Was 2020 gut war
28. Dezember 2020 – 2. Jänner 2021
Ein wirklich denkwürdiges Jahr geht zu Ende. Es hat uns vieles gelehrt. Meine Generation, die bis dahin die Erfahrung gemacht hat, trotz aller Unwägbarkeiten in größtmöglicher Sicherheit zu leben, wurde dieser Illusion beraubt. Es geht uns jetzt so, wie es der Mehrzahl der Menschen auf dieser Erde immer geht - wir haben nichts im Griff. Diese neuen Erfahrungen können wir sehr unterschiedlich verarbeiten. Manchmal habe ich das Gefühl, als hätte sich eine bleierne Decke über alles gelegt und es ist ein täglicher Kampf sie wegzuschieben um all das zu sehen, was unveränderlich da ist und gut ist. Und es ist vieles gut. Deshalb habe ich es mir heute beim Aufwachen zur Aufgabe gemacht, an all das zu denken, was dieses Jahr, das uns so viel genommen hat, dennoch gegeben hat.
Zuallererst fällt mir ein, dass ich viele Freundschaften, die uns im Laufe der Jahre ein wenig abhanden gekommen waren, in diesem Jahr wieder belebt habe. Es ist ganz einfach wichtiger geworden, sich zu erinnern und nachzufragen, wie es denn unseren Altersgenossinnen und Genossen in dieser Zeit geht. Dabei wurden Jugenderinnerungen ausgetauscht und vieles, woran wir nicht mehr dachten, dem Vergessen entrissen. Ich habe lange Gespräche geführt und da es sichtlich vielen Leuten so ging wie mir, hat mein Mann auch viele Anrufe ehemaliger Berufskollegen bekommen, die ihm sagten, wie sehr sie ihn geschätzt haben. Das tat ihm gut und er hätte es sonst wahrscheinlich nicht gehört.
Eine zweite Erfahrung war es auch, die digitalen Möglichkeiten zu nutzen und wertzuschätzen. Besonders berührt hat mich eine digitale Veranstaltung über den Amazonas-Regenwald bei der Bischof Kräutler zugeschaltet war und er erzählte, dass er, wenn er aus dem Fenster blickt, den Rio Xingu sieht. Es gab mir ein wenig das Gefühl, ganz nah an dieser so fernen Welt zu sein. Auch ein Workshop, den eine Friedensaktivistin in Kolumbien mit uns gemacht hat, zeigte mir deutlicher als alles Globalisierungsgerede, dass wir in einer Welt leben, mit der wir achtsam umgehen müssen.
Die wichtigste Erkenntnis allerdings war, dass all das, worüber feministische Ökonominnen viele Bücher geschrieben haben und wir ziemlich viele Seminare abgehalten haben, auf einmal für alle sichtbar wurde. Die „Systemerhalterinnen“ und „Heldinnen des Alltags“ waren plötzlich all jene, die die Grundversorgung in diesen schwierigen Zeiten aufrecht erhielten. Bezahlte und unbezahlte Arbeit in Pflege, Versorgung, Gesundheit, Bildung, Haushalt, all das war es, was uns die Krise überstehen lässt. Diese Arbeit wird von Menschen, vorwiegend von Frauen geleistet, die bis dahin zumeist ungesehen und unbeachtet geblieben sind. Die Bedeutung der „Sorge“- oder Care-Arbeit kann nun von niemandem mehr geleugnet werden. Die gesellschaftliche Debatte darüber, was die zivilisatorische Qualität unserer Gesellschaft ausmacht und was diesen zivilisatorischen Fortschritt hindert, müssen wir nun führen. Dabei geht es nicht nur um die Bezahlung, sondern auch um eine Umverteilung von Arbeit und Einkommen zwischen Frauen und Männern zum Vorteil beider Geschlechter.
