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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

“Laudato si”: Wegweiser zu einer zukunftsfähigen Kirche

Interview mit dem Steyler Missionar Franz Helm zum Jahrestag der Enzyklika "Laudato si", ihren Bezug zu den aktuellen Krisen und worin er den Auftrag der Kirche sieht

Foto: Slovk
Foto: Slovk

Wie waren die letzten Wochen für Sie?
Helm: In St. Gabriel, wo ich lebe, waren die letzten zwei Monate eine eher isolierte Zeit. Aufgrund des Alterdurchschnitts haben wir darauf geschaut, uns möglichst abzuschotten – ganz unüblich für ein Missionshaus, aber notwendig. Jetzt nehmen wir unsere Tätigkeiten schrittweise wieder auf.

Gilt für Covid-19 nicht das Gleiche, was Papst Franziskus vor fast genau fünf Jahren in seiner Enzyklika „Laudato si“ zur ökosozialen Frage schrieb: Es geht nur gemeinsam?
Helm: Ein ganz wesentlicher Punkt in Laudato si ist, dass Papst Franziskus die soziale und die ökologische Frage miteinander verbindet. Gerade in der Corona-Krise merken wir, dass wir nur vorwärtskommen, wenn wir beide verbinden und versuchen, ganzheitliche Lösungen zu finden. Es geht nicht, nur die Krankheit zu bekämpfen und einzudämmen, ich muss auch auf die sozialen Konsequenzen schauen. Und auf die Ursachen: Es mehren sich ja die Stimmen, die sagen: Dadurch, dass man den Lebensraum von bestimmten Tieren nicht achtet und Grenzen überschreitet, können sich diese Krankheiten ausbreiten. Dazu kommt noch die Mobilität der Menschen: Dadurch, dass Waren und Menschen um den ganzen Globus jetten, jettet auch so ein Virus mit. Diese sozialen Verhaltenweisen haben ökologische Auswirkungen. Man muss sie miteinander in den Blick nehmen und versuchen, etwas zu ändern.

Welche Konsequenzen sehen Sie vor allem?
Helm: Eine mit Blick auf Corona ist, dass man Lebensräume von Tieren und Planzen, die sie zum Überleben benötigen, respektiert. Da geschieht ja derzeit Ungeheuerliches: Im Raubbau an der Natur dringt der Mensch tief in Urwälder hinein und zerstört Bereiche, in denen Leben in einer Artenvielfalt noch möglich war. Covid-19 kann auch interpretiert werden als etwas, das geschehen ist, weil diese Grenzen nicht respektiert wurden. Wir müssen lernen, Artenvielfalt zu respektieren, zu kultivieren und nicht zu zerstören.
Das nächste ist die wahnsinnig schnelle Verbreitung, vor allem durch den Flugverkehr. Vor Kurzem war für uns Amazonien noch das Ende der Welt, ganz weit weg, im Urwald. Ich war schockiert, dass die Krankheit innerhalb kürzester Zeit bei den indigenen Völkern dort angekommen ist. Dass das so schnell passieren konnte, zeigt, dass sich durch Reisen und Güterverkehr auch eine Krankheit sehr schnell verbreiten kann. Von der Klima-bewegung wird ja schon lange die Rückkehr zu lokalem Konsum propagiert. Dieses weltweite Verschieben und Verschicken von Waren, um zu jeder Jahreszeit seine Erdbeeren essen zu können, geht so nicht.

Mit den Worten von Papst Franziskus: Wir hören den Schrei der Erde und den Schrei der Armen; beide sind Opfer einer Wirtschaft, die tötet.
Helm: Genau. Dadurch soll nicht alles Wirtschaften schlecht gemacht werden, aber wir müssen hinfinden zu einer Ökonomie, die das Gemeinwohl im Blick hat und auch einen sozialen Ausgleich bewirkt.

Die Rückkehr zu lokalem Konsum propagieren nicht nur die Klimaschützer, sondern auch die Regierung mit Aufrufen wie „Österreicher, urlaubt im Inland“. Die Motive sind aber nicht die gleichen?
Helm: Zu beobachten ist, dass auf dieses Thema sofort politische Parteien aufspringen und versuchen, es für sich zu vereinnahmen. Aber: Die eine Motivation ist, politischen und wirtschaftlichen Vorteil daraus zu ziehen, die andere, die ganze Welt im Blick zu haben und zu sagen: Für die Entwicklung des Klimas, für die Eindämmung der Erderwärmung und die Erhaltung der Artenvielfalt ist es wichtig, dass wir den lokalen Konsum fördern.

Es wäre eine Riesenchance für unsere Gemeinden, dass sie Orte der Bewusstseinsbildung für einen zukunftsfähigen Lebensstil und ein zukunftsfähiges Miteinander werden.

