Grüße aus Absurdistan – Folge 3
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ruft die EU-Staatengemeinschaft auf, diese Menschen, die den Westen unterstützt haben, die sich für Demokratie in ihrem Land eingesetzt haben, und deren Leben aus diesen Gründen nun gefährdet ist, aufzunehmen.
Bei Österreichs Bundesregierung stößt dieser Aufruf auf taube Ohren. „Ich bin nicht der Meinung, dass wir in Österreich mehr Menschen aufnehmen sollten, sondern ganz im Gegenteil“, stellte der Bundeskanzler im Sommergespräch mit dem Fernsehsender Puls 24 am Sonntag fest.
Österreich habe bereits früher eine unverhältnismäßig große Zahl afghanischer Flüchtlinge aufgenommen. sagte Kurz. Mit ihm als Kanzler werde es keine weitere Aufnahme geben. „Menschen aufzunehmen, die man dann nicht integrieren kann, das ist ein Riesenproblem für uns als Land.“ Und gebetsmühlenartig wird das Jahr 2015 beschworen, denn so etwas darf sich nicht wiederholen.
Dazu kommen Floskeln von „Hilfe vor Ort“, Die internationale Gemeinschaft müsse jetzt "alles dafür tun", um die Situation in dem krisengebeutelten Land zu verbessern, doch Österreich müsse sich auch eingestehen, dass "nicht alles in unserer Macht liegt". Vielmehr will der Bundeskanzler die Nachbarstaaten Afghanistans, Turkmenistan und Usbekistan, in die Pflicht nehmen, Flüchtlinge aufzunehmen. [1] Innenminister Nehammer legt noch ein Schäufelchen nach und beschuldigt die Kommissionspräsidentin, die falschen Botschaften auszusenden.[2]
Entweder haben Nehammer und Kurz die politische Entwicklung in Afghanistan komplett verschlafen oder sie beweisen in dieser Situation vollkommene Unwissenheit und absolute politische Inkompetenz.
Falsches Signal? Zur Zeit geht es darum, akut an Leib und Leben gefährdete Menschen aus Kabul auszufliegen, um Menschen, die den Westen und die westlichen Werte unterstützt haben, die sicherlich nicht „schwer integrierbar“ sind und die ein Recht auf Hilfe in ihrer Notsituation haben. Es geht darum, Menschenleben zu retten – angesichts wachsender Gewalt und Terrordrohung und in einem immer kleiner werdenden Zeitfenster.
Der österreichische Migrationsexperte Gerald Knaus warnt eindringlich vor dem Rekurs auf 2015. Damit würden unangebrachte Ängste geschürt, während die wirkliche Herausforderung darin bestehe, die Menschen überhaupt aus Afghanistan heraus zu bekommen. Denn die Taliban kontrollieren die Grenzübergänge und die Nachbarländer sowie die Türkei wollen ihrerseits ihre Grenzen schließen. Ähnlich ist auch die Einschätzung des Sicherheitsexperten und Ex-Brigadiers Walter Feichtinger.[3]
Außenminister Schallenberg ist derzeit emsig um die Ausreise von 25 österreichische StaatsbürgerInnen und 20 weitere Personen mit österreichischem Aufenthaltstitel bemüht, während Abschiebungen nach Afghanistan zwar faktisch unmöglich aber von Innen- und Außenminister grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden.
Der Außenminister ist zwar dafür, den afghanischen Helfern Unterstützung zu gewähren, doch „sei eine Verbringung nach Europa nicht die einzige Lösung, so Schallenberg und nannte die Beschäftigung in EU-Delegationen in Nachbarstaaten von Afghanistan als Möglichkeit.“ [4]
Es ist die gleiche sture Position, die der Bundeskanzler bereits in der Frage der Aufnahme von Flüchtlingen aus Griechenland vertrat. Und dies, obwohl zahlreiche Gemeinden, BürgermeisterInnen, Initiativen und NGOs ihre Bereitschaft demonstrierten, Flüchtlingen Unterkunft zu geben.
