Die Hetze hat sich nicht ausgezahlt
5. - 10. Oktober
Donald Trump ist an Corona erkrankt und mit ihm das halbe Weiße Haus. Obwohl er im Spital ist, spielt er die Krankheit herunter und ich ertappe mich dabei, ihm zu wünschen, dass er eines Besseren belehrt würde. Aber dann siegt doch mein zivilisatorisches Ich – nein, ich wünsche niemanden, dass er leidet, auch nicht einem Menschen wie Trump! Dennoch ist es fürchterlich, mitansehen zu müssen, wie der Präsident des mächtigsten Landes der Welt sich aufführt wie ein egoistisches, unerzogenes, manipulatives und leider auch sehr machtbewusstes und gewaltbereites Kleinkind. Noch beängstigender ist es allerding zu sehen, wie seine Ärzte und auch erfahrene Politiker, sich vor die Kamera stellen und das alles decken.
Das Wahlkampfgemetzel im Fernsehen mit Joe Biden hat die Destruktivität dieses Menschen völlig offenbart. Dennoch schreiben die österreichischen Medien so drüber, als wären da beide Kandidaten total entglitten, nur weil auch irgendwann Joe Biden ein nur zu verständliches „Shut up man“ entschlüpfte. Haben unsere Journalisten nichts dazugelernt? Nach dem destruktiven Gespräch der österreichischen Bundespräsidenten-Kandidaten Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen haben Wissenschaftler festgestellt, dass Hofer nichts anderes im Sinn hatte, als dieses Gespräch zu zerstören und er darin gut geschult war. In so einem Fall kann keine Auseinandersetzung stattfinden. Das gleiche gilt noch in viel höherem Maße für Trump, weil dessen ethisches Bewusstsein gegen Null tendiert. Wieso erkennen das unsere Journalisten und Journalistinnen nicht? – das sagt nichts Gutes über ihre sonstigen politischen Analysen aus.
Der Wiener Wahlkampf geht in seine Endphase – Corona sei Dank, ohne große Veranstaltungen, bei denen in verhetzender Weise Stimmung gemacht werden kann. Es genügen die Fernseh-„Duelle“, in denen Afghanen allesamt als Messerstecher und Frauenmörder dargestellt werden. Da fügt es sich ganz gut, dass Fawad, unser afghanischer Mitbewohner gerade von einer scheidenden Kollegin, die eine Penny-Filiale übernimmt, umworben wird, sie doch in die neue Filiale zu begleiten. Sie hat ihm zum Abschied einen Kugelschreiber geschenkt, auf dem steht „vielen Dank für das gute Miteinander“. Solche Geschichten sind wahrscheinlich sehr häufig, finden aber, da zu alltäglich, nicht den Weg in die Medien.
11. Oktober
Die Wiener Wahl ist vorbei – mit der doch ein wenig erfreulichen Überraschung, dass sich die Hetze nicht ausgezahlt hat – so ein blamables Ergebnis für die FPÖ und Strache hätte nicht einmal ich erwartet. Wien ist ja doch anders! Bei dieser Gelegenheit muss ich aber ein wenig persönlich werden. Ich freue mich so, dass meine Schwiegertochter als Bezirksvorsteherin von Wien Währing diese Wahl so überlegen gewonnen hat. Der vor fünf Jahren noch ziemlich verstaubte und starre 18. Bezirk hat sich in der letzten Legislaturperiode wirklich merklich verändert und obwohl Dankbarkeit keine politische Kategorie ist – die Währingerinnen und Währinger haben es ihr gedankt. Das Besondere daran ist, dass sie sich mit ihren Initiativen besonders dem vernachlässigten Teil des Bezirks, dem sogenannten Kreuzgassenviertel angenommen hat. Dort wohnen die weniger betuchten Bürgerinnen und Bürger und viele Migrantinnen. Da außer ihr keine andere Partei Wählerstimmen dazugewonnen hat, ist anzunehmen, dass ihre Politik auch ehemalige FPÖ Wählende goutiert haben. Sie ist auch immer wieder in einschlägige Beiseln gegangen und hat mit den Leuten, die sich sonst von der Politik als rechts liegengelassen gefühlt haben, diskutiert. Besonders hat sie sich der alten Menschen im Bezirk angenommen und durch viele Veränderungen im öffentlichen Raum deren Leben erleichtert. Die Saat ist aufgegangen, vielleicht wäre das ein nachahmenswertes Konzept – sich nicht auf die eigene „Zielgruppe“ zu konzentrieren, sondern auf jene Menschen, die Unterstützung brauchen.
