Vor der stillsten Zeit im Jahr: auflagengeile Unanständigkeit
10 – 15. November
Die Infektionszahlen steigen in ungeahnte Höhen. Dennoch bekomme ich von unseren Betreuerinnen immer wieder verschwörungstheoretische Meldungen. Ihre einzige Informationsquelle hier in Österreich sind die sozialen Medien und auf denen muss es sich enorm abspielen.
Apropos Medien, es freut mich, dass es jetzt endlich auch den Inserenten von Österreich und Kronenzeitung zu viel war und sie mit Boykott drohen. Bilder des Terroraktes noch während laufender Polizeiaktion online zu stellen ist wohl der Gipfel der auflagengeilen Unanständigkeit und hat mit Journalismus nichts mehr zu tun.
Apropos unanständig. Auch die republikanischen Parteigranden in den USA bestärken Trump in seiner Weigerung abzutreten – das wird noch turbulent.
Noch eine Meldung zum Thema unanständig. Da eröffnet das Möbelhaus mit dem großen roten Sessel eine neue Filiale mit viel Pomp und Trara – 8.000 Menschen folgen ihrem Ruf zur Schnäppchenjagd – großes Gedränge und Hallo. Ist ja erlaubt, da ja im Dienste der Wirtschaft und wirklich keine Kulturveranstaltung. Aber was denken sich die Verantwortlichen? Und wieso sagt die Politik dazu nichts?
11.11.11 Uhr 11 Faschingsbeginn wird sonst mit einem Tänzchen am Graben gefeiert, aber heuer ist alles anders. Sogar der Weihnachtsbaum vor dem Rathaus sieht etwas ramponiert aus, wird aber bis zur Beleuchtung sicher noch kosmetisch aufgemotzt. Die nun ebenfalls installierten Weihnachtsbeleuchtungen in den Geschäftsstraßen werden geschlossene Läden anstrahlen – wer jetzt noch keinen Adventkranz hat, der bekommt vielleicht keinen mehr. Möglicherweise wird heuer der Advent tatsächlich die stillste Zeit im Jahr. Weihnachten mal anders, könnte dem Ursprung des Festes vielleicht näher kommen.
Jetzt ist es fix – totaler Lockdown. Aber wir können Fawad nicht noch einmal ausladen. Andererseits arbeitet er in einem Supermarkt und dass er niemanden von seinen afghanischen Freunden trifft, ist unwahrscheinlich. Also machen wir social distancing so weit es geht – extra Küchenbenützung und extra Eingang.
Ich beschäftige mich sehr mit dem, was die Bundesregierung als Kampf gegen den politischen Islam bezeichnet und mir kommen immer mehr Fragen. Die Länder, in denen politischer Islam in Realität gelebt wird, wie Saudi Arabien und die Emirate, sind doch befreundete Staaten unserer westlichen Demokratien.
Da kommt doch kaum ein kritisches Wort, obwohl es ziemlich klar ist, welch zwielichtige Rolle Saudi Arabien bei der Re-Islamisierung am Balkan gespielt hat und auch die Flugzeuge, die das World-Trade-Center zerstörten, sind von Saudis gelenkt worden. Es gibt eine lange Geschichte, wie westliche Regierungen die Versuche, in islamischen Ländern aufgeschlossene Regime zu etablieren, bekämpften, weil diese als „sozialistisch“ und viel schlimmer noch als „kommunistisch“ galten. Von Mossadegh im Iran, über Nasser in Ägypten bis zu diversen Aufständen im Mittleren Osten. Die Palästinenser, ursprünglich kaum fundamentalistisch religiös, wurden ja wegen ihrer verzweifelten Lage förmlich in die Arme der Hamas getrieben.
Das kolonialistische Verhalten des Westens hat meiner Meinung nach einen nicht zu kleinen Anteil daran, dass die Moslems nach dem „ganz anderen“ suchen und im Koran die Anleitung für ein politisches System für die ganze Welt sehen. Ich denke, dass gerade Personen, die ohne fundiertes Wissen über ihre Herkunft und ihre Religion aufgewachsen sind, zu leichten Opfern von Verführern mit wahnhaften Vorstellungen werden. Der Kampf gegen den politischen Islam, den unsere Bundesregierung jetzt ausgerufen hat, darf das Augenmaß nicht verlieren, sonst läuft er Gefahr, noch mehr unsichere und beschädigte junge Männer in die Arme jener zu treiben, die unsere Demokratien zerstören wollen. Die Imame in den einschlägigen Moscheen sind Handlanger wirklich mächtiger Akteure. Diese gilt es zu bekämpfen und nicht um des Profits willen wegzuschauen.
