Im Jahr 2393 wird der 300ertste Jahrestag des Untergangs der westlichen Zivilisation gefeiert. Club of Rome: „Es braucht mehr Gleichheit und Gerechtigkeit“. Und was machen Wien und die Kirche? Warum trotzdem Hoffnung haben und wofür wir kämpfen müssen! Es ist dringend notwendig, dass wir von Politik und Kirche konkrete Umsetzung einfordern.
Rekordtemperaturen, schwere Unwetter und Wassermangel treffen die Länder außerhalb Europas noch viel stärker als uns! Aktuellstes Beispiel ist Pakistan, es zählt zu den Staaten, die am stärksten von den Auswirkungen der Klimakatastrophe leiden, obwohl es nicht ihre Schuld ist. Mehr als 33 Millionen Menschen mussten ihre Häuser bereits verlassen. Ganze Landstriche landwirtschaftlicher Fläche sind auf Jahre wertlos geworden. Und trotzdem leugnen noch immer Menschen, auch Politiker den Klimawandel.
Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik an der BOKU, sieht den ineffektiven Klimaschutz als „Verbrechen an der Menschheit“. Was jetzt bei 1,2 Grad globaler Erwärmung passiert, sei erst der Vorgeschmack auf das, was uns bei 2 oder 3 Grad mehr erwartet. Da wird es um den Fortbestand unserer Zivilisation gehen“.
Das ist kein überzogener Alarmismus, denn die meisten Medien berichten zu verharmlosend. Beispiel gefällig? Im April 2022 wurde der 6. Klimabericht der UN (https://unric.org/de/050422-ipcc/) über den Klimanotstand veröffentlicht. Am nächsten Tag fanden sich auf den Titelseiten nirgends eindringliche Warnungen. Genauso erging es den am 6. September veröffentlichten„Earth for all“ Bericht des Club of Rome (https://www.clubofrome.org/). Keine Aufmacher, keine Schlagzeilen!
Schon 2014 veröffentlichten Naomi Oreskes und Eric Conway ihr Buch „The Collapse ofWestern Civilization“, dabei entführen sie uns in das Jahr 2393. Anlass ist der dreihundertste Jahrestag des Endes der westlichen Kultur. Die Kernfrage lautet, warum wir, die Menschen des 21. Jahrhunderts nicht entsprechend unserem Wissen gehandelt haben. Die Autoren kommen zum Ergebnis, dass die Länder durch Verleugnung, Selbsttäuschung und Fixierung auf die sogenannten freien Märkte handlungsunfähig geworden seien. (http://cup.columbia.edu/book/the-collapse-of-western-civilization/9780231169547) Könnte es tatsächlich so weit kommen?
Der Bericht "Die Grenzen des Wachstums" erschütterte vor 5 Jahrzehnten die Fortschrittsgläubigkeit der Welt. Inzwischen ist die damals prognostizierte Überlastung der Erde Realität. In ihrem neuen Bericht „Earth for all“ sucht die Forschungsgruppe nach Wegen, mit denen sich noch eine lebenswerte Zukunft der Menschheit erreichen ließe. Die Zukunft der Menschheit hängt demnach vor allem von "fünf außerordentlichen Kehrtwendungen" ab: Beendigung der Armut, Beseitigung der eklatanten Ungleichheit, Ermächtigung der Frauen, Aufbau eines für Menschen und Ökosysteme gesunden Nahrungsmittelsystems und Übergang zum Einsatz sauberer Energie.
Für eine lebenswerte Zukunft braucht es mehr Gleichheit und Gerechtigkeit. "Wir wissen, dass die reichste Milliarde Menschen 72 Prozent der globalen Ressourcen verbrauchen, während es bei den ärmsten 1,2 Milliarden nur 1 Prozent sind", heißt es im Bericht. Ein extremes Maß an Ungleichheit sei äußerst destruktiv so die Warnung. Die Aufgaben sind gewaltig, die Hindernisse sind riesig, die Gefahren sind enorm. Die Zeit, die uns bleibt, ist kurz.
Angesichts unserer tief verinnerlichten Produktions-, Konsum- und Lebensgewohnheiten muss das Erreichen des 2-Grad-Ziels aus heutiger Sicht unmöglich erscheinen.
Und was passiert in Wien?
