Immer noch April-Wetter... überall!
1. – 7. Mai
Ich denke am 1. Mai immer an die Zeit, als uns in meiner Kindheit auf dem Weg zur Kirche der Maiaufmarsch aus Floridsdorf kommend begegnete. Die mit buntem Krepppapier umwickelten Kinderfahrräder hatten es mir angetan. Verwundert hat mich auch, wenn ich mitmarschierende alte Männer singen hörte: „Wir sind jung und das ist schön“.
Aber das Lied „Wir sind die Arbeiter von Wien“ ging mir damals schon nahe. Und im Stillen dachte ich mir, dass das doch ein lustigerer Aufmarsch war, als unsere Fronleichnamsprozession, die mir dazu als Vergleich einfiel. Ja, der Maiaufmarsch hatte einen religiösen Charakter und wurde mit der Zeit hohl, wie auch viele unserer kirchlichen Rituale. Belebung täte beiden gut. Vielleicht entsteht nach diesen Corona-erzwungenen Pausen eine lebendigere Feierkultur – hoffen wird man ja noch dürfen.
Am Montag sperren die Geschäfte wieder auf und ich freue mich drauf. Erstens sind die Düsen meiner Gartenschläuche von Materialermüdung befallen und man muss schon Glück haben, wenn sie nicht in die falsche Richtung, also auf mich spritzen und zweitens bin ich über das Alter hinaus, wo löchrige Jeans ein modisches Statement sind.
Also werde ich mich in das kleine Geschäft in der Währingerstraße begeben, wo es nur FAIRTRADE und Bio-Textilien zu kaufen gibt und neue Jeans erwerben. Obwohl man ja bei der langen Lieferkette von Textilien nie sicher sein kann, wie fair die einzelnen Verarbeitungsschritte wirklich sind. Deshalb bin ich sehr froh, dass da endlich was in Bewegung gekommen ist und europaweit die Verantwortung der Händler für ihre Zulieferer eingefordert wird.
Damit haben sich die EU und einzelne Regierungen viel vorgenommen. Sie wollen endlich ein Lieferkettengesetz auf den Weg bringen. Es geht dabei darum, dass Händler nur bei Zulieferern kaufen dürfen, die sich an das Verbot von Kinderarbeit halten, faire Löhne bezahlen und Umweltauflagen halten. Bei der Verwobenheit des Welthandels und dem Vorgehen großer Zulieferer, indem sie an Kleinstbetriebe, die schwer kontrollierbar sind, auslagern, kann so ein Gesetz nur der Beginn der Transformation des Welthandels sein. Denn das, was z.B. in Handys drin ist, kann von den Verkaufsketten kaum mehr kontrolliert werden.
Die Österreichische Bundesregierung sieht noch keine Veranlassung, bezüglich einer gesetzlichen Verankerung der Verantwortung von Unternehmen für ihre Zulieferer aktiv zu werden, deshalb haben sich Personen der Zivilgesellschaft zusammengetan, um auch hierzulande einem Lieferkettengesetz, das seinen Namen auch verdient, auf die Sprünge zu helfen. Unter dem Slogan „Menschenrechte brauchen Gesetze“ gibt es dazu eine Petition – ich lade dringend dazu ein, sie zu unterschreiben.
Wieder ist ein für mich wichtiger Mensch gestorben - Herbert Berger. Er war eine prägende Person der österreichischen Entwicklungspolitik. Ich erinnere mich noch genau, als in den 70er Jahren ein Priester mit seinem Adoptivsohn bei uns im Ursulinenhof einzog. Es umwehte ihn ein Hauch von Exotik, denn er kam aus Chile, wo er als Missionar tätig gewesen war.
Wir luden ihn in unsere Familienrunde ein und erfuhren erst da die ganze Tragweite des Pinochet-Putsches und hörten von seiner abenteuerlichen Fluchtgeschichte über die österreichische Botschaft in Santiago. Somit wurde Herbert Berger zu einer von mehreren Personen, die mein Weltbild massiv verändert haben. Die schon durch den Vietnamkrieg erschütterte Amerika-Gläubigkeit meiner Jugend war nun endgültig vorbei.
