihren Lebensunterhalt menschenwürdig erarbeiten können.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.