Bürgermeister Michael Ludwig hält trotz zahlreicher Warnungen der Wissenschaft stur an seiner völlig überdimensionierten und klimaschädlichen Stadtstraße fest, anstatt den überbordenden Autoverkehr zurückzudrängen und Radwege auszubauen. Würde jede Straße, die mal in einem Gesetz stand, gebaut, wäre der Gürtel eine Autobahn, durch die Brigittenau führte die A5, statt des Mühlwassers wäre da die S1 und statt der Lobau eine Autobahn nach Simmering. Er ignoriert die Herausforderungen der Klimakatastrophe und die Anliegen derjungen Menschen in Wien. Es wird gebaut, als gäbe es kein Morgen. Wien wird, inklusive wertvoller Ackerfläche wie im Donaufeld, mit Menschenburgen zugepflastert.
ObwohlÖsterreichs Naturraum jeden Tag um rund 11,5 Hektar Äcker und Wiesen, das entspricht in etwa der Größe von 16 Fußballfeldern, schrumpft. Damit liegt der Wert weit über dem Ziel: Schon vor 20 Jahren (!) wurde in der Nachhaltigkeitsstrategie der damaligen Regierung angepeilt, den Bodenverbrauch bei 2,5 Hektar pro Tag zu deckeln.
Warum dann trotzdem Hoffnung schöpfen und kämpfen? Weil es noch immer in unseren Händen liegt, wie die Geschichte weitergeschrieben werden kann. Und was macht die katholische Kirche?
Ab 1. September 2022 machen die Kirchen in Österreich wieder auf die Dringlichkeit der Bewahrung der Schöpfung aufmerksam und laden alle Pfarren ein, Akzente und Impulse für die Bewahrung der Schöpfung in ihrem Bereich zu setzen.
Zusätzlich zum bereits bestehenden Ausschluss von Kohleförderung bedeutet das konkret, dass die Kirche in den kommenden fünf Jahren, das heißt bis 2024 mit ihren Geldveranlagungen aus allen Unternehmen aussteigt, die fossile Brennstoffe (Kohle, Öl, Erdgas) fördern bzw. produzieren. Das gilt für alle Diözesen, die Österreichische Bischofskonferenz und alle ihre Einrichtungen. Noch fehlt jedoch ein verbindliches Statement der Ordensgemeinschaften.
Appelle gibt es inzwischen genug. Es reicht nicht nur dauernd zu appellieren, Auto- und Fleischfasten zu propagieren. Papst Franziskus hat mit der Enzyklika Laudato Si‘ bereits 2015 konkrete Vorschläge gemacht: „Individuelle Verhaltensänderungen reichen nicht. Auf soziale Probleme muss mit einer Vernetzung gesellschaftlicher Gruppen reagiert werden (LS 219). Politik und große Teile des Unternehmertums reagieren zu langsam, um den weltweiten Herausforderungen gewachsen zu sein (LS 165). Einige engagierte und betende Christenbespöttelt die Umweltsorgen. Andere sind passiv, entschließen sich nicht dazu, ihre Gewohnheiten zu ändern, und werden inkohärent“ (LS 217).
Der österreichische Klimarat (https://klimarat.org/) hat vor kurzem 93 Empfehlungen an die Politik verabschiedet. Wir haben eine Stimme und sind mitverantwortlich für das, was in der Welt passiert. Es ist dringend notwendig, dass wir von Politik und Kirche die Umsetzung aller Vorschläge einfordern. Sie müssen liefern und nicht nur schöne Reden halten.
Die Kirche preist im Abendgebet den Gott, der die Mächtigen vom Thron stürzt, die Reichen leer ausgehen lässt, die Niedrigen erhebt und die Hungernden beschenkt (vgl. Lk 1,52f). Immer wieder fordert sie mit den Worten der Psalmen und Propheten die Schöpfung, die Erde, ihre Berge und Quellen zum Lobpreis Gottes auf (vgl. Dan 3,57-73). Darum sollte sie die Erde schützen gegen ihre Ausbeuter. Das ist ihr Erbe und ihres sowie unsere Verantwortung.
Heinz Hödl
Agraringenieur Heinz Hödl, geboren 1953, wuchs in St. Marein bei Graz auf. Von 1974 bis 1980 war er auf Einsatz in Papua Neu Guinea, von 1981 bis 2001 war er Geschäftsführer der Dreikönigsaktion, von Jänner 2002 bis April 2018 Geschäftsführer der Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz für internationale Entwicklung und Mission. Sein Interesse gilt den heutigen gesellschaftlichen, politischen und religiösen Fragen und der geistlichen und strukturellen Erneuerung der Kirche.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.