Bild nicht mehr verfügbar.

Im Umfeld des schwerkranken Präsidenten Abdelaziz Bouteflika (Archivbild 2014) kommt es immer offener zu Machtkämpfen.

Foto: AP / Sidali Djarboub

Algier/Madrid – Algerien steht vor einer Verfassungsreform. Das Land soll demokratischer werden, die Berber-Minderheit zu ihren eingeforderten Rechten kommen. In den nächsten Wochen wird die Reform, die Präsident Abdelaziz Bouteflika bereits 2011 infolge der Proteste im Rahmen des Arabischen Frühlings versprochen hatte, dem Parlament vorgelegt werden. Bouteflika und sein Premier Abdelmalek Sellal reden von einer Reform für einen "zivilen Staat".

Die neue Verfassung soll der Regierung mehr Macht gegenüber dem Staatschef einräumen. Künftig wird der Ministerpräsident nicht mehr vom Präsidenten ernannt, sondern vom Parlament gewählt. Eine unabhängige Institution zur Überwachung der Wahlen soll entstehen, die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit soll gestärkt werden.

Maximal zehn Jahre im Amt

Die Amtszeit des Präsidenten wird auf zwei Legislaturperioden von jeweils fünf Jahren beschränkt. Damit kehrt Bouteflikas Reform zu einer Regelung zurück, wie sie vor 2008 bestand. Damals ließ der Staatschef die Verfassung ändern, um weiterhin zu den Präsidentschaftswahlen antreten zu können. Der heute 78-jährige Bouteflika wurde 2009 zu einer dritten und im April 2014 zu einer vierten Amtszeit gewählt, obwohl er seit einem Schlaganfall gesundheitlich schwer angeschlagen ist.

Der wichtigste Punkt der Reform bezieht sich auf die Rechte der Berber. Ihre Sprache, das Tamazight, wird erstmals in der Geschichte des Landes zur "nationalen und offiziellen Sprache". Die 30 Prozent der Bevölkerung, die diese alte nordafrikanische Sprache benutzen, können auf eine völlige Normalisierung des Tamazight im Alltag hoffen.

Seit der Unabhängigkeit Algeriens von Frankreich 1962 hatte die Regierung immer wieder versucht, Arabisch zur einzigen Sprache im Land zu machen. Es sollte sowohl Tamazight als auch Französisch – die Kolonialsprache, in der sich Berber und Arabophone verständigen können – vollständig ersetzen – ohne Erfolg. In der Region mit der größten Berber-Bevölkerung, der Kabylei, kam es immer wieder zu Protesten für mehr Eigenständigkeit und kulturelle Rechte.

"Endlich wird der Kampf mehrerer Generationen für legitime und grundlegende Forderungen gewürdigt", heißt es in einer Erklärung der wichtigsten nichtreligiösen Oppositionspartei, der Versammlung für Demokratie und Kultur (RCD), die vor allem in der Kabylei stark verankert ist. Der Rest der Reform sei allerdings "Augenwischerei". Die Reform, die nicht mit allen politischen Kräften ausgehandelt wurde, stelle "keinen wirklichen Fortschritt dar", heißt es. Auch der ehemalige Ministerpräsident Ali Benflis, der aus der einstigen Einheitspartei Nationale Befreiungsfront (FLN) ausgetreten ist, nachdem er 2014 erfolglos gegen Bouteflika um das Amt des Staatschefs kandidiert hatte, sieht in der Reform "ein rein politisches Manöver, um von den wirklichen Herausforderungen abzulenken".

Wirtschaftliche Probleme

Algerien steckt durch den Verfall des Preises für Erdöl und Erdgas in einer wirtschaftlichen und sozialen Krise. Im Hintergrund streiten sich die politischen und wirtschaftlichen Clans um Einfluss, während die Politik weitgehend untätig bleibt.

Der schwerkranke Bouteflika lenkt die Geschicke des Landes längst nicht mehr. Er zeigt sich so gut wie nie in der Öffentlichkeit. Und Auslandsreisen unternimmt er nur, um sich in Frankreich ärztlich behandeln zu lassen. In seinem Umfeld kommt es immer offener zu Machtkämpfen zwischen denen, die ihn beerben wollen – darunter sein Bruder und Berater Said Bouteflika (58).

Das Präsidialamt hat in den vergangenen Jahren die Spitze der einflussreichen Armee weitgehend umgebaut, den Chef des allmächtigen militärischen Geheimdienstes DRS, Mohamed Mediene "Toufik", in den Ruhestand versetzt. Vor kurzem wurde der DRS ganz aufgelöst. Ein neuer Geheimdienst untersteht nun dem Präsidentialamt statt den Generälen. (Reiner Wandler, 30.1.2016)