Es ist beschämend, wie sich türkise Politiker um die Genfer Flüchtlingskonvention und die Menschenrechte herumwinden, „Hilfe vor Ort“ beschwören, was angesichts der katastrophalen Situation blanker Zynismus ist, und absurde Ängste heraufbeschwören. Offensichtlich sind Kurz und Co der Meinung, Panikmache in Flüchtlingsfragen eigne sich dazu, die WählerInnen bei der Stange zu halten und das Potential am rechten Rand zu erweitern.
Weißrussland
Nicht zum ersten Mal konterkariert Österreich die Politik der EU. Die Beziehung von Herrn Kurz zu den sogenannten Visegrád-Staaten[5] löste etliche Irritationen in Brüssel aus. Ein anderes sehr merkwürdiges Kapitel sind Österreichs Beziehungen zu Weißrussland. Vor etwas mehr als einem Jahr begann der Widerstand der weißrussischen Bevölkerung gegen den Diktator Lukaschenko und die gefälschte Wahl. Mit tausenden Inhaftierungen und der blutigen Niederschlagung der Proteste brachte Lukaschenko die Demokratiebewegung – vorläufig – zum Schweigen. Österreichs Bundeskanzler spricht sich zwar – angesichts der Flugzeugentführung und Inhaftierung des Journalisten Roman Protassewitsch für neue Sanktionen gegen das Regime aus, aber mehr als Rhetorik war dies bislang nicht.
Die weißrussische Olympiateilnehmerin Kristina Timanoskaja wird mit Zwischenlandung in Wien nach Warschau ausgeflogen und erhält in Polen Asyl. Österreich sei ihr Wunschland gewesen, so eine weißrussische Exil-Organisation, die ihre Flucht unterstützt hatte. Man habe Polen, Deutschland und Österreich in dieser Frage kontaktiert, de polnischen Behörden boten als erste die Aufnahme an. Österreich ließ sich Zeit mit einer Einladung.[6] Da liegt die Frage nach dem Grund für Österreichs zögerliche und halbherzige Politik nahe. Und die Antwort liegt ebenfalls nahe: Nach Russland und Zypern ist Österreich der drittgrößte Investor in Weißrußland. [7] Raiffeisenbank International und Telekom Austria sind die bedeutendsten österreichischen Player in Weißrussland.
Anfang Juni dieses Jahres traf Kurz mit Oppositionsführerin Tichanowskaja zusammen.
Auf die Frage, ob Österreich wirtschaftliche Nachteile für die eigenen Unternehmen in Belarus in Kauf nehmen würde, wenn dies die Demokratiebewegung in Belarus stärken würde, antwortete Kurz, er sehe überhaupt keinen Widerspruch. Schließlich hätten auch österreichische Unternehmen ein Interesse an einer positiven demokratischen Entwicklung und einem "lebenswerten Belarus". Auch sei er froh, dass österreichische Unternehmen in Belarus aktiv seien, weil sie damit in beiden Ländern Arbeitsplätze schaffen würden. [8]
Zwei Wochen nach dieser Begegnung zeigte sich Österreich bei den EU-Verhandlungen in Brüssel als Blockierer, um neue Sanktionen gegen den Finanzsektor zu verwässern. Kommentar aus dem Außenministerium dazu: Man habe zum Wohl der belarussischen Bevölkerung verhandelt. „Die Spareinlagen der belarussischen Jungfamilie oder die Rente des belarussischen Pensionisten sind weiterhin gesichert.“[9]
Etwas ätzend kommentiert die Zeit, man könne diese Sorge auch anders sehen: österreichische Unternehmen hätten in Weißrussland viel zu verlieren: etwa die Raiffeisen-Tochter Priorbank, laut Raiffeisen eine Bank der „kleinen Leute“. Als im vergangenen Jahr Spenden an die Opfer von Polizeigewalt überwiesen wurden, ließ Lukaschenko die Gelder einfrieren, auch bei der Priorbank. Erstaunlich, weshalb die Raiffeisen-Tochter sich - genau wie die einheimischen Kreditinstitute - dem Diktator fügt. Auch A1 Belarus, ein Tochterunternehmen der Telekom, kappte im Vorjahr wochenlang den Kunden bei Demonstrationen das mobile Internet. Eigene Interessen sind für diese Unternehmen also vorrangig vor der politischen Verantwortung und den demokratischen Grundwerten. Österreich ist laut dem weißrussischen Exilpolitiker Pawel Latuschko „nicht gerade das stärkste Glied, wenn es um EU-Sanktionen gegen Weißrussland gehe.“[10]
Man kann darüber diskutieren, ob es den Menschen in Weißrussland nützt, wenn die österreichischen Unternehmen sich aus dem Land zurückziehen.
