Was machen wir denn jetzt?
Willi Resetarits und Ivica Osim. Der eine versöhnte gesellschaftliche Klassen, indem er mit seiner Musik und wie er sie interpretierte, die Herzen öffnete und Menschen zusammenführte. Der andere, weil ihm das gleiche am Fußballplatz gelang. Die Tragik des Ivica Osim ist, dass er erleben musste, wie die versöhnende Kraft des Fußballs an die er als jugoslawischer Teamchef glaubte, nichts bewirkte, um seine Heimatstadt Sarajevo vor der Zerstörung durch entfesselte Nationalisten zu bewahren. Er hat Zeit seines Lebens den Untergang Jugoslawiens betrauert. Jetzt sind wir wieder so weit, der Nationalismus vernebelt das Denken.
Demagogen haben leichtes Spiel, seit Wladimir Putin alle für Europa gültigen politischen Standards über den Haufen geworfen hat und russische Soldaten in der Ukraine einmarschiert sind. Bilder des Grauens und der Zerstörung, die, wenn sie aus anderen Weltgegenden gesendet wurden, uns zwar erschütterten, aber rasch zur Tagesordnung übergehen ließen, kommen nun aus unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Unsere als sicher geglaubten zivilisatorischen Errungenschaften haben sich als Illusion entlarvt.
Wer sagt uns, was richtig ist? Wie erfassen wir das, was vor sich geht? Was tut eine alt gewordene Friedenskämpferin angesichts der neuen schrecklichen Brutalität und Unübersichtlichkeit? Es macht mir Angst, wie schnell in den europäischen Ländern aus moralischer Entrüstung militärische Entschlossenheit wurde. Militaristisches Denken, Sprechen und Handeln hat die Deutungsmacht. Alle, die versuchen, differenziert zu denken, werden als naiv denunziert. Alle, die mehr mitbedenken, als den vordergründigen Waffengang, gelten als Zögerer und Zauderer.
Nichts kann den Angriff Putins auf die Ukraine rechtfertigen, dennoch muss die Frage erlaubt sein, ob nicht die USA und Europa mit dem in Aussicht gestellten Nato-Beitritt der Ukraine wenig zur Deeskalierung beigetragen haben. Oder hat irgend jemand erwartet, dass Russland die auf der Krim stationierte russische Schwarzmeerflotte einem Natoland überlassen würde? Wieso gesteht man Russland das nicht zu, was für die USA selbstverständlich ist, nämlich kein anderes Militärbündnis an den Grenzen zu akzeptieren?
Für mich steht fest, dass unsere Welt nie mehr so sein wird, wie sie vor dem Beginn der Pandemie war. Der nahtlose Übergang zu einem Krieg in Europa vor dem Hintergrund einer sich massiv verstärkenden Klimakrise, wird alles, was wir gewohnt waren, verändern. Egal wie dieser Krieg ausgeht, die Menschen in der Ukraine und auch in Russland haben ihn bereits verloren. Die Ukraine ist jetzt schon ein zerstörtes Land, aber das ist nicht alles. Denn glaubt jemand, dieser Krieg entlässt die Soldaten, die Flüchtlinge, die dem Raketenhagel ausgesetzten Frauen und Kinder ohne Narben an Seele und Leib? In Russland wird das Unterdrückungsregime noch verschärft werden. Sich von Feinden umgeben zu fühlen, verstärkt die schon vorhandene Paranoia.
Deshalb halte ich alle Überlegungen, die nicht dem unreflektierten „die Ukraine muss siegen, koste es was es wolle“ folgen, für hilfreich. Nicht, weil ich finde, Putin hätte Milde verdient, sondern weil die Frage erlaubt sein muss, wie viele Menschen noch sterben müssen, bevor ein „Ermüdungsfrieden“ eintritt, wie es die Militaristen etwas zynisch nennen.
Vielleicht bin ich naiv, aber wie naiv ist erst die Vorstellung, durch einen Vernichtungskrieg eine friedliche Gesellschaft aufbauen zu können? Und bezüglich der Verteidigung unserer europäischen Werte durch die Ukraine habe ich auch meine Zweifel. Oder glaubt jemand im Ernst, das rechtsextreme Asow Regiment verteidigt in Mariupol unsere Werte von Freiheit, Gleichheit und Solidarität? Nationalismus ist eine Krankheit, egal ob sie Unterdrückte oder Unterdrücker befällt.
Vor einigen Tage schockierte mich ein Foto im „Standard“, das einen jungen Amerikaner ukrainischer Herkunft zeigte, der stolz ein in seinem Startup kreiertes T-Shirt vorführte, das angeblich in den USA und auch in der Ukraine zum Verkaufsschlager wurde. Es zeigt eine ikonografische Madonna, die statt dem Jesuskind eine amerikanische Panzerabwehrrakete ans Herz drückt. Nicht nur der russische Metropolit missbraucht die Religion in schändlichster Art und Weise - wo sind wir gelandet?
Nein, dieser Krieg ist kein Krieg des Lichts gegen die Finsternis. Wenn wir uns auf das Niveau von Putin begeben, indem wir nur eine militärische Lösung sehen, dann hat Putin schon gewonnen. Dann hat er uns dort, wo er uns haben will, im Denken des 19. Jahrhunderts, das noch nichts um die Grauen der beiden Weltkriege wusste. Dann wird die Weltordnung nach diesem Krieg so hasserfüllt sein, dass noch Generationen darunter leiden werden.
Deshalb wünsche ich mir, dass die Unterzeichnenden des Appells an Olav Scholz nicht bösartig abgewertet werden, sondern, dass ihnen wie allen Menschen guten Willens zugestanden wird,nach Auswegen aus diesem grauenhaften Morden zu suchen. Die Gefahr der Eskalation zu leugnen erscheint mir da viel naiver, als der Wunsch, diesen Krieg mit allen Mitteln zu beenden.
Ich trauere um Willi Resetarits und Ivica Osim und hoffe, dass Menschen ihrer Denk- und Lebensweise wieder das Sagen und Handeln übernehmen. Denn was soll sonst aus uns werden?
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.