Als ich dann im Rahmen der Katholischen Frauenbewegung verstärkt in der Entwicklungszusammenarbeit tätig wurde, begegneten wir einander wieder. Er war mittlerweile mit Sigrun verheiratet, arbeitete im Renner-Institut und war Vorsitzender der AGEZ, des Dachverbandes der Entwicklungszusammenarbeit. Er war ein unermüdlicher Kämpfer für Gerechtigkeit und obwohl von der Kirche und speziell der Befreiungstheologie zutiefst geprägt, wollte er den kirchlichen und gesamtgesellschaftlichen Backlash der 80er Jahre nicht mitmachen.
Herbert Berger gehört zu jenen leider viel zu wenigen Menschen, die den Träumen ihrer Jugend bis zum Tod treu geblieben sind.
Die heurige Weinviertel-Akademie hat nur virtuell stattgefunden. Ich war eingeladen mit Prof. Ludwig Adamovich über die Gefährdung der Demokratie zu sprechen. Dieser alte Herr hat mich sehr beeindruckt. An seinem klaren Denken und seiner Analysefähigkeit können sich manche Junge ein Beispiel nehmen. Am erstaunlichsten fand ich aber seine Urteilskraft, mit der er nicht hinter dem Berg hält und somit das tut, was Rosa Luxemburg als die revolutionärste Tat bezeichnete, nämlich „zu sagen, was ist“.
Er beurteilte die Verweigerung von Finanzminister Blümel, Akten herauszugeben, wie es der Verfassungsgerichtshof von ihm forderte, als ein unmögliches Vorgehen. Es ist ja auch wirklich blamabel, dass erst der Bundespräsident eingeschaltet werden musste, damit Blümel seiner Verpflichtung nachkam.
In Tirol kurvte ein futuristisches Labor auf Rädern durchs Land, das die meisten Corona- Tests dort durchführte. Davon dürften etliche falsch gewesen sein. Der Eigentümer dieses fahrbaren Labors ist ein Arzt, gegen den gerichtliche Untersuchungen laufen. Er hat den Auftrag ohne Ausschreibung bekommen. Es ist nicht auszuschließen, dass dabei Beziehungen zu div. Tiroler Adler- und sonstigen Runden eine Rolle gespielt haben. Jetzt musste endlich der „Wir haben alles richtig gemacht“-Landesrat Tilg und auch die Wirtschaftslandesrätin zurücktreten. Kommentar von Landeshauptmann Platter: „Es könnte alles nicht besser laufen“. Tirol is‘ lei oans – und anders.
Der virtuelle Veranstaltungskalender eröffnet auch besondere Möglichkeiten. Nancy Fraser wurde in Wien Gastprofessorin und hielt gleich drei virtuelle Vorträge – wie wäre das unter normalen Umständen so leicht möglich gewesen? Sie vertritt einen Feminismus der 99%, der nur mit einer Verankerung im Sozialen und nur mit einer ökologisch fundierten Haltung zu denken ist. Den der neoliberalen Denkweise verhafteten Feminismus, der die Angleichung der Frauenrechte an die vorherrschende Männerwelt vorsieht, bezeichnet sie als elitären Feminismus der 1 % und als nicht zielführend für eine gerechtere Gesellschaft. Wie sagten wir schon vor Jahrzehnten? „Wir wollen nicht ein größeres Stück vom vergifteten Kuchen, wir wollen einen anderen Kuchen backen“.
8. – 13. Mai
Am Stephansplatz haben junge Aktivistinnen und Aktivisten Zelte aufgestellt, um an die Situation der Flüchtlinge in den griechischen Lagern zu erinnern. Ich bin all jenen sehr dankbar, die an Themen dranbleiben und uns immer wieder daran erinnern, dass es nicht nur um die ewigen Zahlen um Neuerkrankungen und Impfungen geht, sondern, dass es in der Welt auch noch viele andere „Baustellen“ gibt, für die wir uns interessieren müssen, wenn wir unsere Zivilisation retten wollen.
