Die Gleichzeitigkeit von Gegensätzlichem
1. – 8. Dezember
Gott sei Dank konnten wir im März, als alles begann, nicht wissen, dass uns das Virus zu Weihnachten noch mehr als am Beginn in seinem Bann halten wird. Jetzt scheint es sicher zu sein, dass weder Restaurants, noch Hotels zu den Feiertagen öffnen dürfen und die Grenzen sollen auch wieder dicht gemacht werden. Ich hoffe, für die Pflegerinnen aus den Nachbarländern gibt es da Ausnahmen, sonst bricht unser mühsam aufrecht erhaltenes System zusammen.
Das Gejammere um den Schitourismus geht mir massiv auf die Nerven. Natürlich tun mir all die Saisonarbeitenden in diesem Bereich leid, die tatsächlich vor dem Nichts stehen. Aber für Seilbahngesellschaften, Luxushotelbesitzenden und viel zu intensiv ausgebauten Chalet-Siedlungen fehlt mir ehrlich gestanden das Mitleid.
Bundeskanzler Kurz hat eloquent wie immer seine Entscheidungen für die Zeit bis Weihnachten verteidigt. Auch wenn mir immer wieder gesagt wird, dass ich ihm gegenüber ungerecht kritisch wäre, es empört mich eben, dass er den Anstieg der Infektionen im Herbst den aus ihren Heimatländern vom Balkan zurückgekehrten Personen in die Schuhe schiebt, weil es seinem Kommunikationschema entspricht, aber dennoch nicht stimmt.
Von den Neuinfektionen nach dem Sommer waren 70 % im Land selbst entstanden, 30 % haben Auslandsurlauber mitgebracht. Davon wieder 70 % Urlaubende vom Balkan. Also sind 20 % der Neuinfektionen damals auf Urlaubende in Slowenien, Kroatien, Bosnien, Serbien usw. zurückzuführen. Da aber unsere Statistiken Gott sei Dank noch nicht darauf programmiert sind, den Infizierten Herkunftsnamen zuzuordnen, ist nicht geklärt, wieviele Meiers und Müllers, die mangels anderer Reisemöglichkeiten an der Adria ihren Sommerurlaub verbrachten und wieviele Andrics und Zadics, die ihre Verwandten besuchten, infiziert zurückkamen. Ich halte Reisebeschränkungen für total okay, weil natürlich Urlaubsstimmung und mangelnde Sozialkontrolle dazu verführen, leichtfertig zu werden, aber bitte keine Diskriminierung von Menschen, die Migrationshintergrund haben und in unserem Land als in der Grundversorgung arbeitende Menschen das alltägliche Leben aufrecht erhalten.
Ein prominenter ungarischer Abgeordneter hat das, was man vom System Orban eh schon immer wusste, für alle deutlich gemacht. Er hat Corona-bedingte Verordnungen gebrochen und in Brüssel mit 25 Anderen an einer Schwulen-Sexparty teilgenommen und es wurden auch Drogen bei ihm gefunden. Bei diesem Mann handelte es sich um einen Vertreter der Fidesz-Partei, der öffentlich Homosexualität gegeißelt hat und der sich wie sein Chef Orban zu einem Vertreter des christlichen Abendlandes hochstilisierte. Als in der katholischen Kirche sozialisierte Frau, weiß ich natürlich, wie sehr Reden und Handeln auseinanderfallen kann, aber dennoch zeigt sich an diesem Ereignis die heuchlerische Haltung vieler selbsternannter Moralhüter sehr deutlich und was von diesen „illiberalen Demokraten“ zu erwarten ist.
Der erste Schnee hat die Welt gleich ein wenig heller erscheinen lassen, aber der Zauber war bald wieder vorbei. Ich erinnere mich wehmütig an die Morgenstunden früherer Jahre, als ich hie und da die ersten Spuren in den neuen Schnee setzte, wenn ich in die Rorate ging. Das war sicher nicht oft der Fall, meist war der Advent auch früher schneelos finster, aber diese paarmal bleiben in wonniger Erinnerung. Es tut sowieso der Seele gut, sich gute Zeiten zu vergegenwärtigen und da ist gerade der Advent eine Fundgrube. Wahrscheinlich wollen sich jene Menschen, die sich am Graben bei den Punschstandeln drängen, auch ihre sentimentalen Adventerinnerungen nicht nehmen lassen, obwohl doch noch immer harter Lockdown ist. Wieso dürfen die überhaupt offen halten?
Grasser und sein Freundeskreis sind jetzt erstinstanzlich ziemlich deutlich verurteilt worden. Ich versuche, meine Schadenfreude zurückzudrängen, das ist kein anständiges Gefühl. Dennoch, wir haben schon im Jahr 2003, als er der Liebling sämtlicher Industriellen, der Sektionschefs im Finanzministerium und seines Kanzlers Schüssel war, ihn in unserem Kabarett als abzockenden Scharlatan entlarvt und darauf kann man auch ein bisschen stolz sein.