Ganz frappierend ist ja die Pandemie-Lage in Brasilien, das sie als Missionar selbst kennengelernt haben. Hat man nicht das Gefühl, dass die Regierung dort die Pandemie regelrecht für seine Interessen nützt?
Helm: Die Zahlen belegen das, es geschieht wirklich. Jetzt, wo alle nur auf die Krise schauen, wurde die Ablenkung genutzt, um massiv die Brandrodung, die Abholzung und die Ausbeutung der Rohstoffe im Amazonas-Gebiet voranzutreiben. Corona spielt Bolsonaro in die Karten; seine Politik bisher war, über die Verfassung hinweg Beschränkungen der Ausbeutung im Amazonas-Gebiet zu eliminieren. Covid-19 spielt ihm in die Hände: Indigene haben gegen solche Krankheiten ein schwächeres Immunsystem und sind deshalb besonders anfällig für eine Infektion. Deshalb ist die Zahl der tödlichen Opfer unter den Indigenen besonders hoch, in Peru ist unter ihnen fast die Hälfte der Infizierten gestorben. Es kommt der Verdacht auf: Bolsonaro tut nichts dagegen, weil es eh nur die Indigenen und die Armen trifft, die Randschichten, die weg gehören – ein brutale Politik.

Wie würden Sie den Entwurf von Gesellschaft und Ökonomie, den Papst Franziskus dem gegenüberstellt, beschreiben? Welches Menschen-, Gesellschafts- und Gottesbild steht dahinter?
Helm: Es gibt in Laudato si eine Stelle, die richtig poetisch ist, wo er meditiert über Liebe des Schöpfers zu jedem einzelnen Geschöpf, und sei es noch so klein. Ich glaube, dass es diese zutiefst mystische Grundhaltung von Papst Franziskus ist, aus der heraus sein entschiedener Einsatz für das Leben, für Schöpfungsverantwortung und soziale Gerechtigkeit entspringt. Das versucht er auf allen Ebenen umzusetzen, mit unglaublich starken Zeichen. Das eckt an, das bringt Widerstand. Es ist nicht von ungefähr, dass der Rechtskatholizismus in Brasilien sich total gegen die Amazoniensynode gestellt hat, dass der Rechtskatholizismus in den USA sich mit Trump verbündet. Das sind die zwei großen Bewegungen, die ich zur Zeit weltweit und in der katholischen Kirche sehe: eine Lebensbewegung im umfassenden Sinn, die vor allem eine ökologische ist – da ist Papst Franziskus eine Symbolfigur –, und auf der anderen Seite eine Position, die den Glauben vom Leben und den Lebensproblemen der Menschen trennt.

Mit dem Schreiben zur Synode, „Querida Amazonia – geliebtes Amazonien“, lädt der Papst ausdrücklich ein, einen liebevollen Blick auf diese Region zu werfen: Schaut, was dort geschieht, und zieht eure Schlussfolgerungen!
Helm: Dieser liebevolle Blick auf das bedrohte Leben und der solidarische Einsatz: Das ist heute Jesus Christus nachfolgen und den Glauben leben. Was ist im Blick darauf Aufgabe der Kirche, auch unserer Ortskirchen? Ich sehe da drei Ebenen: Selbst Vorbild sein durch eine ökologische Praxis, bis hin zum Pfarrfest, bis hin zu Solaranlagen auf unseren großen Kirchendächern – eines ist immer südseitig, weil unsere Kirchen geostet sind. Darüber hinaus muss sich die Kirche dafür einsetzen, dass die Politik Schritte Richtung Eindämmung der Erderwärmung usw. setzt. Und, was Papst Franziskus betont, es geht nur mit Bildung und Bewusstseinsbildung. Es wäre eine Riesenchance für unsere Gemeinden, dass sie Orte der Bewusstseinsbildung für einen zukunftsfähigen Lebensstil und ein zukunftsfähiges Miteinander werden. Wo kann die Zukunft im Geist einer geschwisterlichen Liebe ausverhandelt werden, wenn nicht in unseren kirchlichen Gemeinschaften?

Interview: Georg Haab

Zur Person:

P. Dr. Franz Helm, geb. 1960 in Niederösterreich, trat nach dem Grundwehrdienst bei den Steyler Missionaren ein. Theologiestudium in St. Gabriel, Mödling und Sao Paolo/Brasilien, 1987 Priesterweihe, 1987-1993 Missionseinsatz in Brasilien. 1997 wurde Helm berufen, in St. Gabriel und dann an der Universität Wien Missionstheologie zu lehren, 2001-2004 und seit 2019 Rektor des Missionshauses St. Gabriel. Seit Mai 2016 ist er Vize-Provinzial der Mitteleuropäischen Provinz der Steyler Missionare.