S‘ist leider Krieg
14. – 18. Mai
Anlässlich des Ausbruchs des Irakkriegs im Jahr 1990 hing am Wiener Burgtheater ein Transparent, auf dem stand: „S’ist leider Krieg – und ich begehr nicht schuld daran zu sein“. Diese Zeilen stammen aus einem Gedicht von Matthias Claudius und sie sprachen mir aus der Seele. Die Hilflosigkeit angesichts der Tatsache, dass die mächtigsten Männer dieser Welt auch im 20. Jahrhundert noch keine friedlichen Konfliktlösungskompetenz hatten, drückte sich für mich in diesem Gedicht aus einer früheren Zeit aus und es tat mir gut, auf einem öffentlichen Gebäude dieses Bekenntnis zu lesen. Das war allerdings zu Zeiten, als Österreich noch einen Bundeskanzler mit historischer Bildung und gesamtgesellschaftlicher Verantwortung hatte. Heute ist das alles anders. Heute lassen der Bundeskanzler und sein Außenminister anlässlich des wieder aufflammenden Kampfes zwischen Palästinensern und Israelis als Zeichen eindeutiger Parteinahme in einem bewaffneten Konflikt die israelische Flagge vom Bundeskanzleramt und vom Außenministerium wehen. Jede Person, die das als nicht zu rechtfertigende Parteinahme eines neutralen Staates sieht, wird als antisemitisch diffamiert und damit mundtot gemacht.
Als ich vor einigen Jahren in einem kleinen Keramikladen in Ostjerusalem einkaufte und uns der alte Ladenbesitzer fragte, woher wir kämen, begannen bei der Nennung unserer Herkunft seine Augen zu leuchten. Österreich, das war für ihn das Land, das versuchte, das Unrecht, das den Palästinensern widerfahren war, publik zu machen und sich für friedliche Lösungen einzusetzen – wie wir wissen vergebens, aber dennoch, diesen humanitären Akt haben viele nicht vergessen. Als ich am Holocaust Gedenktag in Yad Vashem den Kranz des österreichischen Bundeskanzlers dort sah, erfüllte mich das mit Stolz. Ja, wir Österreicher und Österreicherinnen schienen aus der Geschichte gelernt zu haben – und nun das!
Da unsere Medien bei der Analyse von Konflikten zumeist versagen, kann ich mir nur aus Tatsachenberichten einiges zusammenreimen. Es wurden palästinensische Familien in Ostjerusalem, in Vollziehung eines Gesetzes, das besagt, dass Wohnungen zurückzugeben seien, wenn dort vor 1948! Juden gewohnt hätten, delogiert. Das hat den eindeutigen Grund darin, dass Netanjahu palästinensische Bewohnerinnen und Bewohner Jerusalems aussiedeln möchte, damit er dort möglichst ungestört seine Hauptstadt installieren kann. Zuvor schon wurden die langersehnten palästinensischen Wahlen abgesagt, weil es den Bewohnerinnen und Bewohnern von Ostjerusalems untersagt worden war, an dieser Wahl teilzunehmen – wen wundert die Empörung der palästinensischen Bevölkerung? Dass das auch der Fatah entgegenkam, die befürchten musste, diese Wahlen zu verlieren, zeigt die Zerrissenheit aller in diesem Konflikt. Es bestand die Gefahr, dass die Wählenden die Hamas vielleicht zur stärksten Partei gemacht hätte – und was dann? Je länger sich das Gewaltrad in diesem Teil der Welt dreht, umso militanter werden die Palästinenser – sie haben ja kaum mehr etwas zu verlieren. Die gewaltbereiten Gruppen, die auch in bisher friedlichen Städten den Kampf auf die Straße tragen, sind Zeichen dafür, dass Israels Strategie des Augen zu und durch, gescheitert ist. Die Bilder der Gewalt am muslimischen Heiligtum, dem Tempelberg, die Stürmung der Al Aksa Moschee anlässlich des Freitagsgebets im Ramadan, all das brachte das Fass zum Überlaufen und machte es für die Hamas einfach, einen bewaffneten Konflikt auszulösen. Viele palästinensische Menschen sehen das als Notwehr, weil sie immer mehr entrechtet werden und die Konflikte greifen zunehmend auch auf Städte über, wo Juden und Araber zusammenleben.