Trump ist angeblich wieder gesund und treibt sein Unwesen weiter. Er will unbedingt noch vor der Wahl die neue Höchstrichterin durchbringen. Tragisch ist für mich, dass diese Frau wahrscheinlich sehr begabt und eine Katholikin ist. Dennoch ist sie im christlich fundamentalistischen Milieu angesiedelt, mit all den rigorosen gesellschaftspolitischen Vorstellungen dieser Leute. Katholisch sein umfasst das gesamte gesellschaftliche Spektrum und ein nicht allzu geringer Prozentsatz ist wie diese Kandidatin extrem rechts angesiedelt. Bei Katholikinnen und Katholiken nehmen wir es locker hin, dass es unter den Mitgliedern ein weit auseinanderklaffende Menschen- und Gottesbild gibt, nur die Muslime sehen wir eindimensional fundamentalistisch.
Das „UN-World-Food-Programm“ hat den Friedensnobelpreis bekommen. Das ist sichtlich eine politische Mahnung an die Welt, für die Ärmsten der Armen mehr zu tun. Peinlich ist, dass Österreich, dessen Kanzler immer von der „Hilfe vor Ort“ schwafelt, beschämend wenig dafür aufbringt. Österreich hat in den letzten fünf Jahren 13 Millionen bezahlt – zum Vergleich: die Schweiz 313 Millionen.
Die mit soviel martialischem Brimborium mit einer russischen Transportmaschine von unserem Innenminister persönlich nach Griechenland gelieferten Zelte für Moria lagern noch immer in Athen. Es sieht so aus, aus wäre die Formel „keine Aufnahme von Flüchtlingen, aber Hilfe vor Ort“ wirklich nur ein PR-Schmäh.
12.- 14. Oktober
Ich bin wieder einmal mit meinem Mann im Spital „kaserniert“, mit Corona-Test und allem Drumherum. Allein das „Einchecken“ war eine Herausforderung. Mit meinem schwer beeinträchtigten Mann, mit Maske, Gepäck, all die derzeit nötigen Vorsichtsmaßnahmen und Aufnahmeregeln zu erfüllen, hat mich ans Ende meiner Belastbarkeit gebracht. Als mir dann, ohne Hilfe, im Zimmer angekommen, ein etwas lauter und robuster Pfleger sagte, es wäre alles doch eh ganz einfach, bin ich ausgerastet. Das Fass zum Überlaufen brachte, als er mir dann noch ein Glas hinhielt und meinte, mein Mann möge da hineinurinieren und als ich antwortete – das könne er nicht – er dann noch, statt mir Hilfe anzubieten, blöd fragte, „warum?“, war es um meine Selbstbeherrschung geschehen. Ich frage mich schon, weshalb ich immer wieder an Männer gerate, die völlig unemphatisch und für ihre Sozialberufe ungeeignet sind. Hingegen sind die Pflegerinnen hier alle sehr einfühlsam und hilfsbereit. Ich will aber nicht glauben, dass Frauen das von Natur aus besser können. Ein wenig hängt es sicher mit der unterschiedlichen Lebensrealität von Frauen und Männern zusammen. Frauen lernen das Sorgen und Kümmern meist von Klein auf. Das ruppige Benehmen von manchen Männern mir gegenüber, hat aber sicher auch mit meinem „unweiblichen“ Verhalten zu tun, das manche überhaupt nicht aushalten.
Der Spitalsaufenthalt hat mir aber wieder gezeigt, wie belastend die Covid-Krise gerade in den „Ernstfallgegenden“ des Lebens ist. Während der gesamten Arbeitszeit eine Maske tragen zu müssen, nie wirklich durchatmen zu können, das muss für das Personal, egal ob Ärzte oder Reinigungskräfte enorm anstrengend sein. Mit körperlich und mental leidenden Menschen nur mit Mundschutz kommunizieren zu können, muss auch psychisch belasten. Für mich hat sich wieder einmal gezeigt, wer unser Gesundheitssystem am Laufen hält. Pflegerinnen aus Burundi, Brasilien und natürlich selbstverständlich aus allen benachbarten Staaten – es haben fast alle sogenannten „Migrationshintergrund“. In ein paar Jahren werden wir dann in unseren Spitälern auch von vielen gepflegt werden, die während der „Migrations-Katastrophe“ von 2015 bei uns Schutz gesucht haben.