In Kabul wurden Mädchen in ihrer Schule von Terroristen getötet. In Israel wollen jüdische Siedler in Ostjerusalem die palästinensischen Bewohner aus ihren Häusern vertreiben. All diese Vorgänge sind höchstens einen Satz in den Abendnachrichten wert. Nicht einmal der indischen Tragödie mit den hunderttausenden Corona-Opfern widmen wir viel Aufmerksamkeit. Ich bin auch irritiert wie wenig dabei die politische Situation und der Regierungschef Narendra Modi kritisiert werden.
Er ist auf seine spezifische Art ärger als Bolsenaro in Brasilien. Dennoch beschäftigt sich niemand damit, dass Indien schon in den letzten Jahren von ihm und seiner Hindu-Partei zunehmend in ein vordemokratisches Land verwandelt wurde. Es werden Intellektuelle verfolgt und Hindu-Hokuspokus verbreitet. Modi nimmt immer mehr die Rolle eines Guru statt der eines Regierungschefs ein. Medial hören wir hier wenig dazu. In diesem Zusammenhang hat mich auch die oberflächliche Analyse der kirchlichen Entwicklungsorganisationen, die da ja seit Jahrzehnten Expertise haben müssten, irritiert.
Muttertag ohne Restaurant-Besuche. Wir hatten eine kleine geimpfte und frisch getestete Mehr-Generationen-Runde bei uns zu Gast. Einer der wenigen schönen Frühlingstage dieses Jahres lässt die Welt ein wenig so ausschauen, wie immer. Auch der Flieder beginnt rechtzeitig zu duften. Wie mag es aber den Kindern gehen, deren Mütter in den letzten Monaten in unserem Land ermordet wurden?
Es ist unvorstellbar, mit welchem Trauma diese Kinder weiterleben müssen. Jetzt sind aber endlich viele aufgewacht und das Thema Gewalt an Frauen, aber auch Gewalt insgesamt, bekommt die Aufmerksamkeit, die schon lange nötig ist. Dabei fühlt es sich seltsam an, dass Waffengeschäfte im Lockdown als systemrelevant galten und offen halten durften. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?
Der Tempelberg brennt, Raketen aus dem Gaza Streifen beschießen Israel, die Antwort ist noch brutaler – Gaza wird wieder einmal bombardiert und die sowieso kaputte Infrastruktur total ruiniert. Es trifft auf beiden Seiten unschuldige Menschen. Die Verantwortlichen verhalten sich wie kleine Kinder, die das Spielzeug der anderen zerstören, weil ihres kaputt gemacht wurde. Aber ihr Spielzeug sind Frauen und Kinder.
Ich werde den Verdacht nicht los, dass Premier Netanjahu angesichts der Möglichkeit, dass seine Regierungszeit ein Ende finden und er in Folge dessen an die Gerichte ausgeliefert werden könnte, da massiv gezündelt hat. Die jungen Palästinenser werden angesichts der Opferzahlen in ihrer Heimat zu willfährigen Gefolgsleuten von Terrororganisationen. Die jungen israelischen Soldaten, die in diese Hölle geschickt werden, sind wahrscheinlich für ihr Leben traumatisiert, wie man das ja von Zeitzeugen früherer Kriege weiß.
Wir Menschen fliegen zum Mars, aber haben nicht gelernt, wie man Konflikte anders löst, als in der Steinzeit. Vielleicht sollte das Geld, das jetzt weltweit in die Hand genommen wird, um die Folgen der Corona-Pandemie abzufedern, vermehrt für Friedensforschung und Friedensarbeit investieren, denn ohne Frieden hilft uns auch der Sieg über die Pandemie nichts, wie das Beispiel Israel zeigt.
Heute, zu Christi Himmelfahrt hat der Himmel alle Schleusen geöffnet und der dringend nötige Regen tränkt die Erde und alles was darauf wachsen möchte. Der Wüstenwind die Tage davor war trotz des strahlenden Sonnenscheins auch ein wenig beängstigend. Dennoch irritiert mich das den ganzen Frühling dominierende April-Wetter - heiß-kalt. Ich habe Sehnsucht nach mehr Beständigkeit und Verlässlichkeit – nicht nur beim Wetter.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.