Es starben bei diesem neuerlichen Gewaltausbruch auf beiden Seiten viele Menschen, vorwiegend palästinensische Männer, Frauen und Kinder, denn die israelischen Bomben sind natürlich viel wirkmächtiger als die Raketen der Hamas aus dem Gazastreifen. Es ist unbestritten, dass sich Israel verteidigen muss, aber die Verhältnismäßigkeit ist anzufragen. Die Bombardierung eines Hochhauses, das die internationale Presse beheimatete spricht Bände, Israel will keine Kontrolle durch ausländische Medien.
Mir drängt sich der Verdacht auf, dass Netanjahu all das provoziert hat. Ihm schwammen zunehmend die Felle davon, denn wenn er nicht mehr Regierungschef ist, steht er sofort wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht. Das galt es zu verhindern. Man sieht ja jetzt schon, dass ihn der Aufruhr gestärkt hat und die Regierungsverhandlungen, die eine andere Regierung ermöglicht hätten, abgebrochen wurden. Mit diesem Menschen ist unser Bundeskanzler aufs Engste befreundet! Ihm zuliebe hisst er die israelische Fahne am österreichischen Bundeskanzleramt. Damit die Zuneigung zum jüdischen Volk zu beweisen, ist allerdings kein wirksames Mittel gegen das Gift des Antisemitismus. Der Kampf dagegen muss ganz anders und mit intellektueller Redlichkeit geführt werden.
Sowohl Juden als auch Araber sind Semiten. Im Ersten Testament heisst es im Deuteronomium 26,5 über Abraham „Mein Vater war ein heimatloser Aramäer …“, also Abkömmling eines arabischen Stammes. Die gemeinsamen ethnischen Wurzeln wären an sich belanglos, würde es nicht diesen tiefen Konflikt zwischen Juden und ihren arabischen Nachbarn geben. Sie sind aber Geschwister. Ich fände die Bezeichnung „Antijudaismus“ viel treffender. Andererseits kann man aber auch sagen, dass alle „Semiten“ derzeit diskriminiert werden, denn die Anfeindung arabisch-muslimischer Menschen ist weltweit zu konstatieren.
Dass man sich bei diesem Versuch, sich Klarheit zu verschaffen, in ein Minenfeld begibt, liegt auf der Hand. Das zeigt sich allein daran, dass die Demonstrationen gegen das Verhalten Israels, die es in vielen europäischen Städten gab, sofort von antijüdischen Provokateuren dominiert wurden. Wieder übernimmt beim Versagen der Mächtigen der Mob die Deutungshoheit.
Meine humanitäre und politische Haltung verdanke ich vor allem jüdischen Menschen. Die Lektüre von Kurt Tucholsky hat mir die Augen über das Fehlverhalten des christlich sozialen Bauernmilieus aus dem ich stamme, geöffnet. Erich Fromm, Erich Fried haben mich zur Friedensbewegung geführt. Bruno Kreisky hat mich politisch geprägt und Otto Tausig mein entwicklungspolitisches Engagement gefestigt. Meine St. Wolfganger Nachbarn Hugo und Lotte Brainin habe ich immer bewundert. Das ändert nichts daran, dass ich in Benjamin Netanjahu einen gefährlichen Politiker sehe. Es ist nicht leicht, mit der Last unserer Geschichte Kritik am Verhalten Israels und seiner politischen Führung zu üben – aber es muss sein. Es ist auch eine Form dem Antijudaismus den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Ich erinnere mich noch genau an die ganz spezifische Stimmung, die Jerusalem in mir auslöste. Ob am Tempelberg, an der Klagemauer oder in der Grabeskirche – überall spürte ich eine verbindende Spiritualität. So nahe beieinander beten drei Weltreligionen zu ihrem Gott, das müsste sie doch zusammenführen. Solange in der allen drei Religionen heiligen Stadt Jerusalem mitten im Heiligen Land aber Krieg geführt wird, ist der Gruß Shalom, Salam und „Der Friede sei mit dir“ eine Verhöhnung der eigenen Religion. Es ist auch eine schwere historische Schuld dieser drei Religionen, dass Jerusalem ein kriegerischer Brennpunkt ist und nicht das was es laut ihren heiligen Bücher sein muss – ein Ort von dem Frieden für die Welt ausgeht.
