Finanzbildung - ein zivilgesellschaftliches Projekt?
Die Armutskonferenz ist ein breit aufgestelltes Netzwerk der Zivilgesellschaft wo Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, von Armut betroffene Menschen, Mitarbeiterinnen von NGOs und sozialen Diensten, sowie Vertreterinnen und Vertreter politischer Parteien und der Kirchen die individuellen Lebenssituationen aber vor allem die gesellschaftlichen und politischen Zusammenhänge, wie Armut entsteht, was sie verfestigt und was wir dagegen tun können, ausgetauscht werden.
Die Brisanz der Klimakrise und des Krieges wurde uns noch einmal deutlich. Sie zeigt sich für armutsgefährdete Menschen vor allem daran, dass das Angebot in den Sozialmärkten ausgedünnt wird, gleichzeitig aber die Zahl jener Menschen, die dort einkaufen müssen, sich verdoppelt hat. Grundbedürfnisse wie Wohnen und Essen, Strom und Gas sind schon lange Spekulationsobjekte am Finanzmarkt, diese Fehlentwicklung zeigt sich aber in den Krisen noch deutlicher. Gleichzeitig leiden arme Menschen durch ihre beengten Lebensumstände noch mehr unter den Auswirkungen der Klimakrise, vor allem in den Städten. Es brennt, im wahrsten Sinn des Wortes.
Da trifft es sich, dass parallel zu der Armutskonferenz ein, wie sie sich selbst bezeichnen „breites Netzwerk der Zivilgesellschaft“ namens „Stiftung Wirtschaftsbildung“ bestehend aus ERSTE-Stiftung, Industriellenvereinigung, Stiftung der Bank Austria , Nationalbank, Innovationsstiftung für Bildung, Wirtschaftskammer und als Feigenblatt auch Arbeiterkammer, ihr Pilotprojekt „Wirtschaftsbildung in die Schulen“ an 30 Schulen ausprobieren wird. Mich stört daran einiges, aber vor allem der dort verwendete Begriff der „Zivilgesellschaft“. Die sah ich eher bei der Armutskonferenz vertreten, aber dorthin hat sich niemand vom Finanzsektor verirrt – sie hätten da allerdings einiges lernen können.
Möglicherweise sind Banken-Stiftungen, Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung und Arbeiterkammer Teil der Zivilgesellschaft. Aber ich würde sie eher als Interessensvertretungen titulieren. Unter breit aufgestellt verstehe ich allerdings etwas anderes.
Schon lange ist den Akteuren am Finanzmarkt die angeblich mangelnde Finanzbildung ein Dorn im Auge. Andreas Treichl lobbyiert schon lange dafür, statt das Fach Geographie und Wirtschaftskunde aufzuwerten, ein eigenes Fach Wirtschaftsbildung in den Schulen zu implantieren, das sich aber vor allem mit Finanzbildung beschäftigen soll. Das Hauptinteresse ist es, die Sichtweise der neoliberalen Mainstream-Ökonomie auch in den Schulen zu etablieren. Nicht die zunehmende Ungleichheit in unseren Gesellschaften soll thematisiert werden, sondern Armut wird als individuelles Problem des fehlenden Wissens über den Umgang mit Geld denunziert. Altersarmut von Frauen wird als mangelnde Investition in private Pensionskassen festgemacht. Die Stiftung Wirtschaftsbildung wird vorwiegend von Banken und Arbeitgeberorganisationen finanziert – dass sich die Arbeiterkammer ihr soziales Mäntelchen darüber hängt, finde ich äußerst bedenklich.
Die gewinnorientierte Wirtschaft hat ein legitimes Interesse daran, dass ihre Sicht von Ökonomie gesamtgesellschaftlich verbreitet wird. Sich aber als breit aufgestellte Zivilgesellschaft zu verkaufen, ist ein schäbiger Etikettenschwindel. Mächtige Lobbyisten des Finanzmarkts und der herrschenden neoklassischen Wirtschaftstheorie ist es gelungen, in den Schulen Fuß zu fassen, weil sie mächtige Fürsprecher haben und Wirtschaftsjournalistinnen und Journalisten großteils neoliberal verbildet sind.
