Ohne Fluchterfahrung gäbe es kein Altes Testament
Das Forum Zeit und Glaube und die Stiftung Pro Oriente laden anlässlich der aktuellen Fluchtbewegungen zu einer Vortragsreihe ein (Termine siehe unten). Der Auftakt widmete sich dem biblischen Aspekt des Themas. Oliver Achilles, wissenschaftlich-pädagogischer Assistent für Altes und Neues Testament bei den Theologischen Kursen Wien zeigte in seinem Vortrag „Vom Flüchten in der Bibel“, dass sich das Thema „Flucht“ sich wie ein roter Faden durch die Bücher des Alten Testaments zieht.
Symbolbilder der Flucht
Ein erstes Symbolbild für Flucht ist die Bundeslade, die von ihrer Beschaffenheit so konzipiert ist, dass das Volk leicht in der Lage ist, diese Lade mitzunehmen. Bei Ausgrabungen in Karfarnaum fand man einen Stein, der eingemeiselt diese Bundeslade, auf Rädern zeigt. Sie war offenbar transportabel und kann somit als ein Symbol dafür gesehen werden, dass der Gott Israels immer dort ist, wo auch sein Volk ist. Die Bundeslade ist daher, wenn man so will ein portatives Heiligtum. Ein anderes Symbolbild wäre das Katharinenkloster am Berg Sinai. Zunächst steht es für Stabilität. Entscheidend ist jedoch der Ort, an dem es steht, nämlich auf dem Berg Sinai, der außerhalb des Landes liegt und zwar genau auf der Fluchtroute, die das Volk bei ihrem Auszug aus Ägypten nehmen mußte. Der Berg Sinai ist der Berg der Gottesbegegnung, der vom Volk Isreal auch wieder verlassen wird, um sich in das verheißene Land aufzumachen. Der Sinai liegt aber eben nicht im Zentrum des Landes, sondern in der Peripherie, in der Wüste und auf dem Weg der Flucht.
Tief in die Erfahrung des Volkes eingegraben ist also die Erinnerung von Flucht, von Zerstörung und Vertreibung. Es sind Erfahrungen, die eng mit seiner eigenen Identität verwoben sind.
Verschriftlichung der Fluchterfahrung
Im 7. /8. Jhdt v. Chr. kam es zur nächsten Krise. Die Assyrer eroberten die Stadt Lachisch und deportierten ihre Einwohner. Inmitten von Vertreibung und Zerstörung wurden die Erinnerungen hervorgerufen, dass es eigentlich immer Gott gewesen ist, der dem Volk in aussichtslosen Situationen wie eben Flucht und Vertreibung beigestanden hat. In dieser - Zeit so die bibelwissenschaftliche Annahme - begann auch die Verschriftlichung dessen, was dann nach dem Exil der Kern der hebräischen Schrift werden wird, nämlich die Thora. Die Entstehung des AT verdankt sich also dieser Leiderfahrungen von Flucht und Vertreibung, die dem Volk Israel in ihrer Geschichte immer wieder widerfahren ist.
Eine andere Beaobachtung, die zeigt wie das Volk Israel durch diese geschichtlichen Erfahrungen geprägt wurde, berifft die Tatsache, dass die Erzählungen der Thora überwiegenden nicht im von Gott verheißenen Land abspielen. Die Erzählungen zeigen vielmehr eine eigentümliche Gleichzeitigkeit der Schilderung prekärer Situationen, denen das Volk ausgeliefert ist und Verheißung einer Heimat, eines Ziellandes, dem es aufgenommen wird.
Flucht und der Beistand Gottes – eine Theologie der Flucht
Eine weitere Ebene besteht auch darin, dass die geographischen Bezeichnungen „Ägypten“, „Kanaan“ oder „Palästina“ in den Texten zur Chiffre dafür werden, was Israel in ihren geschichtlichen Situationen der Bedrängnis bereits hinter sich hat bzw. noch vor sich hat, was es also erwartet. Im Buch Levitikus, dem zentralen Buch der Thora, etwa heißt es: „Der Herr sprach zu Mose. ‚Sprich zu den Kindern Israels ‚Ich bin der Herr, euer Gott.“ Aus dieser Ansage Gottes folgt, die Aufforderung: So wie es Brauch dieses Landes Ägyptens ist, in dem ihr gewohnt habt, sollt ihr nicht handeln und wie es Brauch des Landes Kanaan ist, in das ich euch bringe, sollt ihr auch nicht handeln. Also sowohl, was hinter dem Volk als auch was vor ihm liegt, ist nicht das, was seine Existenz prägen soll, sondern „nach meinen Vorschriften sollt ihr leben, meine Satzungen sollt ihr befolgen. Ich bin der Herr euer Gott.“ Es ist also diese Situation dazwischen, die dem Willen Gottes entspricht, und diese Situationen sind auch jene der Flucht und der Bedrängnis. Was also Israel auf seinen Wegen, seinen Wanderungen und Fluchtbewegungen begleitet ist das Dasein Gottes - festgehalten in der Thora.
Aus diesem Grund verdankt das Alte Testament seine Entstehung einer permanenten oder intensiven Fluchtbewegung und Vertreibungserfahrung des Volkes Israel und gleichzeitig der Erfahrung, dass es mit Hilfe Gottes diese Situationen bewältigbar sind, dass Gott seinem Volk eine Heimat verheißen hat und auf dem Weg in diese Heimat, auf der Flucht es letzten Endes auch der Wille Gottes ist das Volk am Leben zu halten.
Weitere Veranstaltungen zum Thema „Flucht“ sind im Kalender auf www.kav-wien.at angekündigt.
Magdalena Pöschl: Deutschkenntnisse für Migranten: Wie wirkt die Integrationsvereinbarung?
Paul Michael Zulehner: Entängstigt euch! Die Flüchtlinge und das christliche Abendland
Verteidigung des „Christlichen Abendlandes“? Zur politischen Theologie der Neuen Rechten in Europa“: Podiumsdiskussion mit András Máté Tóth, Rita Perintfalvi, Janos Wildmann, Hans Schelkshorn
Diana Mihaiescu, Renya Matti: Christenverfolgung heute
FLUCHT UND ASYL - Abendserie im Bildungszentrum St. Bernhard
http://www.st-bernhard.at/veranstaltungen/schlagwort/2
Mi. 30. 3. 18.30 ARGUMENTATIONSTRAINING GEGEN STAMMTISCHPAROLEN (Thema Flüchtlinge & Asyl)
Mi. 13. 4. 18.30 FLUCHT & MIGRATION - AUS DER BIBEL LERNEN - Mag. Rainald TIPPOW, Flüchtlingskoordinator
Mi. 4.5. 8.30 FLUCHT UND TRAUMA (Dr. Fritz Betz, Mag.a Inge Pinzker, Psychotherapeuten/Caritas)