Die Bibelstelle „mein Vater war ein heimatloser Aramäer“ lässt mich nicht los. Die Aramäer sind ein arabischer Volksstamm, also sind Juden und Araber ganz nahe Verwandte. Das Wort Antisemitismus sagt es ja auch, es geht gegen „Semiten“ und das sind Juden und Araber. Also wendet sich der Antisemitismus richtig gesehen, gegen beide. Der „Antisemitismus“ der Moslems, von dem derzeit so viel die Rede ist, ist also genau genommen Selbsthass.
Eine Freundin, die Sekretärin eines wichtigen Politikers war, erzählte mir einmal, dass sie zur Ehrung eines arabischen Schriftstellers geladen hatte und einer ihrer prominenten jüdischen Freunde mit ihnen gemeinsam am Tisch saß. Angesichts dieser ungewöhnlichen Tischgemeinschaft fragte ein verblüffter Reporter, in welcher Beziehung denn der Jude und der Araber zueinander stünden. Die Antwort des jüdischen Freundes: „Wir sind Cousins“, ließ den Reporter verblüfft und entwaffnet zurück.
16. - 22. November
Am letzten Tag vor dem endgültigen Lockdown haben sich die Menschen in den Kaufhäusern noch ausgetobt, sie wurden auch mit extremen Sonderangeboten von den verzweifelten Kaufleuten in die Geschäfte gelockt. Da fand ich es schon anständig, dass sich Humanic für diese Preisschlacht entschuldigte.
Übrigens, die englische Sprache mildert vieles – Lockdown klingt doch etwas freundlicher als Ausgangssperre.
Meine Cousine, Bäuerin im Weinviertel hat mich auch noch am letzten Tag, an dem das erlaubt war, besucht. Es war ein wahres Erntedankfest für uns. Sie brachte mir Marmeladen von allen Früchten des Sommers, eingelegtes Obst und Gemüse, Nüsse, Kürbisse und Äpfel – und natürlich den neuen Wein. Wir handelten dann die Ereignisse und Befindlichkeiten unserer großen Familie ab.
Ich habe es sehr genossen und es hat mich so gefreut, als sie mir von so vielen neuen Initiativen im Weinviertel erzählt hat. Ab Hof Verkaufsstände in fast allen Ortschaften, Zusammenschlüsse zur gemeinsamen Vermarktung – Streuobstwiesen auf denen Weidegänse sich ihres leider kurzen Lebens erfreuen. Andererseits wieder so bedrückende Geschichten wie, dass auch bei ihnen schon nicht mehr Bauern Äcker kaufen, sondern Investoren, die sie dann zu Gewinnzwecken verpachten. Landgrabbing auch in Österreich.
So wie sich in der Corona-Krise die wahren Heldinnen des Alltags gezeigt haben, werden es auch in der Klimakrise die kleinbäuerlichen, kreativen und innovativen Heldinnen und Helden der Landwirtschaft sein, die eine Zukunft für uns alle ermöglichen. Auf sie müssen wir mehr schauen und sie unterstützen wo und wie immer es geht.
In unserer bedrückten Lage nehmen wir kaum wahr, was anderswo passiert. Fawad sagt, dass es ständig Anschläge der Taliban in Afghanistan gibt. Besonders perfide ist es, das Universitäten ihr Ziel sind, also die gebildete Jugend, die in diesem Land etwas verändern könnte.
Der Hinweis auf die Gewaltbereitschaft in Afghanistan, die bei uns ja auch oft den Afghanen insgesamt zugeschrieben wird, lässt mich daran denken, dass es in diesem Land seit 40 Jahren Krieg gibt. Vergleichbares gab es bei uns nur mit dem 30jährigen Krieg, der Europa verwüstete. Der war vorgeblich ja auch ein Religionskrieg. Die Verrohung der Menschen, die dieser Krieg verursachte, gibt noch immer Stoff für die Literatur. Man muss also nur daran denken, wenn wir von den Gräueltaten in Afghanistan hören und kann sich eher nur wundern, dass so viele der Flüchtlinge aus diesem Land völlig integere Menschen sind, die nichts anderes wollen, als ein Leben in Frieden und Freiheit zu führen.
Budgetdebatte im Fernsehen – läuft bei uns Polit-Junkies natürlich als „Hintergrundmusik“. Außerdem haben wir in Wien eine neue Stadtregierung - Punschkrapferl-Koalition. Da die heutigen Politiker sichtlich sehr unhistorisch sind, erinnert sich niemand mehr, weshalb das Punschkrapferl einmal als Bild für eine SPÖ-Landesorganisation kreiert wurde. „Außen Rosa, innen Braun und in Alkohol getunkt.“ Das trifft Gott sei Dank für die derzeitigen Akteure nicht zu, dennoch finde ich es bedenklich, wie die Grünen dem Bürgermeister in die Falle gegangen sind.
