Empörung
Empörung Nr. 1: Voriges Wochenende habe ich einen Hauch dessen verspürt, was sich in vielen Regionen Deutschlands, der Niederlande und Belgien abgespielt haben muss. Der sogenannte Starkregen hat auch bei uns enorme Schäden angerichtet. Ich war am Samstag Abend zu Besuch bei einer Freundin, als die Betreuerin meines Mannes anrief, dass unser Keller unter Wasser stünde. Die überstürzte Heimfahrt war dann doch ziemlich abenteuerlich, da kein Taxi zu bekommen war, es unvorstellbar schüttete, die Straßenbahnen ebenfalls kaum weiterkamen und ich das letzte Stück meines Heimwegs dann barfuß durch einen See, der sich von der Straße über die Gehwege ausgebreitet hat, antreten musste. In unserer Gasse stand schon die Feuerwehr, weil durch die Versiegelung wegen eines mittlerweile leerstehenden Industrielagers samt großem Parkplatz, das Wasser ungehindert von der Pragerstraße in die Häuser fließen konnte. Bei uns hat alles dicht gehalten, bis auf ein Leck in der Abdichtung des Kellers, sodass das Wasser ungebremst durch die Zwischendecke auf den Kellerboden fließen konnte. Wir haben dann bis Mitternacht ausgeschöpft, aber natürlich sind alle Wände und der Boden noch lange nicht abgetrocknet.
Das war ein ziemliches Ungemach, aber lächerlich im Vergleich zu dem, was sich andernorts abspielte. Die Aufarbeitung dessen, was da passiert ist, wird noch lange dauern und vorschnelle Schuldzuweisungen sind nicht angebracht, weil es eine Fülle von Faktoren waren, die so eine Tragödie möglich machten. Unbestritten allerdings ist, dass wir Alten uns nicht erinnern können, jemals so intensive und lang andauernde Gewitterregen erlebt zu haben. Weiters ist das rasante Anschwellen der Bäche und Flüsse ebenfalls neu. Also können zwei Ursachen zumindest als sicher gelten. Durch die Klimakrise werden solche Wetterphänomene intensiver und häufiger und durch die massiv fortschreitende Versiegelung der Böden, haben die Wassermassen nur mehr die Möglichkeit über die verschlossenen Flächen hinweg sich einen Weg zu bahnen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass beides menschengemacht ist und dagegen also nur von Menschen auch wieder etwas dagegen getan werden kann.
In diesem Zusammenhang empört es mich besonders, dass die von der Infrastruktur-Ministerin in die Wege geleitete Evaluierung der geplanten Straßenbauprojekte auf einen so enormen Widerstand stößt. Ja, Straßen, die vor 30 Jahren geplant wurden, sind angesichts der multiplen Umweltkrisen vielleicht wirklich nicht mehr zu bauen, das wird man sich doch noch genauer anschauen dürfen. LKWs als mobile Lagerhallen, Bestellungen auf Abruf, Billigtransporte rund um den Globus, sind vielleicht doch nicht mehr zeitgemäß. Darüber und wie man die nötige Mobilität aufrecht erhalten kann, müsste man angesichts der Lage doch dringend sprechen. Unser unerfahrener und sichtlich auch ungebildeter Kanzler allerdings beurteilt diese Überprüfung als Versuch zur Rückkehr in die Steinzeit. Er sollte sich die Szenarien schildern lassen, die der Menschheit bevorstehen, wenn wir die Klimaziele nicht erreichen und wenn die Böden weiter durch Straßen, überflüssige Einkaufszentren und unnötige Tourismus-Chaletdörfer versiegelt werden. Das wäre dann wirklich Steinzeit für die nachfolgenden Generationen.
