Zwei Minuten vor Mitternacht
Der INF-Vertrag, der die Vernichtung der nuklearen Mittelstreckenraketen zum Ziel hatte, ist 2019 ausgelaufen. Im letzten Augenblick wurde der New START Vertrag zur Verringerung der strategischen Waffen im Februar dieses Jahres bis 2026 verlängert.
Der Atomwaffen-Verbots-Vertrag, der seit 22. Januar dieses Jahres in Kraft ist und für die Unterzeichner ein vollständiges Verbot von Nuklearwaffen umfasst, wurde bislang von 52 Staaten ratifiziert, allerdings war keine der Atommächte an den Verhandlungen beteiligt. Was die nukleare Aufrüstung betrifft, wird seine Wirkung vernachlässigbar sein.
Dagegen muten die Entwicklungen im Bereich neuer Waffensysteme geradezu apokalyptisch an: Die USA erproben mit der B61-12 eine sogenannte thermonukleare Gravitationsbombe, neue Interkontinentalraketen, neue Cruise Missiles und neue Atom-U-Boote. Großbritannien will in diesem Jahr 5,5 Milliarden Dollar in sein Atomprogramm investieren; Frankreich plant die Modernisierung seiner nuklearen Streitmacht. Auch China hat in den vergangenen Jahren seine Atom-U-Boot-Flotte und die Zahl seiner Interkontinentalraketen vergrößert. Laut Global Zero – einer im Dezember 2008 gegründete internationalen gemeinnützigen Organisation mit dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt - werden die Ausgaben Chinas heuer auf 7,6 Milliarden Dollar steigen, jene Russlands sollen sich auf ungefähr das Doppelte belaufen.
Am 6. Mai 2021 schrieb die deutsche ZEIT: „Der Traum von Global Zero, eine Welt ohne Massenvernichtungswaffen, wirkt heute so unrealistisch wie seit Langem nicht mehr.“
Angesichts der weltweiten Herausforderungen - der Covid-19-Pandemie, des Klimawandels und der wieder steigenden Zahl von hungernden Menschen - eine irrationale, absurde, wahnwitzige Konstellation.
Zudem erhöht der Klimawandel die Möglichkeit einer atomaren Auseinandersetzung. Denn die Konflikte um Ressourcen, Trinkwasser und Lebensgrundlagen nehmen zu, der Migrationsdruck steigt an. Regionale politische Spannungsfelder wie Indien-Pakistan oder der Mittlere Osten tragen dazu bei, dass die Gefahr militärischer Konflikte wächst.
Der Zeiger der Weltuntergangsuhr (einer symbolischer Uhr, die das Risiko eines Atomkriegs anzeigt), steht im Juli 2021 auf 23.58 Uhr; dies ist das höchste Risiko seit 1947. Die Entscheidung über den jeweiligen Zeigerstand trifft das Wissenschaftler-Komitee des „Bulletin of the Atomic Scientists“ (BAS).
Was laut BAS höchste Dringlichkeit hat:
- Ein neuer Dialog zwischen Russland und den USA in bezug auf Abrüstung, insbesondere über den Mittelstrecken-Vertrag.
- Vertrauensbildende Maßnahmen und die Erneuerung des Atomvertrags mit dem Iran.
- Die Verwirklichung des Pariser Klimaabkommens. Die Bilder zerstörter Wohngebiete und überfluteter Regionen aus Deutschland, brennender Wälder aus Sibirien, Kanada, Kalifornien sind mehr als ein Fanal. Es braucht alle Anstrengungen der Regierungen, der Industrie, der Wirtschaft – und jedes und jeder Einzelnen, diese Szenarien nicht zum neuen „Normal“ werden zu lassen.
- Maßnahmen gegen die Fake News, in denen das BAS eine große Gefahr erkennt, weil sie Extrempositionen verbreiten, die Gesellschaft spalten und das Vertrauen in demokratische und rechtsstaatliche Institutionen untergraben.
- Aber auch das Engagement der Bürgerinnen und Bürger ist eingefordert: sie müssen ihre Regierungen zum Handeln auffordern, in bezug auf das Klima und in bezug auf Aufrüstung, Waffenproduktion und -handel.
Fridays for Future: für eine nachhaltige und atomwaffenfreie Welt. Es ist zwei Minuten vor 12
Aber die Uhr kann auch wieder zurückgestellt werden! Dazu braucht es die weltweiten Anstrengungen der politisch Verantwortlichen, der Nicht-Regierungs-Organisationen, der Glaubensgemeinschaften und der Zivilgesellschaft. Denn: „Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt.“ (Erich Fried)
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.