Die Legende, er habe eben mit Birgit Hebein nicht können, würde ihn als Politiker diskreditieren. Persönliche Befindlichkeiten sollten da nicht über den gemeinsamen politischen Zielen stehen. Für Ludwig ist es ganz einfach leichter, nicht mit den Grünen, seit Zwentendorf und Hainburg das ewige Feindbild der Betonierer in seiner Partei, zu koalieren – da hätte Birgit Hebein noch so handsam sein können. Wie die Zusammenarbeit mit ihr intern und extern war, kann ich nicht beurteilen, aber sie wurde von der Basis gewählt und das wäre zu respektieren gewesen. Dass der Rathausklub sie so unfein entfernt hat und damit im Nachhinein Ludwigs Entscheidung rechtfertigte, finde ich schäbig und politisch unklug. Unter erwachsenen Menschen hätten sich da andere Lösungen finden müssen, immerhin hat sie mit den Grünen die Wahl überzeugend gewonnen. Möglicherweise kann Ludwig jetzt mit den Neos mehr grüne Themen durchsetzen, weil seine ewig gestrigen Parteikollegen jetzt nicht mehr kampfbereit in den Misstrauensstartlöchern hocken.
Andreas Khol ist wieder einmal entgleist, er äußerte im Fernsehen, dass man Frau Rendi-Wagner „Eine auflegen müsse“, weil sie seinen Herzbuben Kurz kritisiert hat. Das ist ja nicht das erstemal, einst nannte der sonst so feine Herr die Sozialisten „Rote Gfrieser“ und er meinte auch, dass es Vergewaltigung in der Ehe nicht geben könne. Von der Bank des Parlamentspräsidenten herab belobigte er – völlig objektiv? - den damaligen Liebling der Schwiegermütter, Karl-Heinz Grasser mit „Tolle Budgetrede Karl-Heinz“. Wieso dieser Mann dennoch im Ruf steht, aufgeschlossen, gebildet, kultiviert und konziliant zu sein, kann ich nicht verstehen. Für mich ist er ein dem reaktionären Denken der 1950er Jahre verhafteter alter Mann.
Zum Frauenbudget hörte ich im Parlament die interessante Äußerung einer ÖVP-Abgeordneten. Auf die Klage von Frau Heinisch-Hossek, dass sich die Frauenministerin in diesen für Frauen so schwierigen Zeiten doch mehr zu Wort melden möge, rechtfertigte sie deren Nichtpräsenz damit, dass ja die Männer in der ÖVP die Frauen immer mitbedenken würden – kennen wir das nicht aus vorsintflutlichen Zeiten?
Interessant ist auch, wer aller Corona-Hilfen bekommt: Glücksspiellokale z.B., Wenn schon nicht arme Spielsüchtige die Taschen von Novomatik füllen dürfen, so wenigstens wir alle als Steuerzahlende. Bordelle hingegen bekommen nichts – wo kämen wir denn da hin, wenn wir Unmoral unterstützen würden. Die Kunden dieser Lokale allerdings werden schon einen Weg finden, ihr „Grundbedürfnis“ zu befriedigen. Waffengeschäfte wiederum dürfen offen halten – sie dienen anscheinend der Grundversorgung.
Schön ist es, dass es heuer Corona-bedingt keinen wirklichen „Black Friday“ gibt. Dieser seltsame Einkaufs-Wahntag ist vor einigen Jahren von unseren Händlern auf der Suche nach sinnentleerter Kundinnen-Animation begeistert aus den USA übernommen worden. Bis dahin war für mich „Black Friday“ immer der Tag, an dem die Weltwirtschaftskrise 1929 ihren Ausgang genommen hat – also das genaue Gegenteil von Konsumeuphorie.
Ich muss leider feststellen, dass sich mein Corona-Frust als Jammern auf hohem Niveau herausstellt. Von den Projektpartnerinnen der Katholischen Frauenbewegung aus Nicaragua, Guatemala und von den Philippinen kommen erschütternde Meldungen über das Wüten der Hurricans und Taifune. Die ärmste Bevölkerung in diesen Ländern, die in Corona Zeiten auf keinen Sozialstaat zurückgreifen können, der sie unterstützt, ist jetzt auch noch den Naturgewalten hilflos ausgeliefert.
Ich tu das normalerweise nicht, aber ich schreib jetzt mal die Konto Nr. zur Unterstützung dieser so schwer getroffenen Menschen auf. Wer meint, dass man einen entgangenen Restaurantbesuch ja auch dazu nützen könnte, einen Beitrag für jene zu leisten, die wirklich alles verloren haben, ist herzlich eingeladen.
Spenden.teilen.at Spendenkonto Nr. IBAN AT83 2011 1800 8086 0000.
Traude Novy