Leider sind derzeit viele Menschen, die politische und wirtschaftliche Verantwortung tragen, noch einem Denken des Industriezeitalters des 20. Jahrhunderts verhaftet. Vielleicht sagt ihnen mal jemand, dass wir vieles von dem, was durch Container-Schiffe unsere Umwelt belastet, was durch raschen Transport jederzeit verfügbar ist, was durch Reisen an Zeit verschwendet wird, gar nicht brauchen. Solange wir Gebrauchsgüter, die lange halten können, nach kürzester Zeit wegschmeißen, weil wir mit ihnen umgehen wie mit kurzlebigen Verbrauchsgütern, handeln wir nicht auf der Höhe der Zeit. Wir brauchen viel weniger, aber bessere Waren. Das widerspricht allerdings den vordergründigen primitiven Vorstellungen von Wirtschaftswachstum, das kann die Werbewirtschaft nicht brauchen und das erspart uns den Einsatz von sehr viel Gehirnschmalz zur Umgestaltung auf ein nachhaltiges und Menschen- Um- und Nachwelt-gerechtes Leben. Aber unsere Konsum- und Wegwerfgesellschaft ist nicht zukunftsfähig, allein auf technische Innovation zu setzen, wie unser Kanzler es propagiert, wird nicht genügen. Da braucht es einen echten Wandel – aber das ist den Regierenden zu anspruchsvoll. Da reden sie lieber von Rückkehr in die Steinzeit und davon, dass die Klimakrise ohne Verzicht bewältigbar ist. Das „Neue Regieren“ der türkisen Regierungsmannschaft hat sich schon im ethischen Bereich als ziemlich altbacken erwiesen, aber jetzt offenbart es auch noch angesichts der Dringlichkeit von Veränderungen, die völlige Unfähigkeit, Neues zu denken und politisch in die Wege zu leiten.
Empörung Nr. 2: Da haben die reichsten Leute der Welt nichts anderes zu tun, als sich mittels Raketentransport ein paar Minuten Schwerelosigkeit im All zu genehmigen. Ein Vater schenkt seinem Sohn sichtlich als Initiationsritual um 50 Millionen Euro die Möglichkeit, bei diesem „Abenteuer“ ebenfalls dabei zu sein. Die Medien kritisieren zwar die völlige Sinnlosigkeit dieses Besuchs im Weltraum, aber niemand schreibt, dass es obszön ist, dass Menschen so viel Geld haben, um sich solch sinnlosen Ressourcenverbrauch zu leisten. Das mantrahafte Herunterbeten von „keine neuen Steuern“ das sich auch unsere Bundesregierung leistet, wird durch solche Aktionen ad absurdum geführt – dieser, die Umwelt und den gesellschaftlichen Zusammenhang störende unvorstellbare Reichtum, muss abgeschöpft werden – besser wäre es allerdings, ihn gar nicht erst entstehen zu lassen. Mit dem Geld gäbe es genug Sinnvolles zu tun. Besonders zynisch fand ich es, dass Bezos sich bei den Amazon Mitarbeitenden bedankte und sagte: „Ihr habt das alles bezahlt“– stimmt!
Empörung Nr. 3: Hackerangriffe können unsere Infrastruktur massiv beschädigen, wie es durch das Lahmlegen von Konzernen der Grundversorgung in mehreren Ländern geschehen ist. Ohne die Möglichkeit, Lösegeld mittels Kryptowährung zu fordern, wäre dieses Gewerbe nicht so lukrativ. Wieso gibt es keine Handhabe, die ressourcenfressende „Schürfung“ dieses Spielgeldes zu verbieten? Ein Teil des Reichtums des Tesla-Produzenten Musk beruht darauf, mit enormen Summen mit diesen digitalen Luftgeschäften zu spekulieren. Mit dieser Form der Zahlungsabwicklung und des Hortens von an sich wertlosen Ansprüchen auf „Kryptogeld“ landet die Ökonomie endgültig im Reich des Hokuspokus. Wer übernimmt Verantwortung?
Empörung Nr. 4: Da gibt es eine private israelische Firma, die sich auf Spionage-Software spezialisiert hat. Viele Staaten – und nicht die vertrauenserweckendsten - zählen zu den Kunden. Mit „Pegasus“ können unliebsame Bürgerinnen und Bürger ausgehorcht werden. Ich verstehe ja nichts davon, aber es gibt sichtlich absichtlich installierte Fehler in Computersystemen, um dieses Einfallstor in die Privatsphäre für Geheimdienste und neugierige Überwachungsstaaten zu ermöglichen. Da kommt man sich als Bürgerin, der viele Erschwernisse mit „Datenschutz“ begründet werden, ein wenig veräppelt vor.