Bei dieser Gelegenheit habe ich auch ein neues Vokabel gelernt „Mental Load“. Die mentale Last, die jene zu tragen haben, die sich immer um die gesamte Organisations- und Planungsarbeit rund um das Alltagsleben kümmern. Das bindet geistige Ressourcen, die andere locker für Arbeiten im Technik- ,Finanz- Dienstleistungs- und Handwerksbereich nutzen können. Das Auffüllen des Kühlschranks, des Kleiderschranks der Kinder, der Hygieneartikel – nicht nur des Klopapiers, die Geburtstage und Geschenksauswahl für Großeltern, Freunde und Kinder, Arzttermine im Kopf zu haben, zu wissen, wo alles im Haushalt zu finden ist, wenn es jemand sucht, Reparaturarbeiten organisieren, Sorgen, wenn es einem Kind nicht gut geht, Abhilfe schaffen, wenn andere überlastet sind, das frisst Energien, die jene, die sich von all diesen Belastungen freispielen, gut für sich nutzen können. Ohne diese mentale Leistung wäre allerdings unser aller Leben viel ärmer.
Es ist natürlich auch wieder so, dass die „Mental Load“ zwischen Frauen und Männern ungleich verteilt ist. Frauen tragen einen Großteil dieser Last und sind sich ihrer meist nicht bewusst – sie sind nur oft erschöpft. Natürlich gibt es Ausnahmen. Ein befreundetes Ehepaar hat schon von Jugend an alles miteinander besprochen, was das gemeinsame Leben betrifft und es sich auch immer gerecht aufgeteilt, völlig ohne theoretischem Überbau, sondern aus kluger Einsicht und einem partnerschaftlichen Grundverständnis heraus. Ich kenne aber auch Männer, die wegen Erkrankung ihrer Frauen plötzlich diese „Mental Load“ zu tragen haben und heillos überfordert sind. Aber solange es funktioniert, wird diese Leistung nicht gesehen und es wird nicht thematisiert werden, wieviel mentale Energie dafür nötig ist.
Ein positives Resultat dieser pandemischen Zeiten ist es also auch, dass sich der Blick darauf, was Arbeit ist, geändert hat. Die Sichtweise, welche Arbeit wichtig für ein gutes Leben ist und wer sie leistet, ist eine andere geworden. All jene, die sich jahrzehntelang um einen erweiterten Arbeitsbegriff bemüht hatten, die eine andere Bewertung von Arbeit anregten, sehen ihre Theorien, die früher auf so viel Widerstand gestoßen sind, jetzt von der Praxis bestätigt. Lebenswichtige Arbeit ist mehr und ist eine andere als uns die Mainstream-Ökonomen bisher vermittelt haben. Eine andere Frage ist allerdings, welche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden, denn die alten Strukturen erweisen sich doch als sehr beharrlich, wenn es darum geht, Geld, Arbeit und auch Macht gerecht umzuverteilen.
Eine weitere Lernerfahrung für mich in dieser Zeit war es, viel bewusster als sonst, positive Rückmeldungen zu geben, sei es an der Supermarkt-Kassa, auf der Post, bei der Bank und allen, die mir mit ihrer Dienstleistung das Leben erleichtern. Denn so ärgerlich auch oft die Strukturen in diesen Bereichen sind, jene, die quasi „an der vordersten Front“ stehen, können nichts dafür und geben meist ihr bestes. Und ich merke, wie gut es den Betroffenen tut, wenn ihr Einsatz wertgeschätzt wird und das tut auch mir wieder gut.
Weniger erfreulich finde ich allerdings derzeit, dass es der Wintertourismus-Lobby gelungen ist, die Schilifte zu öffnen. Ich bin selbst eine begeisterte Schifahrerin gewesen und jedesmal wenn ich die Werbung für ein Schigebiet mit aufstäubendem Schnee sehe, wird mir ein wenig traurig ums Herz. Dennoch soll man nicht so tun, als handle es sich bei der Frage ob Seilbahnen ihre menschliche Fracht befördern dürfen oder nicht, um eine lebenswichtige Entscheidung. Es ist auch gesund und erholsam im Schnee ohne technische Hilfsmittel zu wandern.
Die Regierung tut alles, um uns zu „Massentests“ zu bewegen. Vielleicht würde es genügen, dieses schreckliche Wort zu ersetzen und statt von Massentests von Vorsorgetests zu sprechen. Die Idee des „Freitestens“ ist überhaupt skurril. Da soll man mit einem 48 Stunden alten Test Kulturveranstaltungen besuchen dürfen, ins Wirtshaus allerdings darf man schon, wenn dieser Test bereits 168 Stunden alt ist. Da diese Tests aber insgesamt nur eine Momentaufnahme sind, erscheinen mir beide Vorgaben nicht dazu geeignet, Ansteckungen zu verhindern. Sie zeigen nur die unterschiedliche Haltung auf, die unsere Regierung zu Kultur und zu Gastronomie zu haben scheint.