15.-20. Oktober
Wieder zu Hause. Meine Internetverbindung hat sich in der Zwischenzeit verabschiedet und ich hänge stundenlang in der Leitung von A1 und höre mit wachsender Aggression, das Tonband, das mir mitteilt, dass A1 die persönliche Hilfe wichtig ist und sie leider derzeit nicht so rasch wie gewohnt, behilflich sein können, weil es so viele Anfragen gibt. Ich fühle mich gepflanzt, denn unter einer Stunde hängt man bei A1 selten in der Leitung – man kommt auch an keine Verantwortlichen heran – die armen Leute im Call-Center müssen den Unmut der Anrufenden ertragen, sie können aber gar nichts dafür. Spannend ist auch die Sprach-Nicht-Erkennung, die einem dort jetzt empfängt. Das haben wir alles gebraucht wie einen Kropf.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass die fortschreitende Digitalisierung vorwiegend eine Spielwiese von Computer-Nerds ist, die uns, die wir in dieses System erst spät eingewandert sind, das Leben schwer macht und an den Nerven zehrt. Ich sehne mich nach menschlichen Gesprächspartnern, wenn ich technische Probleme habe und nicht nach künstlicher Unintelligenz. Dem bemühten, aber überforderten Techniker habe ich dann gesagt, dass A 1 vielleicht mehr Leute einstellen sollte, wenn sie mit der Bearbeitung der Schadensfälle nicht nachkommen, statt den mexikanischen Milliardär, dem dieses Unternehmen ja jetzt mehrheitlich gehört, mit üppigen Dividenden zu verwöhnen. Ich fürchte, mein Gesprächspartner hat nicht gewusst, wovon ich spreche. Es hat ganze vier Tage gedauert und ein fünfmaliges stundenlanges Hängen in der Warteschleife mit gezwungenermaßen laut geschaltetem Tonband, das mir die Kundenfreundlichkeit von A1 vergeblich suggerieren wollte, bis auf einmal per SMS die Meldung kam, mein Internet würde jetzt wieder funktionieren. Ich wüsste gerne warum, aber das kann mir leider niemand sagen. In der Zwischenzeit musste ich mir bei A1 ein neues Modem abholen, gleichzeitig hinterlegten sie am nächsten Tag eines bei der Post, das ich ebenfalls abholte und A1 belästigte mich noch Tage später mehrmals per SMS mit der Bitte, ich möge mein dort allerdings nicht mehr lagerndes Modem doch bitte abholen. Ich habe keine Ahnung wieviel Arbeit, Material und Transportkosten in so einem Modem stecken, das ja in China erzeugt wird, aber dass man es so leichtfertig großzügig verschenkt, bei der Anstellung von Servicepersonal für die Kundenbetreuung und dessen Bezahlung aber knausert, sagt doch einiges über das System aus. Soviel also zu meinen neuesten Erfahrungen mit den digital ausgelagerter Dienstleistungen eines Internet-Konzerns.
Ich schreibe das nur, damit Menschen, denen es möglicherweise ähnlich geht wie mir, nicht glauben, sie wären die einzigen, die Probleme mit der schönen neuen digitalen Welt haben.
Die steigenden Corona-Infektionszahlen machen alle nervös – wie soll das weitergehen? Die widersprüchlichen Aussagen der Regierung, wir mögen doch bitte alle zu Hause bleiben, gleichzeitig aber auf Teufel komm raus konsumieren, damit die Wirtschaft leben kann, verunsichern noch zusätzlich. Dass es nun darum geht, auf alle Fälle die Schisaison zu retten und die deutschen Gäste ins Land zu locken, gleichzeitig aber den österreichischen Menschen suggeriert, sie mögen nur ja zu Hause bleiben, passt halt auch nicht zusammen. Dass sich andererseits viele der ersten Schiurlauber so benehmen, als hätte es Ischgl nicht gegeben, vervollständigt das Dilemma.