Andererseits stellt sich längst die Frage, inwieweit die „westlichen Werte“, auf die sich manche PolitikerInnen so oft berufen (vor allem dann, wenn sie sich damit von anderen Kulturen abgrenzen wollen) in diesem Land noch Geltung haben.
Griechenland
Fast tagtäglich wird in unseren Medien darüber berichtet, diskutiert, geklagt, wie sehr unsere Kinder und Jugendlichen unter dem schulischen Lockdown gelitten haben: Probleme bei der Wissensvermittlung im Homeschooling, Stress zu Hause, FreundInnen nicht treffen dürfen, keine gemeinsamen Unternehmungen, keine Parties. Von „verlorenen Jahren“ war gar die Rede.
Nein, die Probleme, der Stress, die Mühen und Sorgen sollen gar nicht heruntergespielt werden. Aber eine kritische Frage in diesem Zusammenhang muss gestattet sein:
Was ist mit den Kindern, den Familien, den unbegleiteten Jugendlichen in Lesbos, Kara Tepe, in Syrien, in der Türkei, im Libanon und in so vielen anderen unsäglichen Orten weltweit. Wer bietet ihnen wenigstens ein Dach über dem Kopf und ausreichende Ernährung – von Schule, Ausbildung und therapeutischer Begleitung ganz zu schweigen. Wie viele Jahre haben sie bereits verloren: auf der Flucht, in Lagern, in endlosen demütigenden Prozeduren des Hin- und Her-Geschoben-Werdens und des Wartens?
Nein – um der ewigen Phrase „Wir können nicht alle aufnehmen“ zuvor zu kommen. Es geht nicht um „alle“, es geht auch nicht um „Pull-Botschaften“: es geht darum, solidarisch mit anderen Ländern Europas einige Tausend Menschen aufzunehmen und ihnen wenigstens ein faires Asylverfahren und humanitäres Bleiberecht zu gewähren.
Menschenrechte und Menschenwürde sind unteilbar. Sie gelten nicht nur für Menschen mit österreichischem oder EU-Pass. Und sie gelten auch für diejenigen, die ihre Heimat aus politischen, religiösen, ökologischen oder anderen Gründen verlassen mussten.
Auch wenn COVID uns schmerzlich und schwer getroffen hat, bietet unser Gesundheitssystem, unser Wirtschafts- und Sozialsystem, trotz aller Mängel ein gewisses Maß an Sicherheit. Dies sollte uns aber nicht den Blick verstellen auf die Notsituationen und die hilfsbedürftigen Menschen weltweit.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.
[1] https://www.welt.de/politik/ausland/article233288033/, https://kurier.at/politik/inland/bundeskanzler-sebastian-kurz-gegen-zusaetzliche-aufnahme-von-fluechtlingen
[2] Salzburger Nachrichten, 23. 08. 2021
[3] https://kurier.at/politik/ausland/experte-warnt-vor-angstmache-wegen-fluechtlingen-aus-afghanistan/
[4] https://orf.at/stories/3225243/
[5] https://ungarnheute.hu/news/orban-oesterreich-natuerlicher-partner-der-visegrad-staaten-18067/
[6] Siehe: Artikel „Keine roten Linien“, Die Zeit, 12.08.2021
[7] https://www.sn.at/wirtschaft/oesterreich/oesterreich-ist-drittgroesster-investor-in-weissrussland-92637328
[8] https://www.kleinezeitung.at/politik/aussenpolitik/5987733/Belarus_Kurz-spricht-mit-Tichanowskaja_
[9] Die Zeit, 12.08.2021
[10] Ebd.