Eine kritische Sicht auf wirtschaftliche Zusammenhänge ist derzeit noch Aufgabe des ziemlich ausgedünnten Unterrichtsfachs Geographie und Wirtschaftkunde, aber wie lange noch? Denn der Angriff der Finanzmarkt gesteuerten Wirtschaftsbildung ist breiter angelegt. Fast täglich kommt nicht im Public Relations-Teil der Zeitungen, sondern redaktionell verfasst, jemand zu Wort, der die ganze Misere von Armut und vor allem Altersarmut von Frauen auf das mangelnde Finanzwissen reduziert. Die Frage der sozialen Abfederung durch die Gesellschaft, der Überreichtum weniger, die sich aus der sozialen Verantwortung geschlichen haben, indem sie kaum Steuern zahlen, wird auf das individuelle Problem des mangelnden Finanzwissens armutsgefährdeter Menschen reduziert. Ja sogar der fehlende Kampf gegen die Klimakrise, wird der fehlenden Risikobereitschaft von Bürgerinnen und Bürgern bei Investitionen in das grüne Wachstum zugeschrieben.
Aber die Machtübernahme einer enggeführten Wirtschafts- und Finanzbildung beschränkt sich nicht auf die Schulen. Ein Trommelfeuer des Lobbyings prasselt auf uns Frauen nieder. Es vergeht kaum eine Woche, wo nicht in den Medien für die private Altersvorsorge als Schutz vor Altersarmut geworben wird. Es dürfte auch einiges an Geld fließen, denn Frauennetzwerke bieten jetzt Programme an, wie „Werde Heldin deines Geldes“, "werde Pilotin deines Geldes“ usw. Bedenklich finde ich es nur, dass auch die Katholische Frauenbewegung auf den Zug aufgesprungen ist und Veranstaltungen organisiert, wo Finanzmarktakteurinnen in Gesellschaft von Theologinnen für eine private und individuelle Finanzgebarung wirbt. Wenn es richtig wieder gegeben wurde, wird der richtige Umgang mit Geld sogar dafür empfohlen, häuslicher Gewalt vorzubeugen. Das soll heißen, wenn Frauen gut mit Geld umgehen, sehen Männer keinen Grund gewalttätig zu sein.
Wir haben in der Frauenbewegung schon lange versucht, Wirtschaftsbildung zu organisieren, allerdings konnten wir es uns nicht leisten, nachher zu einem Buffet einzuladen und die Politik als Mitveranstaltende zu gewinnen. Bei unserem Ansatz ging es eher darum, über wirtschaftliche Zusammenhänge aufzuklären, das Steuersystem kritisch zu hinterfragen, die unbezahlte Sorgearbeit als Ursache von Altersarmut von Frauen festzumachen usw. Dass Altersarmut von Frauen damit zusammenhängt, dass sie nicht risikofreudig in ihre private Alterspension investieren, war allerdings nicht unser Ansatz.
Es macht mich traurig, dass Organisationen der Zivilgesellschaft so leicht den Verlockungen der Macht und des Geldes erliegen und beim Lobbyismus für den Kapitalismus mitspielen, statt sich mit den benachteiligten Menschen zu solidarisieren, sich z. B. in der Armutskonferenz und beim Netzwerk „Mehr für Care“ usw. zu engagieren, um eine breite Zivilgesellschaft für das gute Leben aller und gegen den Überreichtum weniger zu mobilisieren.
Ich empfehle zum Weiterlesen:
Wirtschaft anders denken – Handbuch für Feministische Wirtschaftsalphabetisierung.
Wirtschaft anders denken – Feministische Care-Ökonomie
Anders wirtschaften – Zeit für eine Care-Wende
https://wide-netzwerk.at/broschueren-print/
Alle zu beziehen bei WIDE-entwicklungspolitisches Netzwerk für Frauenrechte und feministische Perspektiven Margaretenstraße 166/218-221
office@wide-netzwerk.at
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.