Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.
Dennoch, einen Krieg mitten in Europa haben wir uns nicht vorstellen können. Ja, es ist so – die Ukraine liegt geographisch gesehen, mitten in Europa. Ich denke sogar, dass einer der Gründe, wieso es zu diesem Krieg kommen konnte, daran liegt, dass wir eben ein falsches Bild von unserem Kontinent haben.
Alles was sich in der östlichen Hälfte abspielte, war ein Randphänomen. Wir fühlten uns geistig den USA immer näher, als der anderen Hälfte von Europa. Was sich dort ereignete, interessierte uns nicht wirklich.
Es stärkt ja auch nicht gerade das europäische Selbstbewusstsein, sich eingestehen zu müssen, dass extreme Armut, unvorstellbarer oligarchischer Reichtum, Misswirtschaft, Wirtschaftskriminalität und extreme Umweltzerstörung, Landgrabbing und Raubbau von Bodenschätzen nicht allein in Afrika, Asien und Lateinamerika beheimatet, sondern auch in Europa weit verbreitete Phänomene sind. Autokratische, nationalistische und korrupte Regierungen sind in der Mehrzahl und sogar die EU bleibt von diesen Erscheinungen nicht verschont.
Aber natürlich haben wir es als neue europäische Errungenschaft und Erweiterung begrüßt, dass die Zentren der europäischen Hauptstädte, allen voran die Finanzmetropole London zu aufwändigen Domizilen osteuropäischer Oligarchen wurden und in den Mittelmeerhäfen deren unvorstellbar luxuriösen Yachten ankerten.
Wer stieß sich dran, dass heimische Oligarchen sich mit diesen eng verbündeten? Man verhielt sich so, wie zu Zeiten des Zarenreichs, als die russische Oberschicht die Riviera eroberte, und diese gemeinsam mit den westeuropäischen Eliten auf das heimatliche Sklavenvolk herabblickten und es ausbeuteten. Das Zeitfenster, als die Chance bestand, Demokratie und Freiheit in ganz Europa zu ermöglichen, wurde von jenen wenigen, die in der Öffnung nur eine Möglichkeit zur individuellen Bereicherung sahen, schnell wieder zugedrückt. Ja, es wäre auch ein Wandel durch Handel möglich gewesen, wenn unter Handel etwas anderes verstanden worden wäre, als die Chance zur schrankenlosen Gewinnoptimierung und Bereicherung auf Kosten der vielen.
Dennoch hätte ich mir, trotz meines pessimistischen Weltbildes nicht vorstellen können, dass Putin durch seinen Einmarsch in der Ukraine einen Krieg des 19. Jahrhunderts mit den Waffen des 21. Jahrhunderts beginnen könnte. Ich habe ihn von Anfang an für einen autokratischen Machthaber ohne Skrupel gehalten, aber noch 2021 war ich der Meinung, dass Trump die gefährlichere politische Person wäre, nicht weil ich Putin für anständiger gehalten hätte, sondern ich sah in ihm einen rational denkenden Machtpolitiker – werch ein Illtum! (Ernst Jandl).
Jetzt sitzen wir also in diesem Europa auf einem Pulverfass und niemand weiß, wie es weitergehen soll. Zu Silvester wurden bei uns so viele Böller verschossen, wie noch nie - sollen wir uns vielleicht an dieses Getöse gewöhnen? Bezeichnend dafür ist, wie die deutsche Heeresministerin sich nicht scheute, inmitten dieser kriegsähnlichen Böllerei stehend, sich über die mit dem Krieg verbundenen vielen neuen Eindrücke, die sie gewinnen konnte, äußerte.
Die viel belächelte russische Volkswirtschaft, die es ja angeblich nicht einmal mit Spanien aufnehmen könnte, zwingt Europa in seiner wärme- und energiemäßigen Not, sich anderen Gewaltregimen an den Hals zu werfen, Kohle und Atomkraft zu reaktivieren. In Afrika hungern Menschen, weil sie vom ukrainischen und russischen Getreide abhängig sind – und wie es aussieht, gehen den Russen nicht einmal die Mikrochips und Drohnen aus, weil eben andere liefern. In der Grippewelle mangelt es bei uns an Medikamenten, weil die Lieferketten nicht mehr funktionieren. Hatten wir möglicherweise ein falsches Bild davon, was wir wirklich zum Leben brauchen? War die hemmungslose ökonomische Globalisierung ein Irrweg?
Wenn man österreichische Zeitungen liest, weiß man sehr schnell, wer an allem schuld ist. Noch nie haben so viele Menschen der „Politik“ misstraut wie eben jetzt. Aber wer ist „Die Politik“? Laut Wikipedia bezeichnet man damit die Strukturen, Prozesse und Inhalte zur Regelung der Angelegenheiten eines Gemeinwesens.
