Grüße aus Absurdistan – Folge 2
Katastrophen, wie wir sie in den letzten Monaten erlebt haben – Flutkatastrophen und Murenabgänge, die zum Teil die Infrastruktur lahmlegen – Hitzerekorde von 48 Grad in Sizilien, Brände bisher unvorstellbarer Dimension im Mittelmeerraum, in Sibirien, in Kalifornien und Kanada: solche Ereignisse werden künftig zur bitteren Normalität werden.
Noch liegen die Mittel, Schlimmeres abzuwenden, in unserer Hand.
Eine Reduktion der CO2-Emissionen kann eine Erwärmung über zwei Grad Celsius, vielleicht sogar über 1,5 Grad Celsius verhindern, so wie es das Pariser Klimaabkommen vorsieht. Allerdings müssen die CO2-Emissionen schnell und stark gesenkt werden. [1]
Individualverkehr: einer der Hauptfaktoren des Treibhausgasanstiegs
Es ist bekannt, dass mehr als ein Viertel der Treibhausgasemissionen in Niederösterreich auf den Verkehr zurückzuführen ist, die Hälfte davon auf den Individualverkehr.[2]
Eine konsequente Verkehrs- und Kommunalpolitik tut also gut daran, sich an den Schlussfolgerungen des Weltklimarates zu orientieren.
Offensichtlich gehen aber in einigen österreichischen Regionen und Regierungseinrichtungen die Uhren anders. Wie sonst wäre der Protestaufschrei in der Wiener und Niederösterreichischen Landesregierung (in trauter überparteilicher Gemeinsamkeit) gegen die nochmalige Evaluation des Projektes Lobau-Autobahn zu erklären?
Oder das Beharren auf der Ostumfahrung Wiener Neustadt, die den Verkehrsring um die Stadt schließen soll.
Politik von Gestern
Beide Projekte sind „Altlasten“ einer nur am Individualverkehr orientierten Regionalpolitik. Die Argumente der Befürworter (absichtlich nicht gegendert) sind stets die gleichen (und inzwischen widerlegten): Verkehrsberuhigung im innerstädtischen Bereich, bessere Anbindung an die umliegende Region, flüssigerer Verkehr.
Dafür sollen weitere Landschaftsflächen zubetoniert, Auwälder zum Teil gerodet, Naturschutzgebiete zerschnitten und damit zerstört werden. Während andere Kommunen Konzepte für autofreie Innenstädte und Erweiterung von Grün- und Erholungsräumen vorlegen, beharrt Wiener Neustadt offenbar auf einer längst obsoleten Politik, die dem Auto den Vorrang vor den Menschen gibt. Die Auswirkungen einer solchen Politik zeigen sich recht deutlich:
„Der Großteil der Wege der Wiener NeustädterInnen wird mit dem Auto zurückgelegt:
59 % der Wege sind Pkw-Wege, davon 10 % von MitfahrerInnen. Während der Anteil der Pkw-Wege in anderen Städten zumindest stagniert oder – wie in Wien – sinkt, stieg in Wiener Neustadt der PKW-Wegeanteil in den letzten 30 Jahren kontinuierlich an. Der Anteil der Fuß- und Radwege ist im Vergleich zu anderen Städten eher gering und stabil, mit einem Rückgang von Wegen zu Fuß zu Gunsten von Wegen mit dem Fahrrad. Der öffentliche Verkehr stagniert.“[3]
„40 Prozent der 6100 Hektar großen Gemeinde sind bereits verbaut. Mit der Umfahrung wären es wieder 20 Hektar mehr. Wiener Neustadt könnte bei diesem Trend noch vor 2050 die erste komplett zubetonierte Stadt Österreichs werden.“ [4]
Diese Entwicklung sollte eigentlich zu einem sofortigen Umdenken in der Gemeinde führen.
Es mutet reichlich zynisch an, wenn im Stadtentwicklungskonzept der Erhalt des Lebensraums „Warme Fischa“, der Schutz und die „gestalterische Aufwertung von Uferbereichen zu grünen Fußgänger- und Radpromenaden“ geplant sind.[5]
Willkommen in der Steinzeit
Schutz des Naturraums und Schnellstraße passen nicht zusammen. Und die Sinnhaftigkeit der letzteren stellen schon die Erläuterungen zum Mobilitätskonzept des Stadtentwicklungsplans in Frage:
Bedingt durch das generelle Verkehrswachstum bleibt der Kfz-Verkehr auf der Grazer Straße laut Verkehrsmodell 21 bis 2030 trotz Umfahrung weitgehend wie im Bestand 2017. So kann zwar die neue Ostumfahrung auf der Grazer Straße und auch auf der Stadionstraße/Nestroystraße den KFZ-Verkehr reduzieren, durch den Anstieg des Verkehrs infolge des Bevölkerungswachstums in Wiener Neustadt und in der Region wird diese Entlastung – ohne begleitende verkehrsorganisatorische und verkehrstechnische Maßnahmen in Wiener Neustadt – jedoch großteils wieder kompensiert“.[6]
Mit dem Werbeslogan einer bekannten Supermarktkette könnte man/frau jetzt fragen, was der Hausverstand (der PolitikerInnen) dazu sagt. Längst ist bewiesen, dass weiterer Straßenausbau zur Steigerung des Individualverkehrs führt, dass Flächenversiegelung fruchtbaren Boden zerstört, dass damit Hitze und die Gefahr von Überflutungen steigt, dass Österreich sowieso Europameister im Bodenversiegeln ist.
In der Wiener Neustädter Kommunalpolitik sind offensichtlich diese Fakten und die Stellungnahmen des Weltklimarates noch nicht registriert worden. Willkommen in der Steinzeit der Verkehrs- und Kommunalplanung!
Ach ja, neulich hat doch Herr Kurz vollmundig versprochen, Klimaschutzpolitik bedeute nicht, dass wir künftig auf etwas verzichten müssten, dank technischer Innovationen würden sich gewissermaßen alle Probleme des Klimawandels zur Zufriedenheit lösen. Und er – Kurz – wolle keinen Weg zurück in die Steinzeit.
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sehr geehrte Damen und Herren in der Wiener Neustädter (und Wiener) Kommunalpolitik!
Ihr Denken und Handeln sowie Ihre Verkehrskonzepte beweisen unwiderlegbar, dass Sie die Steinzeit noch gar nicht verlassen haben.
Der weise Lehrer und Staatsmann Julius Nyerere (Tansania / Ostafrika) mahnte Zukunftsfähigkeit bereits in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein:
„Wir haben die Erde nicht von unseren Vorfahren geerbt; wir haben sie von unseren Kindern geliehen!“
Dies wäre ein Leitsatz für die regionale und nationale Um-(Mit-)Welt-Politik!
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.
[1] https://www.mpg.de/17340354/klima-wandel-ipcc-bericht
[2] https://www.enu.at/klimawandeln-sei-nachhaltig-mobil
[3] https://www.wiener-neustadt.at/de/stadt/oeffentliche-auflageStadtentwicklungsplan Wiener Neustadt, Erläuterungen zum Mobiltätskonzept
[4] https://www.moment.at/story/ostumfahrung-wiener-neustadt
[5] https://www.wiener-neustadt.at/de/stadt/oeffentliche-auflagePublikation zum Stadtentwicklungsplan 2030, S 95