Ein Pariser Lehrer ist von einem jugendlichen Flüchtling aus Tschetschenien enthauptet worden, weil er sich in seine Klasse mit den Mohammed-Karikaturen auseinandersetzen wollte. Es gibt schon zu denken, dass gerade in Frankreich, dem Land, das am striktesten der Trennung von Religion und Staat verpflichtet ist, die meisten islamistisch motivierten Attentate passieren. Hat man da einiges übersehen, gerade weil Religion vorgeblich Privatsache ist? Wir müssen alle und überall mehr hinschauen, welches Unwesen fanatische religiöse Führer treiben, denen es so leicht gelingt, entwurzelte Jugendliche zu missbrauchen.
21. – 26. Oktober
Es wird dunkel – im Garten blühen die letzten Rosen und die Sonne zeigt sich höchstens kurz zu Mittag. Das drückt auf die Stimmung. Wie werden wir mit den steigenden Corona-Zahlen den Winter überstehen? Im Konzerthaus mit Maske sitzen ist für mich auch eine bedrückende Erfahrung. Ich merke, dass sich meine Generation aus dem öffentlichen Leben verabschiedet. Waren wir bisher in den Konzerten in der Überzahl, so sieht man dort nur mehr wenige sehr alte Menschen, das gleiche gilt auch für die Kirchen. Der Geburtstag meines Mannes, wo sonst immer die ganze Großfamilie zusammenkommt, muss heuer auf mehrere Tage aufgeteilt werden. Das hat zur Folge, dass sich unsere Enkelkinder, also Cousins und Cousinen kaum mehr treffen. Auch in unserem Umfeld ist ständig Corona-bedingt jemand in Quarantäne. Es bedarf schon sehr viel Energie, sich immer wieder am eigenen Schopf aus dem depressiven Sumpf zu ziehen. Mir hilft es dabei immer noch, bewusst mit Freundinnen und Freunden in Kontakt zu bleiben und mich mit unseren Kindern und Enkelkindern zumindest telefonisch auszutauschen – mit denen können wir auch noch wirklich über vieles lachen.
Übrigens gibt es da noch ein Schmankerl zu A1. Die demonstrierenden Menschen in Weißrussland beklagen sich darüber, dass A1, dort der größte Internetkonzern, jeweils zum Wochenende, wenn die Demonstrationen stattfinden, die Verbindungen kappt, damit sich die Demonstrierenden untereinander nicht verständigen können. Kann es sein, dass sich dieser österreichische Betrieb zum Büttel eines Diktators macht?
Die Schauspielerin Katharina Stemberger hat eine Initiative zur Aufnahme von Flüchtlingen gestartet, „Courage – Mut zur Menschlichkeit“ heißt das Projekt. Dabei hat sie bereits für mehr als 3.000 Menschen betreute Unterbringungsmöglichkeiten gefunden. Vielleicht macht die ÖVP nach der Wien-Wahl doch einen humanitären Rückzieher – hoffen wird man ja noch dürfen.
Die offiziellen Veranstaltungen zum Nationalfeiertag entbehrten nicht einer gewissen Komik. Gelöbnisse hinter Masken und stolze Soldatenmütter, die durch einen Spalt im Zaun die Angelobung ihrer Kinder erspähen wollten. Dass es heuer keine Schau unserer militärischen Ausrüstung gab, kann ich nur positiv vermerken – warum hat an einem Feiertag der nationalen Identität das Militär immer einen so hohen Stellenwert? Was uns als Land zusammenhält, ist ein gemeinsames humanitäres Grundverständnis und ein solidarischer Sozialstaat – die Gefahr, dass unser Land sich militärisch verteidigen muss, sehe ich nicht. Allerdings sehe ich die Gefahr, dass unser zivilisatorisches und demokratisches Grundverständnis von innen her ausgehöhlt wird – dagegen sollten die Verantwortlichen unserer Republik an einem solchen Tag auftreten. Damit wir Corona-, Wirtschafts- und Klima-krisenfest werden, brauchen wir weniger Kampfbereitschaft, sondern vielmehr Rücksichtnahme und Empathiefähigkeit gerade für die Benachteiligten in unserem Land. Die Ermunterung zur Bereitschaft, in Coronazeiten nicht nur auf Begegnungen, sondern auch auf manchen klima- und gesellschaftsschädigenden Luxus zu verzichten, kam ebenfalls zu kurz. Auch eine Aufforderung an die wirklich Reichen in unserem Land, sich an der Finanzierung der Krisen massiv zu beteiligen, statt jedes nur erdenkliche Steuerschlupfloch zu nützen – Solche Appelle an die Mitmenschlichkeit haben mir am Nationalfeiertag gefehlt.
Traude Novy