„Weinviertelakademie“ befasste sich mit prekären „24-Stunden-Betreuung“ im Pflegebereich
Für eine umfassende Seelsorge im Pflegebereich hat sich Weihbischof und Bischofsvikar Stephan Turnovszky bei der „Weinviertelakademie 2016“ am 18. Februar 2016 im Bildungshaus Großrußbach ausgesprochen. Dazu zählten die zu Pflegenden, die (oft auch pflegenden) Angehörigen sowie das Pflegepersonal bzw. die Betreuerinnen und Betreuer. Die Sorge der Kirche um die Betreuerinnen und Betreuer sei derzeit so etwas wie ein „seelsorglicher blinder Fleck“. Er erlebe bei den Visitationen immer wieder, wie „bei der häuslichen Pflege Großartiges geleistet“ werde. Jene, die pflegen und unterstützen, müssten auch „entlastet“ werden.
Turnovszky schlug auch vor, dass jene, die die Krankenkommunion in die Häuser bringen, „auch in andere Orte gehen“ sollten. Der Weihbischof sprach sich auch für ein „begleitetes Sterben“ aus, „medizinisch und menschlich“ und er sei „dankbar für die Palliativ-Medizin“. Die letzten Lebensjahre seien „eine wichtige Lebensphase“. Turnovszky: „Was machen prekär Beschäftigte nach dem Tod, mit wem können sie sprechen?“
Frage der Verantwortung
Bernhard Rupp von der Arbeiterkammer Niederösterreich erinnerte in seinem Statement an „die starke Verantwortung der Familie“ im Pflegebereich. Zugleich beklagte er das Dilemma, dass die Betreuerinnen und Betreuer oftmals aus Osteuropa zwar ein „freies Gewerbe“ ausübten, zugleich aber auch aufgrund der Preisunterschiede in diesen Ländern „auch oftmals ausgenutzt“ würden. Hier sei die Stimme der Kirche im Hinblick auf das Thema Solidarität gefragt, so Rupp. Er sprach sich auch dafür aus, im Bereich der Pflege mehr Sachleistungen anzubieten als Geld. Das 1993 eingeführte Pflegegeld habe eine Art „Markt“ im Pflegebereich eröffnet.
Alexander Miklautz vom Kabinett des Sozialministers erinnerte, dass an die 80 Prozent der Pflege in Österreich von den zu Hause pflegenden Angehörigen erbracht werde. Durch die Einführung des Pflegegeldes und der Pflegekarenz seien Meilensteine in der Sozialgesetzgebung gesetzt worden. Ziel sei es, dass „die pflegebedürftigen Personen jene Pflege bekommen, die sie sich wünschen“. Bei der 24-Stunden-Betreuung gelte es immer, die Qualität dieser Betreuung zu sichern.
Mobile Pflege und prekäre Arbeitssituationen
„Den Abend könnte man unter das Motto Prekarisierung stellen“, sagte Bettina Haidinger, die FORBA-Referentin des Abends, im Blick auf die von italienischen KAB-Aktivisten 2001 ins Leben gerufene „Santa Precaria“, der Schutzpatronin für alle von Prekarisierung Betroffenen. Im Blick auf die „höchst interessante“ Santa Precaria-Fahne skizzierte Haidinger, die „Mobile Pflege“ am Land werde mehr und mehr durch die 24-Stunden-Betreuung ersetzt. Generell verlasse sich die Politik einfach darauf, „dass die Pflegearbeit gemacht wird“. Dabei sei Pflege „eine qualitativ hochwertige Arbeit“. In ihrem Vortrag sagte Haidinger, dass im Jahr 2016 in der 24-Stunden-Betreuung an die „76.000 selbständige Personenbetreuerinnen und -betreuer tätig seien, der Großteil davon sind Migrantinnen und Migranten“.
Die Organisationsform sei ein Rotationssystem: „Die Betreuerinnen und Betreuer verrichten bei uns zwei bis drei Wochen die Pflege, dann haben sie zwei, drei Wochen Pause, die sie in ihrem Heimatland bei ihren Familien verbringen.“ Vermittelt würden sie oft über Vereine, Agenturen oder Ärzte. Haidinger nannte die gesetzliche Regelung der 24-Stunden-Betreuung einen „Erfolg“ für ein bestimmtes Segment von Pflegebedürftigen. Tendenziell werde die oft unbezahlt erbrachte familiäre Betreuungsarbeit durch die „zunehmende Vermarktlichung“ professionalisiert und die „meist von Frauen erbrachte Pflegearbeit finanziell vergütet“. Generell lasse sich die Fürsorgearbeit in drei Bereiche gliedern: Tätigkeiten in Form eines formellen und potentiell kollektiv verhandelbaren Dienstverhältnisses, Tätigkeiten in informellen Arbeitsverhältnissen und unbezahlte Tätigkeiten, meist von Familienmitgliedern im Haushalt erbracht.
Reste von Solidarität bewahren: „Es ist toll, wenn man mit den Leuten redet“
Wie sehr das Thema die Zuhörenden bewegte, zeigte die bisweilen emotional geführte Podiumsdiskussion, die von Gabriele Kienesberger von der „Katholischen Sozialakademie Österreich“ moderiert wurde. Bettina Haidinger plädierte dabei für „psychologische Unterstützung in schweren Zeiten“, denn „es haben sich prekärste Arbeitsverhältnisse entwickelt“. Turnovszky unterstrich: “Alle brauchen Fürsorge, Care-Arbeit. Ein sterbender Mensch ist ein lebender Mensch. Der hat vor Gott noch eine Aufgabe. Sterben ist eine wichtige Lebensphase“, so der Weihbischof.
Bernhard Rupp gestand, niemand sei mit dem Betreuungsgesetz glücklich. Er führte weiter aus: „Wir können die Lohn- und Preisunterschiede nicht wegdiskutieren. Wir müssen sehen, dass wir Reste von Solidarität bewahren auf dem Weg der Gewerkschaften, der Kirchen und der Zivilgesellschaft. Dazu müssen wir die Rolle von Caritas, Sozial- und Volkshilfe stärken. Wir müssen ungleiches ungleich behandeln“. Rupp schloss: „Wir müssen ausverhandeln was uns wichtig ist. Es wird nicht die Lösung geben. Wir haben keine Lösung“.
Bildungshaus-Direktor Franz Knittelfelder lud dazu ein, das Thema „in die Pfarren zu tragen und damit auch Bildungsarbeit und Aufklärung zu leisten. Johann Schachenhuber, der Stv. KA-Vikariatsausschuss-Vorsitzende freute sich, so viele BesucherInnen aus dem gesamten Weinviertel begrüßen zu können und ermutigte aus eigener Erfahrung: „Es ist toll, wenn man mit den alten Leuten redet“. Veranstaltet wurde die Weinviertelakademie vom Bildungshaus Großrußbach, von den Gliederungen der Katholischen Aktion des Nord-Vikariats und vom Katholischen Bildungswerk.