3. Jänner bis 6. Jänner 2021
Noch nie ist mir der Winter in Wien so finster erschienen wie heuer – waren die Tage immer so kurz? Der Jänner war sonst die Zeit, wo wir in der Katholischen Frauenbewegung sehr beschäftigt waren, weil wir über die Aktion Familienfasttag informiert haben. Heuer wird es keine Veranstaltungen in den Pfarren geben, kein Suppenessen – auch nicht beim Bundespräsidenten, wo wir voriges Jahr zum ersten Mal mit Corona-Vorsichtsmaßnahmen konfrontiert waren. Unsere Projektpartnerinnen sind von der Pandemie, vom Klimawandel, von Hurricans und politischen Einschränkungen so viel mehr betroffen als wir, dennoch werden wir ihnen heuer geringere Mittel zur Verfügung stellen können, weil wegen der Einschränkungen durch die Pandemie das Spendenaufkommen geringer sein wird. Wir können nur auf die Solidarität unserer treuen Spenderinnen und Spender bauen und darauf, dass sie die digitalen Möglichkeiten nutzen, um einen Solidaritätsbeitrag zu leisten.
Das „Freitesten“ ist jetzt abgesagt worden. Die Opposition hat der Regierung den Gefallen erwiesen, im Bundesrat dagegen zu stimmen. Damit erspart sie die Blamage, dass niemand sagen konnte, wie denn das ganze Prozedere in der Praxis hätte funktionieren sollen. Betreten eines Wirtshauses, eines Geschäfts, einer Veranstaltung nur mit gültigem Corona-Test? Wirte als Blockwarte – das wollte niemand übernehmen. Stichproben? Wer macht sie? Also eine Schnapsidee, die nur dazu dienen sollte, den vom Kanzler favorisierten Massentests eine „Masse“ zu verschaffen.
Die Corona Ansteckungszahlen gehen nicht hinunter und eine noch ansteckendere Mutation soll auch in Österreich schon aktiv sein. Jetzt rächt sich die PR orientierte Arbeit unserer Bundesregierung. Da wurde am 27.12.ein „Showimpfen“ in Anwesenheit des Kanzlers und Gesundheitsministers veranstaltet, dem allerdings keine weiteren Impfungen folgten, weil die Vorbereitungen dazu nicht abgeschlossen waren. Das erzeugt Missstimmung und die Rechtfertigungen aus dem Gesundheitsministerium waren äußerst „hopertatschig“. Wieso kann man nicht einmal in einer solch angespannten Zeit auf PR-Gags verzichten und seriös informieren und arbeiten?
Dennoch denke ich mir, dass alle die derzeit politische und medizinische Verantwortung tragen, an den Grenzen ihrer Belastbarkeit angekommen sein müssen. Sie würden allerdings sehr viel mehr Empathie der Bevölkerung gewinnen, wenn sie ehrlicher und offener kommunizieren würden.
Die Sternsinger sind heuer auch nur eingeschränkt unterwegs und das Kreidezeichen für 2021 werden wir selbst an unsere Haustür malen. Ich hoffe nur, dass die Spendenbereitschaft darunter nicht allzu sehr leidet. Wir müssen alles tun, damit uns die Symbole der Solidarität, für die die Sternsinger unter anderem stehen, nicht verloren gehen. Ich sorge mich um all das, was unser Leben gut und mitmenschlich macht, denn es ist so schwer Beziehungen lebendig zu erhalten, weil wir voneinander physisch getrennt sind und unsere mentalen Kräfte schwinden. Deshalb bin all jenen dankbar, die allen Widerständen zum Trotz nicht aufgeben, die Gesellschaft zusammenzuhalten – das sind viele Menschen in den Kirchengemeinden. Da werden Telephonkontakte zu Einsamen organisiert, spirituelle Impulse über’s Internet kommuniziert, Zoom-Treffen abgehalten usw. Ich hoffe, wir können an all das anschließen, wenn wir einander wieder treffen können.
Dazu fällt mir das Bild eines französischen Schriftstellers Charles Peguy ein: Zwischen den beiden Schwestern Glaube und Liebe geht das kleine Mädchen Hoffnung mit uns ins Neue Jahr, in dem nur eines sicher ist – die Tage werden wieder länger!
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.