Die Ambivalenz der Haltung gegenüber den Juden zeigte der türkise Teil der Bundesregierung deutlich, als am Mauthausen Gedenktag kein einziges ihrer Regierungsmitglieder teilnahm. Solidarität mit Netanjahu, aber Ignorieren des Opfergedenkens, weil damit kein politisches Kleingeld zu machen ist und man möglicherweise kritische Reden hätte hören müssen.
So ist sie, die kleine österreichischen Welt. Gegen unseren Bundeskanzler gibt es ein Verfahren wegen Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss, Sondersitzung im Parlament – da braut sich was zusammen.
19. – 27. Mai
Gasthäuser, Theater, Sportplätze, Konzertsäle – alles offen! Mit den drei Gs – Geimpft, getestet, genesen kann das öffentliche Leben wieder beginnen. Dennoch mit Maske im Konzert, links und rechts viel Platz, leere Buffets, das ist keine neue Normalität, sondern noch immer Ausnahmezustand – aber trotz allem – ich bin so dankbar.
Endlich Waffenruhe zwischen Israel und Hamas. USA und Ägypten haben ihr gesamtes politisches Gewicht in die Waagschale geworfen. Aber es wird sich nichts ändern, solange die Stärkeren und das ist eben Israel nicht bereit sind, den palästinensischen Menschen ein Stück Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ein friedliches Leben wäre doch einen hohen Preis wert.
Pfingsten, das liebliche Fest, beschert uns heuer spätwinterliches Wetter. Ich habe mir zwei Tage in St. Wolfgang gegönnt und bin mit einer Freundin dort durch die nassen Wiesen gewandert. Jetzt kenne ich diese Gegend seit 45 Jahren und erst durch die Augen dieser Freundin habe ich zu sehen gelernt, was dort an Besonderheiten wächst. Mir ist z.B. die wunderbare Orchideenpracht in den feuchten Wiesen oberhalb des Ortes noch nie aufgefallen. Der Ort St. Wolfgang, der sonst zu solchen Zeiten in Touristenmassen fast erstickt, ist angenehm ruhig. Dennoch hoffen die Touristikunternehmer sichtlich auf massenhaften Zustrom, denn es wird auf Teufel komm raus zubetoniert und gebaut. Einst wunderschöne schräge Wiesen sehen aus wie Mondlandschaften. Da braucht es noch viel, um einen Wandel zu beginnen. Das skurrilste Beispiel für die Absurdität des Massentourismus ist für mich das alte, mit verwittertem Holz verkleidete Haus mitten im Ort, wo noch traurig die chinesischen Lampions, die vom geschnitzten Holzbalkon hängen, von der verflossenen Invasion der chinesischen Gäste zeugen. Die werden lange nicht mehr kommen.
Dennoch haben Orte wie St. Wolfgang viel Erneuerungskraft. Denn immer noch gibt es dort unzählige Kulturvereine, von der Bauernmusik bis zur Theatergruppe. Vielleicht beginnt man auch an solchen Touristen-Hotspots umzudenken und an das Leben und nicht nur an die Vermarktbarkeit zu denken.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.