An diesen Strukturen, Prozessen und Inhalten sind in einer Demokratie in unterschiedlicher Verantwortung aber alle Bürgerinnen und Bürger beteiligt. Wir alle machen Politik, so wie es Bruno Kreisky sinngemäß sagte: „Wenn Sie sich nicht für die Politik interessieren, wird sich die Politik für Sie interessieren.“ Das Misstrauen der „Politik“ gegenüber, sollte daher auch eine Selbstkritik sein. Es scheint aber eher so zu sein, dass viele Menschen ihre politische Verantwortung vollkommen an jene abgegeben haben, die sie alle 5 Jahre mal wählen und die wie Mama und Papa es schon für sie richten sollen.
Wenn dann die Umstände mal so sind, dass Mama und Papa wenig zu verschenken haben und von den lieben Kinderlein auch ein wenig Verzicht einfordern, dann werden sie rebellisch. Und wie reagieren dann jene, die sich als Erziehungsberechtigte der Bürgerinnen und Bürger sehen, nämlich die gewählten Politiker und Politikerinnen? Sie verteilen nach wie vor Geschenke, allerdings an jene, die am lautesten schreien und es zumeist nicht wirklich nötig haben, weil die, denen es wirklich schlecht geht, halt nicht so laut sind. Aber statt nun wieder geliebt zu werden, sehen die Beschenkten, dass es trotzdem eng wird und reagieren entsprechend schmollend.
Aber so geht Demokratie nicht. Demokratie heißt Beteiligung aller Bürgerinnen und Bürger an den Strukturen, Prozessen und Inhalten unseres Gemeinwesens. Und natürlich sind es die gewählten Vertreterinnen und Vertreter, die die größte Verantwortung auch dafür tragen, dass sich alle an der Gestaltung unseres Gemeinwesens beteiligen können.
Ein Mittel dafür ist die öffentliche informierende Kommunikation. Das ist etwas ganz anderes als das, was derzeit praktiziert wird, wo Kommunikation als Werbung und Public Relations missverstanden wird und den Umfragen folgend, dem Volk nach dem Mund gesprochen wird, statt „dem Volk zwar „auf’s Maul“ zu schauen, aber dem Bildungsauftrag gerecht werdend, dieses auch ehrlich zu informieren und einzugestehen, dass wir derzeit alle Neuland betreten und alle nach bestem Wissen und Gewissen handeln müssen, wenn wir nicht unsere zivilisatorischen Errungenschaften auf’s Spiel setzen wollen.
Apropos Bildungsauftrag. Wofür hält uns der ORF eigentlich? Es ist sicher so, dass zu den Feiertagen vor allem jene vor dem Fernseher sitzen, die alt und zumeist auch einsam sind. Aber wir Alten sind keine dummen, unmündigen und vergesslichen Lebewesen, für die man jedes Jahr die gleichen Weihnachtsgeschichten, schnulzigen Musiksendungen, die gleichen Komiker und zum Drüberstreuen tränendrüsenförderndes Licht ins Dunkel servieren muss.
Das ORF Programm zu den Feiertagen zeigt genau das gleiche Menschenbild, das sichtlich auch Politikerinnen und Politiker haben – Kinder und Greise, die auf niedrigstem Niveau unterhalten werden wollen. Aber um mit unserem Bundespräsidenten zu sprechen „So sind wir nicht“. Wir Alte haben Lebenserfahrung und Lebenswissen. Uns kann man anspruchsvoll unterhalten und sich auch ganz speziell für uns etwas ausdenken. Es ist tragisch, dass es im ORF sichtlich mal anders zuging.
Denn in Ermangelung von Neuem, war die Flucht in die mehr als 20 Jahre alten „Single Bells“ und in die Piefke Saga noch das interessanteste. Damals hat sich der ORF sichtlich noch was getraut und dem Publikum zugetraut. Soviel ich weiß, produzierte man damals auch die „Alpensaga“ und die „Arbeitersaga“ – die wurden nie wieder ausgestrahlt, vielleicht auch deswegen, weil es dabei um ernsthafte Geschichtsaufarbeitung ging, nicht so wie bei den ewigen Kriegsreminiszenzen für Weltkriegs-Faszinierte, mit denen ORF 3 meint, seinem Bildungsauftrag gerecht zu werden.
Rundum also keine guten Zeiten – was tun? Ich versuche es damit, mir meine Kritikfähigkeit zu erhalten, aber in meinem Lebensumfeld für ein gutes Klima zu sorgen und liebevolle Freundlichkeit zu verbreiten, so gut ich es eben schaffe. Zuversicht und Hoffnung will ich trotz allem nicht aus dem Blick verlieren und die zutiefst christliche Utopie einer möglichen anderen Welt in mir lebendig halten. Denn erstens kommt es immer anders und zweitens als man denkt.