Kein normales Weihnachtsfest!
9. – 27.12.
Jeden Morgen vor dem Aufstehen beschleicht mich ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit gegen das ich mir dann ganz bewusst gute Bilder des kommenden Tages setzen muss. Das ist derzeit nicht leicht. Deshalb ist es nur zu verständlich, wenn auch Politiker zum Kampf gegen die grassierende allgemeine Depression etwas beitragen wollen. Ob es allerdings die richtige Form ist, wenn Nationalratspräsident Sobotka am Marienfeiertag zu einem nationalen Gebetsfrühstück unter dem Motto „Hoffnung in der Krise“ einlädt, sei dahin gestellt. Gebetsfrühstücke haben in Amerika eine lange Tradition unter evangelikalen Christinnen und Christen, sind bei uns allerdings eher ein Zeichen für lebensferne spirituelle Erbauung. Dafür ist das Parlament sicher nicht der richtige Ort. Diese Veranstaltung richtet sich allerdings von selbst, da an ihr nur Vertreter und Vertreterinnen von ÖVP und FPÖ teilnahmen – das sollte zu denken geben. Zu dieser teils virtuellen Veranstaltung waren, so viel ich höre, zwar auch Vertreter und Vertreterinnen anderer Religionsgemeinschaften geladen, aber im Grunde wurde sie von der „Lorettogemeinschaft“ einer konservativen Bewegung innerhalb der katholischen Kirche veranstaltet.
Da kamen also Menschen zusammen, die sich in ihren religiösen Überzeugungen auf die Bibel beziehen. Wenn man allerdings die politischen Handlungen der Teilnehmenden ÖVP und FPÖ Abgeordneten beurteilt, so schwindeln sie sich an der Kernbotschaft dieses Buches vorbei. Denn die zentrale Botschaft der Bibel ist der Einsatz für Gerechtigkeit und der Umgang mit Fremden, Geflüchteten und Armen. In Deuteronomium 26,5 geht die Weisung an Abraham …. „du sollst bekennen: mein Vater war ein heimatloser Aramäer“, das heißt nichts anderes als dass jene, die ihren Glauben aus der Bibel begründen, auf Seiten derer stehen, die sich den Unsicherheiten des Lebens und der Heimatlosigkeit aussetzen.
Die Weihnachtsbotschaft ist nichts anderes als die Menschwerdung Gottes in Armut und Ausgrenzung. Die Einzigen die Jesus als Retter erkannten, waren die ebenfalls am Rande der Gesellschaft lebenden Hirten und die aus weiter Ferne angereisten Fremden. Wie uns die biblischen Autoren sagen, verfolgten die Herrschenden jener Zeit dieses Kind von Beginn an.
Das Christentum ist eine Gedächtnis-Religion, wir erinnern uns in unseren Liturgien an Menschheitserfahrungen, die für uns festgehalten sind. Dabei vergessen wir allzu gerne, dass die Brennpunkte in den heiligen Schriften Fluchtgeschichten sind. Die Bibel misst am Umgang mit fremden Menschen die Zugehörigkeit zum Volk Gottes. Sehr oft geht es um „den Fremden, der in unserer Mitte lebt.“ Im Deuteronomium 10,18 heißt es ganz ausdrücklich: „Gott liebt die Fremden und gibt ihnen Nahrung und Kleidung“. So wie in den biblischen Erzählungen von Verfolgung, Flucht, Hoffnung und neuer Beheimatung, ist auch heute Gott dort gegenwärtig, wo wir uns barmherzig gegenüber Flüchtlingen und Fremden zeigen.
Der heimatlose Aramäer im Buch Deuteronomium, die Exodusgeschichte des jüdischen Volkes, Die Herbergsuche der Heiligen Familie und deren Flucht nach Ägypten, sind nicht zufällig in den Kanon der Bibel aufgenommen, sie sind eine zentrale Botschaft. Die Geschichte des jüdischen Volkes ist eine einzige Abfolge von Vertreibung und Flucht – bis in unsere Zeit. Auch Bürger und Bürgerinnen unseres Landes sind an jüdischer Vertreibung und Ermordung schuldig geworden. Deshalb sind gerade wir gefordert, wenn es um Hilfe für heimatlos gewordene geht. Jesu Botschaft ist eine Abfolge von Aufforderungen, sich sinnentleerten Konventionen zu entziehen und die Liebe gerade zu den benachteiligten Menschen ins Zentrum zu rücken.