Zweiter Adventsonntag, Nikolaustag und mit der Familie nur über Whatsapp durch den Austausch von Adventdekoration und bereits fertiggestellter Kekse verbunden. Um nicht mieselsüchtig zu werden, muss ich mir immer vor Augen halten, welche Gnade es ist, dass wir alle gesund sind und keine wirklichen existentiellen Probleme haben. Wenn die Einsamkeit zu drückend wird, rufe ich Freundinnen und Freunde an, um mit ihnen ein wenig über Gott und die Welt zu räsonieren, denn ich denke, denen geht es allen ähnlich wie uns. Was haben Menschen früher in solchen Situationen gemacht, als es noch kein Radio, Fernsehen und Handy gab? Wahrscheinlich haben sie viel gebetet und sich so ebenfalls über den Äther mit Gott und der Welt verbunden und daraus Kraft geschöpft.
Apropos Radio, ich kann garnicht sagen wie froh ich bin, dass es Ö1 gibt und auch die Möglichkeit, Sendungen nachzuhören. Denn altersbedingt muss ich mir manches zweimal anhören, damit ich es einmal erfasse.
Wir haben an einer Zoom-Veranstaltung über Amazonien teilgenommen. Referiert haben Kenner und Erforscherinnen dieses Lebensraums, der so groß wie ganz Europa ist und natürlich war auch Bischof Kräutler per Zoom zugeschaltet. Es war schon ein seltsames Gefühl, jemanden im Bild zu haben, der, wenn er aus dem Fenster schaut den Xingu vor sich sieht.
Ich denke, dass wir von den Indigenen für die Zukunft viel lernen können. Die Nutzung des Regenwalds für das eigene Leben und ihn dennoch nicht zu zerstören, das wird auch für unsere Natur- und Kulturräume eine beispielhafte Lebensform werden müssen. Es hat mich an die Fairtrade-Kaffeebauern in der Sierra Juarez in Mexico erinnert. Dort wurde der Kaffee in einem bestehenden Bergwald angepflanzt, umgeben von Papayas, Mangos, Bananen und zahlreichen anderen Nutzbäumen und dazwischen Bienenstöcke zur Honiggewinnung. Das war sehr romantisch, gleichzeitig aber darf man vor der harten Arbeit dieser Bauernfamilien nicht die Augen verschließen. Kaffee ernten im steilen Berggelände und dann die Säcke in den Ort schleppen, das zehrt an der Substanz. Um diesen Menschen, die nicht nur Bauern sind, sondern auch Bewahrer eines wertvollen Natur- und Kulturraums, das Leben zu erleichtern, würde sich Forschung in angepasste Technologie lohnen. Verblüfft hat mich damals auch, dass in diesen Dörfern, die nur über mühselige Pfade erreichbar sind, große Kirchen aus der Kolonialzeit standen, sie waren bebildert mit heiligen Figuren, die eindeutig Indigene waren. Noch mehr gefreut hat mich allerdings, dass am Gemeindehaus ein großes Transparent auf die „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“ aufmerksam gemacht hat. Ich weiß zuwenig, um das alles einordnen zu können, aber die Gleichzeitigkeit von traditioneller Lebensform und Aufgeschlossenheit für das hier und jetzt war deutlich spürbar und das ist es auch, was wir in Zukunft brauchen werden.
Jetzt sind die Geschäfte wieder offen und die großen Möbelfirmen kennen keinen Genierer. Sie haben die Rabattschlacht eröffnet. Dabei werden Möbelhäuser kaum Einbußen haben, da ihre Ware ja kein leicht verderbliches Verbrauchsgut ist – oder vielleicht doch? Wenn man so alt ist wie ich, hat man halt kein Verständnis für das Vermitteln von Lustgefühlen durch Shopping. Aber wenn ich ehrlich bin, so hat es mir früher auch ziemlichen Spaß gemacht, Weihnachtsgeschenke besonders günstig zu kaufen. Da war allerdings auch immer sehr viel Stress dabei. Woran ich mich allerdings noch viel lieber erinnere, ist das Selbermachen – von Puppenhäusern bis Festtagskleidern, überhaupt das Stricken, Nähen und Wiederverwerten vom Gebrauchtem. Wie ich beobachten kann, nimmt die Lust am kreativen Selbergemachten bei jungen Menschen wieder massiv zu. Es gab halt schon immer die Gleichzeitigkeit von Gegensätzlichem und es kommt nur darauf an, wohin das Pendel ausschlägt. Also verstärke ich jetzt einmal die Seite der kreativ Produzierenden und suche meine zahlreichen Weihnachtskeks Rezepte nach neuen Kreationen ab. Ich kann sie ja heuer mit unseren Betreuerinnen bis in die Slowakei und nach Ungarn schicken.
Traude Novy