L’etat c’est moi - der Staat bin ich
Anders ist es nicht zu erklären, dass sie sich wie unmündige Kinder verhalten, indem sie den Staat einerseits sehr klein halten wollen, andererseits aber höchste Ansprüche an ihn stellen. Deutlich wurde es für mich, als bei der Forderung, die kalte Progression abzuschaffen, immer davon gesprochen wurde, dass der Staat den Menschen das zurückgeben müsse, was er ihnen vorher „aus der Tasche gezogen hat“. Aber wer ist der Staat, was tut er und zu welchem Zweck zahlen wir ihm unsere Steuern?
In einem demokratischen Staat sind die Bürgerinnen und Bürger der „Souverän“. Sie werden durch von ihnen gewählte Personen in der parlamentarischen Versammlung vertreten. Eine Parlamentsmehrheit schlägt die Regierung vor, die dann vom Bundespräsidenten ernannt wird. Die Regierung ist das vollziehende Organ, das mit Hilfe der Verwaltung, die vom Parlament beschlossenen Gesetze umsetzt. Davon unabhängig ist die Judikative, die Gerichtsbarkeit, die auf verschiedenen Ebenen das Handeln von Parlament und Regierung kontrolliert und Übertretungen von Bürgerinnen und Bürgern und öffentlichen Organen ahndet. Diese sogenannte Gewaltenteilung soll garantieren, dass es ein ausbalanciertes Gleichgewicht zwischen den einzelnen Vertreterinnen und Vertretern der Bürgerinnen und Bürger gibt und diesen zu ihrem Recht verholfen wird.
Der Staat als Vertreter der Bürgerinnen und Bürger ist also ein sehr diverses Konglomerat mit vielen verschiedenen Aufgaben und Pflichten. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Mariana Mazzucato hat diese in Form von 7 Säulen skizziert (siehe Luise Gubitzer 2022:35ff.)
In der ersten Säule stellt sie fest, dass Wert nicht von Einzelnen, sondern kollektiv geschaffen wird. Es ist nötig, die gesamte Wertschöpfungskette zu sehen. Es beginnt im Haushaltssektor, umfasst den Bildungs- Erziehungs-, Gesundheits-, und Pflegebereich des öffentlichen Sektors und der nicht-gewinnorientierten Wirtschaft und die gewinnorientierte Wirtschaft.
Die zweite Säule sieht den Staat als Mitgestalter von Märkten und nicht als deren Reparateur. Er stellt Mittel bereit, damit Märkte überhaupt funktionieren können. Welche Art von Märkten wir wollen, muss parlamentarisch ausgehandelt werden und dabei die unterschiedlichsten Interessen der Bevölkerung miteinbeziehen.
Die dritte Säule umfasst die Investitionen in die Personalressourcen des öffentlichen Sektors. Es muss für genügend Beamte auf allen Ebenen und in allen Bereichen, für Gesundheitspersonal, Lehrende, Forschende mit hoher Qualifikation gesorgt werden. Die Daseinsfürsorge von der Energieversorgung bis zur Müllabfuhr sollte staatliche und nicht gewinnorientierte Aufgabe sein.
Vierte Säule ist das Budget und dessen langfristige Finanzierung. Mariana Mazzucato führt an, dass für Missionen zu Zeiten von Kriegen immer Geld zur Verfügung steht – wir erleben das eben jetzt wieder! Deshalb sollte abseits dieser destruktiven Form der Finanzierung bedacht werden, dass sich die öffentlichen Investitionen in Care-Arbeit, Bildung, Qualifizierung, Gesundheit, Beratung usw. rechnen und auf alle Bereiche einen Multiplikatoreffekt haben, Wirtschaftswachstum generieren und einen geringen Ressourcenverbrauch haben.
Die fünfte Säule ist das Thema der Verteilung und des Teilens von Wertschöpfung. Eine wichtige Aufgabe des demokratischen Staates ist es, für Umverteilung zu sorgen. Gerade in Krisenzeiten kommt es auf der einen Seite zu Verarmung breiter Bevölkerungsteile und auf der anderen Seite zu enormen Vermögenssteigerungen im Energiesektor, im militärisch technischen Bereich, bei der Digitalisierung, Pharmaunternehmen, Immobilienentwicklern, Landwirtschaftskonzernen usw. Der Staat als Vertretung der Bürgerinnen und Bürger hat mittels Steuern durch Steuern dabei einen Ausgleich zu leisten.
Die sechste Säule ist die Partnerschaft des Staates mit Stakeholdern des privaten Bereichs. Bei den derzeitigen Public-Private-Partnerships (PPP) gehen die Profite zumeist in private Kassen und die Verpflichtungen bleiben großteils bei der öffentlichen Hand. Das muss zukünftig auf gleicher Ebene gestaltet werden. So sind z.B.Betreuungsorganisationen von Flüchtlingen oder Frauenberatungsstellen keine Bittsteller, sondern gleichberechtigte Partner, auf denen eine große Last des sozialen Zusammenhalts ruht.
Siebente Säule – Teilhabe, Mitbestimmung und Demokratie leben. Dazu braucht es Orte, Zeit, Information, damit das Wissen aller an der Wertschöpfung Beteiligten in Entscheidungen einfließen kann. Dezentralisierte Foren sind einzurichten, die alle Stimmen zu Wort kommen lassen, Frauen sind zu ermutigen, sich zu Wort zu melden. „Teilhabe bedarf des gemeinsamen Neuentwurfs unserer Zukunft. Aus diesem Grund ist es unerlässlich, verschiedene Stimmen an einen Tisch zu bringen.“ meint Mariana Mazzucato.
Wenn wir also den Staat als das sehen, was er ist, als Organisationsform, die das gute Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger partizipativ organisiert, für Gleichberechtigung und Gerechtigkeit sorgt, Vorsorge und Fürsorge mittels Verwaltung ermöglicht, den Ausgleich zwischen privatem Interesse und Gemeinwohl herstellt und wir Bürgerinnen und Bürger durch unsere parlamentarischen Vertreterinnen und Vertreter, aber auch durch Teilhabe an Entscheidungsprozessen an der Weiterentwicklung der Demokratie mitarbeiten, können wir vielleicht in Zukunft wirklich alle sagen „l´etat c´est moi."
Frau Prof.in Luise Gubitzer regt mich schon seit Jahren an, wirtschaftliche Vorgänge mit dem Analysetool des Fünf-Sektoren-Modells der Gesamtwirtschaft zu betrachten. Ihr Beitrag im Dossier Anders-wirtschaften – Zeit für eine Care-Wende, herausgegeben vom Verein JOAN ROBINSON, WIDE (2022) hat mich dazu bewogen, mich mit unterschiedlichen Sichtweisen auf den Staat auseinanderzusetzen. Prof.in Gubitzer beschäftigt sich in dem Dossier mit der Rolle des Staates besonders während der Pandemie unter dem Titel: „Alle versorgt? Ja, aber doch unterschiedlich. Der Öffentliche Sektor – Staat in und nach der Pandemie am Beispiel Care.“ Sie hat mir dabei geholfen, meine Gedanken zu diesem Thema zu ordnen und etwas klarer zu sehen. Dafür danke ich ihr herzlich.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.