Wenn sich also Bürgerinnen und Bürger zusammenfinden, um am Ort der Gesetzgebung eine religiöse Feier abzuhalten, die sich auf diese Botschaft bezieht , gleichzeitig in ihrem politischen Handeln aber mit Menschen auf der Flucht erbarmungslos umgehen, so ist das für mich Missbrauch der Religion.
Die Geflüchteten in den Lagern auf den griechischen Inseln als abschreckende Beispiele für Menschen, die ihrer Not ebenfalls entfliehen wollen, zu missbrauchen, hat mit Christentum nichts zu tun und all jene, die eine solche Politik betreiben, sollten eher keine nationalen Gebetsfrühstücke zur „Hoffnung in der Krise“ organisieren und schon gar nicht im Parlament.
Künstlerinnen, Wissenschaftler, Wirtschaftstreibende, Bischöfe, sogar Politiker aus den Reihen der ÖVP und viele engagierte Christinnen und Christen und Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft, setzen sich für die Aufnahme von Flüchtlingen von den griechischen Inseln ein. Dank der Lebenspraxis all dieser Menschen gilt Österreich als humanistisches Land und als Kulturnation. Es sind die Regierenden, die diese mühsam erlernte Zivilisation aufs Spiel setzen und durch ihre Worte und Taten den Rückfall in die Barbarei ermöglichen. Statt zivilisatorische Maßstäbe zu prägen, bestärken sie all jene Kräfte in unserem Land, deren Selbstbezogenheit es schwer machen wird, die vielfältigen Krisen, die wir in Zukunft zu bewältigen haben werden, solidarisch zu meistern.
Dass gerade der Außenminister, als Nachfahre einer Familie mit einer langen Tradition, sich dafür hergibt, ist bedrückend. Nur um die empörten engagierten Bürgerinnen und Bürger zu besänftigen, aber ja nicht seine empathielosen rechten Wähler zu vergrämen, geniert er sich nicht, die sehr dankenswerte Einrichtung einer Tagesbetreuung für Kinder auf Lesbos durch das SOS-Kinderdorf als humanitäre Leistung der Regierung zu verkaufen. Diese Tagesbetreuung mildert die humanitäre Katastrophe, ändert aber nichts am unvorstellbaren Elend, das dort herrscht. Lesbos liegt in der EU, aber für die Zustände dort, würde sich jedes arme Land genieren. Das scheinen all jene ständig zu vergessen die nicht genug kriegen können, in Sonntagsreden unsere Wertegemeinschaft zu rühmen – welche Werte sind es?
Ein halbwegs normales Weihnachtsfest wünscht sich unser Kanzler für uns. Ist es halbwegs normal bei allem wegzuschauen, was die Weihnachtsbotschaft konterkariert und nur den Umgang mit Corona Zahlen zum Maßstab unseres Menschseins zu nehmen? Dazu passt es wunderbar, dass er und sein Vizekanzler mit einem als „Babyelefant“ verkleideten kleinen Buben herzlich scherzen – während sie hunderten Flüchtlings-Kindern „aus Vernunftgründen“ ihr Lebensrecht absprechen.
Ich wünsche mir und den Meinen kein normales Weihnachtsfest, sondern eines, das uns alle zutiefst beunruhigt und nach Auswegen aus der Enge des Denkens und Handelns suchen lässt. Ja und ich wünsche mir auch, dass wir trotz neuerlichem Lockdown füreinander und miteinander da sind und auf die Schwachen unter uns schauen. Die befreiende Botschaft an die Hirten „fürchtet euch nicht“ gilt auch für uns– denn auch uns ist der Retter geboren, wenn wir es zulassen und uns auf Neues einlassen.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.