Empörung Nr. 5: Der Kanzler meint, die Bewältigung der Klimakrise wäre auch ohne Verzicht möglich. Was meint er damit? Will er uns den vernunftgeleiteten freiwilligen Verzicht auf umweltschädliches Verhalten madig machen? Oder geht es darum, als Regierung ja keine Regeln zu erlassen, die dem ungehemmten Konsumismus Einhalt gebieten sollen?
Da muss man zuerst einmal darüber reden, was „Verzicht“ eigentlich ist. Auf nichts verzichten zu können und zu wollen, ist das Verhalten eines Kleinkindes. Erwachsene Menschen haben gelernt, freiwillig oder gezwungenermaßen auf vieles zu verzichten. Weltweit sind Millionen von Menschen so arm, dass sie sogar auf das Lebensnotwendigste verzichten müssen. Auch in unserem Land ist ein nicht zu geringer Teil der Bevölkerung weit davon entfernt, sich viele Wünsche erfüllen zu können.
Es mag schon sein, dass unser junger und unerfahrener Kanzler in einem Milieu groß geworden ist, wo er Verzicht nicht gelernt hat. Aber ein wenig Intelligenz und Emphatie hätte ich ihm schon zugetraut. Weiß er nicht, dass sein Beharren auf ein uneingeschränktes „weiter so“ von den nächsten Generationen enorme Verzichtleistungen abverlangen wird? Ist es nicht jetzt schon so, dass viele Menschen wegen seiner Politik, die sich darauf konzentriert, Privilegien zu schützen, auf vieles verzichten müssen? Auf einen sicheren Arbeitsplatz, auf ein den Lebensunterhalt ermöglichendes Einkommen, auf menschenwürdige Pflege im Alter, auf sichere Radwege, auf vom Autolärm unbelästigte Nachtruhe, auf vor Wetterkatastrophen geschützte Häuser usw…..
Freiwilliger Verzicht kann bereichern, von der Regierung geregelter Verzicht auf Unnötiges macht uns möglicherweise selbstbestimmter. Ich gehöre noch zu der Generation, der 1973 wegen der Erdölkrise auferlegt wurde, nur entweder an geraden oder ungeraden Tagen das Auto benutzen zu können. Damals pflegten auch noch Personen wie ich mit dem Auto in die Innere Stadt zum Einkaufen zu fahren, die Herrengasse war eine Verkehrshölle. Die Einschränkungen haben noch weit vor dem Wissen um eine Klimakrise viele zum Umdenken bewegt. Öffentliche Verkehrsmittel wurden attraktiver. Würde es heute ein Regierungschef wagen, solch massive Einschränkungen zu verordnen? Ja, damals hatten wir halt noch lebenserfahrene und gebildete Regierungschefs, die noch die durch populistische und verbrecherische Verführer verursachten Verzichtsjahre von Kriegs- und Nachkriegszeit kannten. Damit komme ich zu
Empörung Nr. 6: Die Parkplätze im Einkaufszentrum werden eng. Immer mehr Panzerfahrzeuge, SUV genannt, beanspruchen immer mehr Parkraum. Sie werden meist von nur einer Person zur Erledigung von kleinen Einkäufen in Betrieb genommen. Mittlerweile sind solche Fahrzeuge auf öffentlichen Parkräumen schon in der Überzahl. Abgesehen davon, dass es sich meinem Vorstellungsvermögen entzieht, was Menschen dazu bewegt, viel Geld für ein so unnötiges Fortbewegungsmittel auszugeben, frage ich mich schon, wieso die Regierung nichts tut, um solch unsinniges Verhalten entsprechend zu besteuern. Kann man sich noch gegen eine Vermögenssteuer wehren, wenn so viel Geld für sinnlose, teilweise für die Umwelt gefährliche, das Klima belastende, Verkehrsmittel ausgegeben wird?
Da wären wir wieder beim Verzicht. Freiwillig wird es nicht gehen – da braucht es schon eine verantwortungsvolle Steuerung durch jene, die Verantwortung tragen und eine kluge Kommunikation darüber, aber sicher keine kindlichen Anti-Verzichts-Floskeln.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.